Konzertbericht: Gaahls Wyrd w/ Winterfylleth, Gaerea

Die Älteren werden sich erinnern: Nach dem Gorgoroth-Split und einem kurzen God-Seed-Intermezzo wollte sich Gaahl 2009 komplett aus der Metal-Szene zurückziehen. Zum Glück ist es ganz anders gekommen: Mit seinem Projekt GAAHLS WYRD ist der Norweger heute aktiver als er es je zuvor war. Und so ist die Band seit 2017 nun – trotz Pandemie-Pause – zum bereits dritten Mal im Backstage München zu Gast. Diesmal mit dabei: Die umjubelten Newcomer GAEREA sowie, für SAOR eingesprungen, die Briten von WINTERFYLLETH.

Entgegen aller Ankündigungen eröffnen GAEREA den Konzertabend bereits um 18:30 Uhr. Dass die Backstage Halle an einem Montagabend trotz des verfrühten Beginns schon gut gefüllt ist, sagt viel über die junge Band. Der Hype um die Portugiesen erweist sich auch heute wieder als völlig gerechtfertigt: Mit einer perfekten Mischung aus Aggression und Eleganz im Auftreten, sowie aus Härte und Melodik in der Musik legen GAEREA eine bis zur letzten Sekunde des 40-Minuten-Sets packende Show hin. Insbesondere Fronter Guilherme Henriques weiß dabei durch sein intensives Stageacting zu begeistern. Das unerhört tighte Zusammenspiel seiner Band komplettiert die rundum perfekte Performance, mit der GAEREA die Fans bis in die hintersten Reihen mitreißen. Mag die Musik selbst dabei gar nicht mal so außergewöhnlich sein – die Qualität von GAEREA im Ganzen ist es allemal. Als Opener wird diese Band nach dieser Tour wohl nirgends mehr spielen.

Die Freude von WINTERFYLLETH, auf der zweiten Hälfte der Tour für SAOR einspringen zu dürfen, wird wohl schnell verflogen sein: Es mag für jede Black-Metal-Band ein Traum sein, für Szene-Legende Gaahl eröffnen zu dürfen. Aber es ist ohne Zweifel ein Alptraum, nach einer Newcomer-Band spielen zu müssen, die abliefert wie Gaerea. So gibt es für WINTERFYLLETH heute nichtmal den sprichwörtlichen Blumentopf zu gewinnen: Optisch und in Sachen Stageacting bleiben die Briten heute blass, und selbst mit einem Backkatalog von sieben Alben finden die Briten keine Mittel und Wege, das Publikum auch nur ansatzweise so in ihren Bann zu ziehen wie es Gaerea zuvor gelungen war. So ist die Stimmung am Merch-Stand, wo den Gaerea-Musikern noch während WINTERFYLLETH von euphorisierten Fans die letzten Shirtbestände aus den Händen gerissen werden, aufgeheizter als vor der Bühne.

Ganz anders sieht die Sache erwartungsgemäß bei GAAHLS WYRD aus: Als diese um 21:45 Uhr zum atmosphärischen Intro „Within The Voice Of Existence“ die Bühne betreten, reicht schon das bloße Erscheinen von Fronter Gaahl, um das Publikum in den Bann zu ziehen. Neben Gaahls einmaliger Aura helfen aber natürlich auch das mit Hits gespickte Set, die offensichtliche Spielfreude seiner Gefolgsleute sowie der perfekte Sound, um das Publikum aus dem Winterfylleth-Schlaf zu wecken. Neben den stärksten Songs von GAAHLS WYRD bieten diese gewohntermaßen auch ein Best-Of der früheren Bands des Norwegers: So finden auch vier Gorgoroth-Songs, zwei Stücke von Trelldom und mit „Alt Liv“ der Vorzeige-Song von God Seed ihren Weg ins Set.

Faszinierend ist dabei einmal mehr, wie geschickt GAAHLS WYRD auf der Bühne agieren: Während Gaahl bedächtig über die Bühne schreitet, fast in Zeitlupe die Devilhorns zeigt oder einzelnen Fans in den ersten Reihen huldvoll die Hand reicht, sorgen die drei Saiteninstrumentalisten für die Dynamik: Munter wechseln Lust Kilman, Eld und Live-Gitarrist Andreas Fosse Salbu die Plätze, schwingen synchron ihre Instrumente oder fordern vom Publikum energisch Hey-Rufe ein. So decken GAAHLS WYRD geschickt beides ab – dynamisches Stage-Acting und die eiskalte Atmosphäre, die seinerzeit auch Gaahls Shows mit Gorgoroth geprägt hat – und können über 75 Minuten hinweg durchweg begeistern.

Mag die Absage von SAOR für die zweite Tourhälfte für den einen oder anderen Fan auch eine Enttäuschung gewesen sein, die WINTERFYLLETH mit ihrer bräsigen Show auch nicht zu kompensieren vermögen – mit den bis zum Anschlag motivierten GAEREA sowie den musikalisch wie in Sachen Performance über jeden Zweifel erhabenen GAAHLS WYRD bietet diese Tour für vergleichsweise faire 30 € zumindest zwei großartige Live-Bands, die sich Genrefans nicht entgehen lassen sollten.

Publiziert am 27. Oktober 2022 von Moritz Grütz

Fotos von: Afra Gethöffer-Grütz