Review Anti-Flag – Lies They Tell Our Children

Eigentlich hätte das Jahr für ANTI-FLAG-Fans so gut starten können: Mit „Lies They Tell Our Children“ veröffentlichen die Pittsburgher Punk-Ikonen gut zwei Jahre nach „20/20 Vision“ ein neues Album, welches tatsächlich schon der 13. Langspieler und das erste Konzeptalbum des Quartetts ist. Für sieben der elf Tracks haben sich ANTI-FLAG prominente Unterstützung geholt und so geben sich Gaststars wie Tim McIlrath, Campino, Shane Told oder Jesse Leach die Klinke in die Hand. Soweit so gut, könnte man nun meinen. Allerdings ist es auf „Lies They Tell Our Children“ nahezu endgültig vorbei mit dem schnellen, ungestümen Punk, für den ANTI-FLAG einst standen.

Inhaltlich präsentieren sich ANTI-FLAG auf „Lies They Tell Our Children“ so stark wie immer. Alle Songs kreisen um das Oberthema soziale Ungerechtigkeit, sei es nun im amerikanischen Gesundheitswesen, beim Umweltschutz oder beim Thema faire Löhne. Gewohnt scharfzüngig und anklagend verdeutlicht das Quartett einmal mehr: Profit wird immer noch über die Menschen an sich gestellt. In Kombination mit der extrem starken Gästeliste steht einem modernen Klassiker des Punk eigentlich nichts mehr im Wege und tatsächlich machen „Modern Meta Medicine“ mit Jesse Leach oder „NVREVR“ mit Stacy Dee richtig Spaß. Starke Hooks, schnelle Gitarren und passende Gäste sorgen für Highlights auf Album Nummer 13. Leider war es das dann auch schon mit den Highlights.

„Lies They Tell Our Children“ besteht musikalisch zu großen Teilen aus zuckrig-klebrigem Pop-Punk, der stellenweise mit belanglosem Radio-Rock und Mainstream-Indie verschlimmbessert wird. Anstatt ungezügelten Punk gibt es Midtempo und auch die Bezeichnung Rock trifft in vielen Fällen nicht mehr zu. Fans der ersten Stunde mögen nun sagen, dass sich diese Entwicklung bereits abgezeichnet hat, doch schunkelige Totalausfälle wie „Fight Of Our Lives“ oder „Victory Or Death (We Gave ‚Em Hell)“ dürften auch sie überraschen. Man kann die Schuld nicht mal auf die jeweiligen Gäste schieben, denn bereits der Opener „Sold Everything“, der ganz ohne Gäste auskommt, ist einfach nur schwacher, handzahmer Pop-Punk. Die extrem glatte Produktion macht das Hörerlebnis auch nicht gerade besser, schluckt sie doch die eigentlich so markanten Bass-Lines von Chris #2 nahezu komplett.

Anstatt eines modernen Punk-Klassikers präsentieren ANTI-FLAG mit „Lies They Tell Our Children“ ihr bisher schwächstes Album. Es hat fast den Anschein, als ob die Band mehr Zeit, Energie und Kreativität in das inhaltliche Konzept und die Gästeliste gesteckt hat, als in das Songwriting. Wie teilweise auch schon bei „20/20 Vision“ öffnet sich auch hier eine meilenweite Lücke zwischen Songtexten und Musik, denn wütende, anklagende Lyrics harmonieren einfach nicht mit klebrigem Mainstream. Allein aufgrund ihrer Diskografie und ihrem starken politischen Engagement bleiben ANTI-FLAG auch weiterhin eine der wichtigsten amerikanischen Punk-Bands und eine der besten Live-Bands sind sie sowieso, da kann man über „Lies They Tell Our Children“ getrost den Mantel des Schweigens decken.

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Wertung: 6 / 10

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