Konzertbericht: Nightwish w/ Beast In Black

14.11.2018 München, Olympiahalle

“Decades” heißt die aktuelle NIGHTWISH-Tour, und gefühlt Dekaden ist es her, dass die finnischen Symphonic-Metal-Ikonen mal wieder durch Deutschland getourt sind. Die Setlist durch die Jahrzehnte durchaus bewegter Bandgeschichte macht noch einmal extra neugierig, und so reicht es trotz fehlendem aktuellen Studioalbum sogar für die (abgehängte) Olympiahalle. Eine Menge Pyrotechnik und bunte Leinwände können aber leider nicht dauerhaft darüber hinwegtäuschen, dass NIGHTWISH mittlerweile doch allzu routiniert daher kommen.

Als Vorband können sich die noch jungen BEAST IN BLACK beweisen. Die Band um Sänger Anton Kabanen, der 2015 die Band Battle Beast verließ, um ironischerweise eine Band mit gleicher Ausrichtung fast identischem Namen zu gründen, hat offensichtlich großen Spielspaß und weiß sich zu präsentieren. Der heroische Power-Metal mit eingängigen Melodien verlangt Kabanen einen großen Stimmumfang ab, den er mehr als souverän abzurufen weiß. Besonders die Hits “Born Again” und “Blind and Frozen” wissen live zu überzeugen, wobei im Set immer wieder Stücke zu finden sind, die für ihre lange Laufzeit auf Dauer etwas wiederholend sind. Gerade in diesem Punkt sind sie natürlich mit NIGHTWISH mit den richtigen Vorbildern unterwegs und können sich fürs nächste Album den einen oder anderen Tipp abholen. Auch die Ballade “Ghost in the Rain” ist für die Mitte eines Vorband-Sets deutlich zu unspektakulär, da ist auch noch Luft nach oben. Trotz alldem beweisen BEAST IN BLACK eindrucksvoll, dass sie mehr sind als nur ein Abklatsch der Band, aus der sie hervorgegangen sind.

NIGHTWISH selbst eröffnen ihre Show mit einer deutlichen und sehr sympathischen Ansage: Handy weg, Augen und Ohren nach vorne! Erst nachdem das Handy-Aus-Symbol eine gute Minute auf der riesigen LED-Leinwand geblinkt hat, zählt der Countdown nach unten und die Musiker betreten die Bühne. Trotz fulminanter Feuershow zu “Dark Chest of Wonders” scheint der Generalanschiss gewirkt zu haben – die Menge an leuchtenden Bildschirmen scheint tatsächlich weniger zu sein als gewöhnlich.

Nach diesem feurigen Anfang steigen die Finnen mit “Wish I Had an Angel” direkt mit einem ihrer größten Hits in ihr jahrzehnteübergreifendes Set ein. Frontfrau Floor Jansen, nun schon seit 2013 dabei, hat bei einem solchen Best-Of die anspruchsvolle Aufgabe, stimmlich sowohl Anette Olzon als auch Tarja Turunen bestmöglich zu ersetzen, und gleichzeitig eine eigene Note mit einzubringen. Floor macht dabei eine gute Figur, auch optisch, doch trotz vieler schöner Passagen schafft sie es (an diesem Abend) leider nicht, besonders der talentierten Tarja in punkto Charme und Tontreffsicherheit das Wasser zu reichen. Erst einen Monat davor war Tarja im Backstage Werk in München zu sehen, sodass beim direkten Vergleich die Karten recht eindeutig auf dem Tisch liegen.

Nichtsdestotrotz ist es vor allem für langjährige Fans ein Genuss, mittlerweile 20 Jahre alte Stücke wie “Gethsemane” oder “Dead Boy’s Poem” live wieder fast wie im Original zu hören, nachdem Anette viele Songs stark abgewandelt gesungen hat. Generell haben NIGHTWISH mit ihrer Ankündigung einer musikalischen Zeitmaschine nicht gelogen – die Hälfte der Songs an diesem Abend stammen aus den 90ern, und zusammen mit den dazugehörigen Grafiken und Bildern der damaligen Touren und Alben fühlt man sich definitiv in die Entstehungszeit der Stücke zurückversetzt. Ob Baumsilhouetten vor rosa Sonnenuntergang, Batikshirt-Wölfe-vor-Mond oder ungeschickte 3D-Animationen bei einem Konzert im Jahre 2018 nun nostalgisch oder peinlich sind, liegt nach einer Kurzumfrage der Redakteurin wohl im Auge des Betrachters.
Als kleine Überraschung spielen NIGHTWISH in der Mitte ihres Sets auch das bisher ungehörte “Elvenjig”, ein Cover eines instrumentalen Traditionals, dessen schnelle Melodie am irischen Dudelsack mächtig viel Spaß macht. Thematisch, wenn auch nicht unbedingt stilistisch dazupassend, mündet der fröhliche Jig in das mittlerweile 21 Jahre “Elvenpath”, das ordentlich nach vorn treibt und in dem Floor nach einigen vorangegangenen Patzern eine tolle Performance abliefert. Nach einem leider sehr kurzen Ausflug ins Imaginarium (“I Want My Tears Back”, “Last Ride of the Day”), bei denen Anettes rockigerer Gesang und Experimentierfreude definitiv fehlt und auch in Zukunft fehlen wird, und weiteren Rückblicken ins vorherige Jahrtausend (“The Carpenter”, “Devil & the Deep Dark Ocean”), spielen die Finnen den wohl einen Song, der sie in den Wahrnehmungsradius der Radiohörer und Pop-Sympathisanten gebracht hat und sicher mitverantwortlich dafür war, dass von diesen der eine oder andere das favorisierte Musikgenre gewechselt hat: “Nemo” aus dem 2004er-Album “Once”.

Die Publikumsreaktionen sind entsprechend lautstark, und so gehen NIGHTWISH nochmal mit voller Power in die Vollen.
Als Highlight des Abends allerdings stellt sich der Zugabenblock heraus. Mit ausschließlich “Élan” als Song aus dem aktuellsten Album im Hauptset waren die Stücke mit Floor als Originalstimme bisher stark unterrepräsentiert, und so legt die Band mit den ersten 15 Minuten aus “Greatest Show on Earth” selbst die eigene Messlatte für Epik nochmal gehörig nach oben. Wunderschön bebildert, mit sichtlich begeisterten Musikern und vor allem mit Floor endlich voll in ihrem Element, greift der Song über Schöpfung, Leben und Sterben zwar tief in die Kitsch-Kiste, trifft aber, wie aller guter Kitsch, dann doch irgendwie mitten ins Herz. Da kann selbst der bis dato ungeschlagene Liebes-Epos “Ghost Love Score” als zweite Zugabe live nur schwer mithalten. Ein besonderes Schmankerl, das sich NIGHTWISH zurecht bis fast zum Schluss aufgehoben haben.

NIGHTWISH spielen an diesem Abend gewohnt routiniert und liefern eine perfekt durchgeplante Show ab, die auf der anderen Seite leider wenig Platz für Improvisation und unerwartete Elemente lässt. Unvermeidbar, wenn Chor und Orchester zwangsläufig vom Band abgespielt werden müssen. Bei all den jahrelangen Diskussionen um die jeweilig amtierende Sängerin und deren Qualität beweist das Konzert aber eindrucksvoll, dass Mastermind Tuomas und seine männlichen Bandmitglieder ein gutes Händchen dafür haben, die passende Sängerin für ihre jeweilige Schaffensphase auszusuchen. Hoffentlich darf Floor noch ein paar Jährchen länger dabeibleiben.

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Fotos von: Janina Stein (Gastfotografin)

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