Konzertbericht: Motörhead w/ Graveyard, Loaded

27.11.2011 München, Zenith

Natürlich kann man in andere Menschen nicht hineinsehen und urteilt so gerne auch mal vorschnell – und dennoch: Würde mich jemand nach einem Menschen fragen, der in seinem Leben alles richtig gemacht hat, wäre Lemmy Kilmister wohl einer der ersten Namen, die mir in den Sinn kämen. In knapp einem Monat wird der gute Mann 66 und lebt, was man so hört, den Rock’n’Roll-Lifestyle konsequent weiter… und das nicht, weil er, wie manche andere lebende Legende – man denke nur an Ozzy – den Absprung in ein würdevolles Rock-Rentner-Dasein verpasst hat, sondern weil es für ihn offenbar keinen guten Grund gibt, aufzuhören. Die Gesundheit scheint – toi toi toi – kein Problem darzustellen, und an Fan-Zuspruch scheint es auch nicht zu mangeln, führt man sich vor Augen, dass MOTÖRHEAD heute wohl mehr Fans denn je in die Konzerthallen dieser Welt holen:

„Ausverkauft!“ steht auf den Schildern am Ticketschalter vor dem Zenith, und wer sich in den letzten Tagen um MOTÖRHEAD-Tickets bemüht hat, wird davon wenig verwundert sein – war das Konzert doch, wie auch die nachfolgenden Shows in Stuttgart und Düsseldorf, bereits über eine Woche im Vorhinein ausverkauft.

Während sich draußen die letzten Optimisten um Tickets auf dem Schwarzmarkt bemühen, füllt sich die Halle zunächst eher gemächlich – kein Wunder aber, ist der Einlass um 17:30 doch reichlich früh angesetzt. Bis GRAVEYAED um kurz vor 19:00 überpünktlich den Abend eröffnen, ist die Halle dann jedoch schon gut gefüllt: Für die Schweden, die sich erst 2006 zusammengetan haben, der Welt den Psychodelic Rock der 70s näher zu bringen, ist die Tour mit der Rock’n’Roll-Legende wohl die Chance schlechthin, sich vor großem Publikum zu beweisen – allein, genau im Kern dieser Aussage liegt das Problem. Denn wo die Musik von GRAVEYARD in einem verrauchten Kellerklub sicherlich extrem cool und ähnlich atmosphärisch wie meinetwegen Solstafir gewesen wäre, verlieren sich die vier Skandinavier etwas auf der großen Bühne. Dass Sänger und Gitarrist Joakim Nilsson nicht etwa in der Bühnenmitte steht, wie man das von einem Sänger erwartet, sondern den Platz im Zentrum Bassist Rikard Edlund überlassen hat und selbst am Bühnenrand Stellung bezogen hat, trägt dazu einen nicht unwesentlichen Teil bei: Keiner erwartet bei dieser Musik eine Rampensau – ein wenig mehr „Frontmann“ hätte hier wohl schon gereicht, um einen deutlich geschlosseneren und kraftvolleren Eindruck zu vermitteln.
Da die Band zudem relativ ruhig beginnt, werden die das auf räudig-groovenden Hard Rock wartenden Zuschauer mit dem Dargebotenen zunächst scheinbar nicht so richtig warm – obwohl GRAVEYARD ihre Sache durchaus gut machen. Das merkt das Publikum im Verlauf des Auftritts schließlich auch, so dass am Ende des halbstündigen Sets doch noch kräftig applaudiert wird.

Zügig wird umgebaut, und bereits nach einer Viertelstunde ist mit LOADED die zweite Vorband des Abends an der Reihe. Dass es sich bei der mir bis dato gänzlich unbekannten Band um ein Projekt des ehemaligen Velvet Revolver- und Guns’n’Roses-Bassisten Michael Andrew „Duff“ McKagan handelt, war mir im Vorhinein entgangen – macht das Gesehene aber nicht einmal im Nachhinein besser: Nachdem sich Graveyard wohl showmäßig deutlich unter ihrem Wert verkauft haben, sieht es hier nämlich genau andersherum aus – ist das auffälligste an der Band doch ihr völlig überspitztes Klischee-Auftreten: Von Style und Gebaren her gibt man die großen Rockstars – allen voran McKagan selbst, welcher blondiert, braungebrannt und in eine kitschige Lederweste gepackt wie eine Mischung aus Jürgen Drews, Big Brother-Jürgen und Billy Idol daherkommt, fällt in diesem Punkt durchweg unangenehm auf. Schlimm daran ist, dass sich hinter dieser (nicht eben sonderlich ansehnlichen) Fassade wenig mehr versteckt als musikalische Belanglosigkeiten: Langweiligste Riffs reihen sich hier zu auf Dauer fast unerträglich faden Songs, die in Kombination mit dem Bandlogo genauso gut als schlechter Skatepunk durchgehen würden, wäre da nicht der unsäglich charakterlose Gesang, McKagan, welcher das Ganze auf Biegen und Brechen in die Hard Rock-Ecke zwängt.
Spaß hat hier zunächst nur die Band, wie es scheint, und das ob technischer Schwierigkeiten mit der McKagans Gitarre auch nur begrenzt – bis sich das Publikum von einer Minute auf die andere überlegt, LOADED doch noch zu mögen und die Band auf den letzten Metern mit wildem Gemoshe, Mitgeklatsche und lautem Beifall abfeiert – völlig unnachvollziehbarer Weise, wie ich sagen muss. Wirklich traurig ist wohl dennoch niemand, als LOADED nach knapp 45 Minuten die Bühne wieder verlassen – schließlich ist damit das Thema Vorband für heute durch, und der Grund für alle Anwesenden, eben solche zu sein, rückt in greifbare Nähe: MOTÖRHEAD.

