Konzertbericht: Tarja w/ Serpentyne, Temperance

07.03.2023 Nürnberg, Der Hirsch

Unglaubliche drei Jahre nach dem ursprünglich angesetzten Termin kann die „Raw Tour 2023“ von TARJA endlich stattfinden. Dass die Sängerin auch ohne Nightwish gut zurechtkommt und qualitativ hochwertige Musik erschaffen kann, hat sie mehrfach beweisen können, zuletzt auf dem 2020er-Album „In The Raw“. Doch nach so langer erzwungener Bühnenabstinenz galt es einiges aufzuholen.

Den Abend im Hirsch in Nürnberg eröffnen bereits um 19:30 Uhr SERPENTYNE. Dass die Band wie schon 2018 deutlich vor dem angekündigten Konzertbeginn auftreten muss, sorgt auch dieses Mal für Verwirrung. Wer also pünktlich um 20 Uhr vor Ort ist, erlebt nur noch den Abschied der britischen Symphonic Metaller. Das allerdings ist heute nicht allzu schlimm, denn SERPENTYNE legen einen sehr mäßigen Auftritt hin – und das in allen Belangen: Die Band schafft es leider nicht, den Funken überspringen zu lassen, und wirkt insgesamt etwas deplatziert – schon fast so, als wisse man nicht, was man mit dem anwesenden Publikum anfangen soll. Selbiges ist mindestens genauso irritiert wie die Band, zumal auch der Sound qualitativ zu wünschen übriglässt. Selbst die letzten Bemühungen von Frontfrau Maggiebeth Sand, hier für Stimmung zu sorgen, verhallen so buchstäblich.

Was SERPENTYNE nicht gelingen wollte, schaffen TEMPERANCE anschließend im Handumdrehen: Die Band flutet die Bühne regelrecht mit Energie und Spielfreude und macht den vorangegangenen Auftritt schnell vergessen. Frontfrau Kristin Starkey, die Anfang des Jahres die Nachfolge von Alessia Scolletti angetreten hat, ergänzt Gabriele und Michele gesanglich hervorragend und es entwickelt sich auf der Bühne eine beeindruckende Dynamik, die auch schnell auf das erstaunlich textsichere Publikum überträgt. Die Bandmitglieder spielen sich dabei so gekonnt die Bälle zu, dass das Zuschauen und -hören einfach nur Spaß macht.

Mit „Pure Life Unfolds“, „Breaking The Rules Of Heavy Metal“ und “Diamanti” liegt der Fokus des Auftritts auf dem aktuellen Album der Italiener. Jetzt stimmt auch endlich der Sound, sodass die Drums satt, die Gitarren druckvoll und der variantenreiche Gesang des Trios glasklar im Publikum ankommen. Ein Blick in den Raum zeigt zum einen, dass TEMPERANCE wissen, wie man Bewegung in die Menge bringt, und zum anderen, dass die Kapazität des relativ kleinen Hirsch mit knapp 800 Anwesenden ausgereizt ist. Nach einem recht kurzen Auftritt verlassen TEMPERANCE ein sichtlich zufriedenes Publikum unter verdientem Applaus.

Die anschließende Umbaupause zu überdauern, fällt schwer, da die Geduld der Leute ausgeschöpft scheint. Gegen 21:15 ist es endlich soweit: Unter lautem Jubel betritt TARJA die Bühne und beginnt sichtlich motiviert ihr Konzert mit „Serene“. Schon mit den ersten unverwechselbaren Tönen wird klar, dass dieser Auftritt auf beiden Seiten des Grabens für Gänsehaut sorgen wird. Hier sitzt jeder Ton. Man mag das von einer ausgebildeten Opernsängerin vielleicht erwarten können – diese Professionalität aber live zu erleben, beeindruckt! Das gilt für das gesamte Ensemble auf der Bühne: Allen voran Max Lilja am Cello und Alex Scholpp an der Gitarre wie auch als gesanglicher Gegenpart von TARJA. Insgesamt gelingt der Band damit ein sehr immersiver Auftritt, bei dem es nie einzig und allein um TARJA selbst geht, sondern jeder Musiker seine Zeit im Rampenlicht bekommt und das Können unter Beweis stellen darf – und auch kann.

Das gibt der TARJA wiederum viel Gelegenheit zur Interaktion mit dem Publikum, für kleine Gesten der Dankbarkeit, ausgiebiges Headbangen und die obligatorischen Outfit-Wechsel. In einer ausführlichen und sehr persönlichen Ansprache betont TARJA, wie wichtig ihr die Live-Musik sei und wie dankbar sie ist, wieder auf der Bühne stehen zu dürfen – eigentlich überflüssig, ist ihr das doch das gesamte Konzert über deutlich anzumerken.  Das atmosphärisch dichte „The Golden Chamber“, für das sie sich auf dem E-Piano selbst begleitet, unterstreicht die Aussage anschließend eindrücklich. Auch sonst gestaltet sich der Abend sehr abwechslungsreich, wobei die Auswahl der Songs einen guten Eindruck über die stimmliche Bandbreite der Sopranistin vermittelt: So orientiert sich die Setlist stark am aktuellen Best Of-Album von TARJA, wobei das NIGHTWISH-Cover von „Nemo“ und auch „I Walk Alone“ weit in die Vergangenheit und den Werdegang der Sängerin entführen.

  1. Serene
  2. Demons in You
  3. My Little Phoenix
  4. Anteroom of Death
  5. Diva
  6. Goodbye Stranger
  7. Silent Masquerade
  8. Nemo
  9. The Golden Chamber (Loputon Yö) / You and I
  10. Undertaker
  11. Tears in Rain
  12. Victim of Ritual
  13. Innocence
  14. I Walk Alone
  15. Dead Promises
  16. Until My Last Breath

Als nach 90 eindrucksvollen Minuten die letzten Töne von „Until My Last Breath“ verklingen, gibt es im Publikum kein Halten mehr und die Musiker bekommen ihren wohlverdienten Applaus. Denn fest steht: TARJAs einzigartige Stimme hat auch live nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Ganz im Gegenteil: Auch nach drei Jahren Bühnenabstinenz klingt TARJA live mindestens so beeindruckend wie auf ihren Studioaufnahmen. Damit gehört TARJA auch im Jahr 2023 ganz klar zu den Sängerinnen, die man auf der Bühne erlebt haben muss.

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Fotos von: Andreas Brückner

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