Konzertbericht: Enslaved

20.12.2020 Bergen, Norwegen (Stream-Show)

Wenn eine Band Gefallen am Konzept des Konzert-Streams gefunden hat, dann die norwegische Prog-Black-Metal-Institution ENSLAVED. Anders als ihre Landsleute Leprous, die ihre Auftritte nur mit einem kurzen zeitlichen Vorlauf bekanntgaben, teilten die Herren um Frontmann Grutle bereits Anfang Juni mit, dass sie drei Konzerte streamen werden. Jedes einzelne entspringt der Zusammenarbeit mit einem europäischen Festival: Für den ersten Teil, „Chronicles Of The Northbound“, steckten ENSLAVED und das Roadburn-Festival die Köpfe zusammen, der zweite Teil, „Below The Lights“, resultierte aus der Zusammenarbeit mit dem Beyond The Gates-Festival, die finale Show, „Utgard – The Journey Within“, entstand mit Unterstützung des Summer Breeze-Festivals.  

Unter dem Banner „Cinematic Summer Tour 2020“ flimmerte „Chronicles Of The Northbound“ am 30. Juli über den Smart-TV, die anderen beiden Teile folgten im Abstand von jeweils einem Monat. Wer eine der Shows oder alle drei verpasste oder sie noch mal sehen möchte, hat am Wochenende der Wintersonnenwende mit dem „Winter Solstice“-Event die Gelegenheit dazu: ENSLAVED streamen hier erst- und zugleich letztmalig die drei Konzerte direkt hintereinander u. a. auf dem bandeigenen YouTube-Kanal.

Chronicles Of The Northbound

Die Setlist für diese Show stammt nicht von der Band, sondern den Fans: Sie konnten abstimmen, welche Songs aus der (zum damaligen Zeitpunkt noch) 14 Studioalben umfassenden Diskografie gespielt werden sollten. Dass die Wahl dabei auf einen Fan-Liebling wie dem eingängigen „Ethica Odini“ oder dem Hit eines jeden Konzerts, „Roots Of The Mountain„, fallen würde, war abzusehen. Gleiches gilt für den folgenden Song „Fenris“ („Frost“, 1994), sodass einem als Zuschauer langsam das Gefühl beschleicht, dass man eine reguläre ENSLAVED-Setlist geboten bekommt, obwohl die Fans abstimmen durften. Haben die Norweger bei ihren Konzerten tatsächlich immer den richtigen Riecher für die Wünsche der Fans oder ist es dem Quintett gelungen, seine Zuhörerschaft über die Jahre an eine Top Ten an Songs zu gewöhnen?
Als könnten ENSLAVED Gedanken lesen, spielen die Norweger überraschend die Live-Rarität „793 (Slaget Om Lindisfarne)“. Der Opener des mittlerweile 23 Jahre alten Werks „Eld“ hat nichts an Kraft verloren und verdeutlicht bei dieser Show wohl am meisten, wo die musikalische Reise von ENSLAVED begann. Mit „The Watcher“ und „Death In The Eyes Of Dawn“ präsentiert das Quintett Hits vom jüngeren Teil ihrer Diskografie, sodass der oben geschilderte Gedankengang wieder an Fahrt aufnimmt; schade, dass die Wahl der Fans nicht stärker auf weniger beachtete Songs gefallen ist.

  1. Ethica Odini
  2. Roots Of The Mountain
  3. Fenris
  4. 793 (Slaget Om Lindisfarne)
  5. Isa
  6. The Watcher
  7. Death In The Eyes Of Dawn
Screenshot der Live-Stream-Show, Foto-Credit: Revolver/Roadburn Festival/Enslaved

Below The Lights

Mit Blick auf die Gesamtheit ihrer Alben wirkt ENSLAVEDs sechste Platte „Monumension“ wegweisend. Mit dieser betraten die Herren um Grutle und Ivar neue Pfade, die sie deutlich vom Viking Metal wegführten und ihr Klangbild um neue Facetten bereicherte. Dass die Norweger den zweiten Teil ihrer „Cinematic Summer Tour 2020“ allerdings nicht jenem Album widmen, sondern dessen Nachfolger „Below The Lights“, liegt in dessen Strahlkraft: Dieses Werk gilt in weiten Teilen der Fangemeinde als das Nonplusultra der Band, als die ideale Verknüpfung von Epik, Aggression und Progressivität der Vorgängerplatten. Das siebte Album in Gänze zu spielen ist somit eins der größten Geschenke, das ENSLAVED ihren Fans machen können.
Passend in dunkler Umgebung liefern ENSLAVED wie auch in „Chronicles Of The Northbound“ keine cineastische Show mit ausgeklügelten Licht- und Lasereffekten ab. Stattdessen präsentieren sie die sieben Songs in stimmiger Atmosphäre und untermalt von Projektionen, die vom Artwork des Album stammen.

  1. As Fire Swept Clean The Earth
  2. The Dead Stare
  3. The Crossing
  4. Queen Of Night
  5. Havenless
  6. Ridicule Swarm
  7. A Darker Place
Screenshot der Live-Stream-Show, Foto-Credit: Revolver/Beyond The Gates Festival/Enslaved

Utgard – The Journey Within

Der dritte und letzte Teil des „Winter Solstice“-Abend wird mit dem Live-Debüt von vier der neun Tracks auf dem aktuellen Album „Utgard“ gekrönt; nach dem die Diskografie umreißenden ersten Teil und der folgenden „Below The Lights“-Performance spannen ENSLAVED  mit der finalen Vorstellung neuer Tracks erfolgreich einen Bogen über ihr bisheriges Schaffen – binnen 2,5 Stunden.
Auch im letzten Teil lassen es sich die Norweger nicht nehmen, ihre Songs, in dem Fall die drei Single-Auskopplungen „Jettegryta“, „Homebound“ und „Urjotun“ sowie „Flight Of Thought And Memory“ im astreinen Klanggewand zu präsentieren. Mit der gleichen Studioalbumqualität ausgestattet wie auch die beiden Stream-Shows zuvor kommt es dank der hervorragenden Arbeit der Toningenieure auch bei diesem Konzert zu keinerlei Sound-Patzern, wenngleich sich das nicht über die Videoqualität der Show sagen lässt. Diese ist stellenweise leider genau so schwach wie bei den vorherigen Teilen der „Winter Solstice“-Performance.
Das größte Highlight neben den neuen Songs selbst ist dabei Drummer Iver, der auf dem jüngsten Album den langjährigen Schlagzeuger Cato ablöste. Iver, der bisher eher im Hintergrund als Producer und Sound Engineer tätig gewesen ist, singt wie ein junger Gott, während sich seine vier Gliedmaßen in jeweils andere Richtungen bewegen – grandios!

  1. Jettegryta
  2. Homebound
  3. Urjotun
  4. Flight Of Thought And Memory
Screenshot der Live-Stream-Show, Foto-Credit: Revolver/Summer Breeze Festival/Enslaved

Mit der „Cinematic Summer Tour 2020“ haben ENSLAVED die erste digitale Metal-Tournee ins Leben gerufen, die der konzertlosen Zeit zu trotzen versucht. Nicht nur mit diesem Vorgehen hat das Prog-Black-Metal-Quintett Neuland betreten, sondern auch mit der Spieldauer sowie der abwechslungsreichen Songauswahl. Für Fans ein Hochgenuss, für Frischlinge ein starker Einstieg in die Diskografie und für ENSLAVED selbst das Schulterklopfen, dass sie es noch immer nicht verlernt haben, neue Wege zu beschreiten. 

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