Eine weitere, für ein Konzert dieser Größe wirklich flotte Umbaupause von einer knappen halben Stunde später kündigt um Punkt 21:00 Uhr eine Sirene den bevorstehenden Angriff an, welcher schließlich begleitet von frenetischem Applaus mit Beschuss durch den „Bomber“ einsetzt.Was folgt, ist so etwas wie ein doppeltes Paradebeispiel für Hingabe: Während Lemmy, Phil undMikkey sich oben kräftig ins Zeug legen, feiert sie das Publikum unten, als gäbe es kein Morgen. Egal ob Klassiker wie genannter Opener oder taufrische Kracher wie „I Know How To Die“ – die Songs zünden von der ersten Sekunde an, und werden vom Publikum gefeiert, als gäbe es kein Morgen. Dass Lemmy sich heute ansagetechnisch eher wortkarg gibt (auf das legendäre „We’re MOTÖRHEAD and we play Rock’n’Roll“ muss man gar fast bis zur Zugabe warten) ist zwar etwas schade, tut der Stimmung jedoch keinen Abbruch – und mal ehrlich: Auch ein Mr. Kilmister darf mal einen nicht so guten Tag haben.
Voll dabei sind jedenfalls Phil, welcher mit weißer Kabuki-Maske soliert, und Mikkey D., dessen Drumsolo nach „ The One To Sing The Blues“ gar nicht mehr enden zu wollen scheint. Auch hiervon zeigt sich das Publikum aufrichtig begeistert, und egal, ob Floskel oder ernst gemeint, Lemmy gibt dem Publikum jedenfalls das Gefühl, das Beste zu sein – und das ist doch am Ende, was zählt.
Große Besonderheiten weist die Setlist, welche sich nicht von denen der anderen Tourabende unterscheidet, nicht auf: Geboten wird eine gelungene Mischung aus alt, neu, schnell und langsam, wobei das, wenn man ehrlich ist, vielseitiger klingt, als eine MOTÖRHEAD-Show am Ende tatsächlich ist. Wirklich heraus sticht einzig der „Whorehouse Blues“, welcher als erste Zugabe an Akustikgitarre und Mundharmonika dargebotenen wird, wobei die Stimmung hier zumindest auf der Bühne kurz in den Keller geht: Dass der Bühnentechniker während des Spielens – also natürlich vergebens – an der bewegten High-Hat herumschraubt, scheint Mikkey Dee ebenso wenig zu begeistern wie die Tatsache, dass er im Song auch noch Gitarre wechseln muss – was dieser anschließend mit einem beherzten Tritt gegen den High-Hat-Ständer und einem bösen Blick in Richtung Bühnenrand kommentiert. Anschließend folgt, wie gewohnt, das finale Duo Infernale, „Ace Of Spades“ und „Overkill“, bevor nach ziemlich genau anderthalb Stunden Schicht im Schacht ist, und sich das Trio vom Münchner Publikum verabschiedet.

Was bleibt, ist die wenig überraschende Erkenntnis, dass MOTÖRHEAD eine Konstante sind, und auch, wenn sie mal nicht ihren besten Tag erwischt haben, immer noch zu begeistern wissen – bei der wohl beispiellosen Routine, die das Trio sich über die Jahre erspielt hat, ist das jedoch auch kein Wunder. Und auch, wenn ein perfekter Abend eine brauchbarere Vorband als LOADED und Shirtpreise von unter 30€ bedurft hätte, dürften im Großen und Ganzen doch wohl Fans wie auch Band mit dem Verlauf des Abends durchaus zufrieden sein.
In diesem Sinne: Bis nächstes Jahr – selbe Zeit, selber Ort!

Setlist Motörhead:
01. Bomber
02. Damage Case
03. I Know How To Die
04. Stay Clean
05. Metropolis
06. Over The Top
07. One Night Stand
— Gitarren-Solo —
08. The Chase Is Better Than The Catch
09. Get Back In Line
10. I’ll Be Your Sister
11. The One To Sing The Blues
— Schlagzeug-Solo —
12. Orgasmatron
13. Going To Brazil
14. Killed By Death
15. Iron Fist

16. Whorehouse Blues
17. Ace of Spades
18. Overkill

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