Konzertbericht: Heilung w/ Eivør, Lili Refrain

18.12.2022 München, Zenith

Es gibt zweifelsohne stimmungsvollere Orte als das Zenith. Dass HEILUNG nach ihrer Show im heimeligen Zirkus-Crone-Bau 2019 bei ihrer Rückkehr nach München ausgerechnet in die kalte Industriehalle am Stadtrand kommen würden, war bei Bekanntgabe der Tour ein Dämpfer. Dass die ganze Konzertreise wenig später pandemiebedingt um über ein Jahr verschoben und die als Support angekündigten Gaahls Wyrd schlussendlich auch nicht auftreten können würden, war da noch gar nicht abzusehen.

Dass nur wenige Fans Zweifel daran haben, dass die Band selbst in dieser Lokation funktionieren kann, zeigt sich schon an den nackten Zahlen: Gut 3.500 Fans pilgern durch Schnee und Eis nach Freimann, um einer in jeder Hinsicht besonderen Show beizuwohnen.

Obschon Heilung ob der Extravaganz ihrer Darbietung eigentlich wie gemacht wären für ein Konzert ohne großes Rahmenprogramm, werden sie sogar von zwei Support-Acts begleitet. Deren erster ist LILI REFRAIN: Die Experimental-Musikerin eröffnet den Abend mit 40 Minuten schamanistischer Soundscapes, die sie mittels Trommel, Gitarre, Synthesizer und Looper im Alleingang erzeugt. Dass die Italienerin damit schlussendlich stilistisch sehr nach an den Sound von Heilung herankommt, macht LILI REFRAIN gleichermaßen zur perfekten wie überflüssigen Vorband – von diesem Sound bekommt man schließlich am heutigen Abend noch genug zu hören. Als Einzelkünstlerin in kleinerem Rahmen kann man LILI REFRAIN aber definitiv nochmal eine Chance geben.

Auch die Sängerin Eivør Pálsdóttir alias EIVØR, der anschließend die Bühne gehört, steht vor ähnlichen Problemen: Nur von einem im Hintergrund agierenden Mitmusiker begleitet, wirkt auch die Sängerin von den Färöern auf der riesigen Bühne ziemlich verloren. Dass sie sich für ihre nur rund 35 Minuten Stagetime dem Setting anpassen zu müssen meint, ist schade: Statt auf ihre melancholischen Pop-Songs zu setzen, konzentriert sich EIVØR heute auf Songs mit Shaman-Drum und Ritualgesang. So fehlen nicht nur ihre wirklich großen Hits wie „Falling Free“, sondern die Performance wirkt im Ganzen etwas aufgesetzt und anbiedernd. Schade, das hätte eine herausragende Künstlerin wie EIVØR eigentlich nicht nötig – auch wenn sie heute vor „fremdem“ Publikum spielt.

All das ist aber auch ein bisschen egal – denn wer für den heutigen Abend gut 50 € gezahlt hat, hat das weder wegen Lili Refrain noch wegen Eivør getan, sondern um HEILUNG zu erleben. Und ein Erlebnis ist die Show allemal, da kann man von „Ritualen“ und „Schamanen“ halten, was man will.

So beginnt die Performance bereits extravagant mit einer „Reinigung“ der Bühne mittels Weihrauch, ehe HEILUNG und ihre Entourage aus „Krieger:innen“ und Sängerinnen unter großem Jubel die zum Wald umdekorierte Bühne betreten und das bereits von früheren Konzerten wie auch dem „Lifa“-Mitschnitt bekannte Eröffnungsritual zur Huldigung der Natur vollziehen. Schon diesen Einstieg kann man als spirituelle Erweckung feiern oder für überzeugend vorgetragenen Schabernack halten. Aber Fakt ist: Atmosphärisch funktioniert die Darbietung auch, wenn man sie nicht esotherisch überhöht, sondern schlicht als das betrachtet, was sie ist: eine Performance, eine Form von Musical.

An ein ebensolches erinnert nicht nur die aufwendige Kostümierung aller Beteiligten und der hohe Anteil an Tanz und Choreografie an der Performance, sondern auch die Dauer der Darbietung: Volle zwei Stunden wird getanzt und gestampft, geklatscht und gerasselt, geschrien und gesungen. Während die Musik über weite Strecken zwischen mediatitiv-monotonem Getrommel und Skandieren („Hakkerskaldyr“), filigranem Folk („Asja“, „Anoana“) und stampfendem Vikinger-Techno („Hamrer Hippyer“) changiert, gelingt es HEILUNG, durch geschickt gesetzte Showeinlagen selbst 120 Minuten weitestgehend unterhaltsam zu füllen – sei es durch die Tanzchoreografien der „Krieger:innen“ oder durch eine feministische Bondage-Performance (eine Tänzerin wird zunächst von Kai-Uwe-Faust gefesselt, um anschließend von Maria Franz befreit zu werden).

Und als der Auftritt nach rund 90 Minuten doch lang zu werden droht, packen HEILUNG als letztes Ass noch eine kleine Feuer-Show aus: Ein an den Spitzen entzündetes Geweih, anmutig geschwungen von einer barbusigen Schönheit, reicht aus, um sich die Aufmerksamkeit des Publikums für den letzten Showpart zu sichern. In gewisser Weise ist es dennoch eine Erlösung, als das finale „Hamrer Hippyer“ mit wilden Tänzen auf der Bühne und Crowdsurfenden Kriegern das Ende der Show einleitet, ehe die „Closing Ceremony“ den Abend stilsicher beendet: Bei aller gebotenen Qualität sind zwei Stunden „Ritual“ keine leichte Kost.

  1. Opening Ceremony
  2. In Maidjan
  3. Alfadhirhaiti
  4. Asja
  5. Krigsgaldr
  6. Hakkerskaldyr
  7. Svanrand
  8. Norupo
  9. Othan
  10. Traust
  11. Anoana
  12. Galgaldr
  13. Elddansurin
  14. Hamrer Hippyer
  15. Closing Ceremony
Mag die plakative Performance von HEILUNG auch wie eine Hollywood- oder eben auch Broadway-Version der deutlich gemäßigter agierenden Wardruna wirken, muss man dem Trio doch eines lassen: In ebendiesem Pomp, der bildgewaltigen Umsetzung ihrer Vision, sind HEILUNG absolute Profis. Zu keiner Zeit nämlich wirkt das Dargebotene billig, aufgesetzt oder lächerlich. Wer diese Mixtur aus Musik und Show als „Ritual“ empfinden möchte, kann dies ohne weiteres tun – ebenso gut lässt sich der Abend aber auch ganz nüchtern als gelungene Inszenierung genießen.

Auch rein musikalisch betrachtet haben HEILUNG 2022 noch einen Schritt nach vorne gemacht. Während die eher peinlichen Hörspiel-Parts der Alben für das Live-Set zum Glück weiterhin ausgespart werden, erweisen sich die melancholischen Folk-Songs „Asja“ und „Anoana“ vom 2022er-Album „Drif“ als große Bereicherung: Zwischen all den „Uhs“ und „Ahrgs“ sind ein paar „echte“ Songs eine wahrlich heilsame Erfrischung.

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