Konzertbericht: The Ocean Collective

25.03.2021 Bremen (Deutschland), Pier 2 (Stream-Show)

THE OCEAN wollten nichts dem Zufall überlassen: 2020 war die Corona-Situation zwar unberechenbar, aber man hatte Hoffnung, dass 2021 wieder Konzerte möglich sein würden. So plante das Musikerkollektiv um den Gitarristen Robin Staps zwei in Sachen Line-Up und Venues identische Touren. Im besten Fall sollte die erste Variante realisiert werden, in der das erste Konzert im Januar stattgefunden hätte. Alternativ hätte die Tour aber auch ungefähr ein halbes Jahr später starten können. Nun ist Ende des ersten Quartals 2021 die Situation nach wie vor nicht wirklich berechenbar, für Club- oder Hallen-Konzerte gibt es immer noch keine wirkliche Perspektive. Trotzdem wollen THE OCEAN nicht darauf verzichten, ihren aktuellen Albumzyklus „Phanerozoic“ auf der Bühne präsentieren. Also spielt die Band den ersten Teil „Phanerozoic I: Palaeozoic“ im Bremer Club 100 (Pier 2) in Form eines Streaming-Konzerts – und da das Quintett durchaus hohe Ansprüche an die eigene Arbeit hat, darf man auf ein außergewöhnliches und wertiges, rund 50-minütiges Streaming-Erlebnis hoffen. Der Ticketpreis liegt bei 13,- Euro und damit im Mittelfeld, wenn man sich die Kartenpreise für größere Online-Konzerte anschaut.

Screenshot der Live-Stream-Show, Foto-Credit: The Ocean Collective Stream

2800 Menschen fasst die Bremer Halle Pier 2 unter normalen Umständen.  Für das THE-OCEAN-Konzert hat sich  neben der Band eine Belegschaft von ungefähr 25 Personen eingefunden, die neben der komplexen Technik eine ganze Menge damit zu tun haben, das Corona-Sicherheitskonzept umzusetzen, welches alle Beteiligten vor einer Infektion schützen soll – was von den örtlichen Behörden auch penibel überprüft wird. Vor dem eigentlichen Konzert gibt es ein ungefähr 20 Minuten langes Interview mit Robin Staps und Loïc Rossetti: Neben dem visuellen und inhaltlichen Konzept des Albums (Es mutet ein wenig ironisch an, dass sich die beiden Alben mit dem großen Artensterben vor mehreren hundert Millionen Jahren beschäftigt und nun aufgrund einer Pandemie lediglich als Stream dargeboten werden können, wie die beiden bestätigen) werden auch die Proben für den Abend thematisiert. Logistisch kein einfaches Unterfangen, in Anbetracht der Tatsache, dass mit Mattias Hägerstrand (Bass) und David Ramis Åhfeldt (Gitarre) zwei Schweden mit an Bord sind, die nach der Einreise Anfang März erst einmal in Quarantäne mussten.

Das Konzert beginnt direkt im Anschluss an das Interview mit dem atmosphärischen Synthesizer-Album-Intro „The Cambrian Explosion“ – und einer bösen Überraschung. Es ist davon auszugehen, dass der Soundmix bei einer so perfektionistisch veranlagten Band wie THE OCEAN ab der ersten Sekunde großartig ist – wenn er denn seinen Weg in den Äther findet. Die ersten zehn Minuten muss sich der Zuschauer allerdings mit dem Mikrofonton der in der Nähe des Schlagzeugs festinstallierten Kamera zufriedengeben, was in Sachen Klangästhetik ungefähr einem Ghettoblaster-Proberaum-Mitschnitt entspricht. So kann bei „Cambrian II: Eternal Recurrence“ von Hörgenuss absolut keine Rede sein.

Screenshot der Live-Stream-Show, Foto-Credit: The Ocean Collective Stream

Als das Problem schließlich behoben ist, wird die Geduld des Zuschauers mit einem wirklich professionellen Konzerterlebnis belohnt: Die Kameraführung und der Live-Bildschnitt passen jederzeit zu den unterschiedlich dynamischen Songpassagen und sorgen in Verbindung mit der aufwendigen, aber niemals aufdringlichen Lichtshow für ein ausgesprochen atmosphärisches Gesamtkonzept. Rotes und blaues Licht und ein wenig Nebel dominieren das Bild, in den härteren Passagen auch mal um massiven Stroboskopeinsatz ergänzt. Da die Band auch unter normalen Bedingungen kaum mit dem Publikum interagiert, sondern eher ihren eigenen Film fährt, fällt (vom ausbleibenden Applaus zwischen den Stücken mal abgesehen) das Fehlen des selbigen weniger ins Gewicht als erwartet. Sicher auch ein Grund, warum das Konzert (im positiven Sinne) immer wieder an einen DVD-Mitschnitt erinnert.

Die Band selbst ist in guter Form. Das letzte Konzert liegt zwar schon rund anderthalb Jahre zurück, aber zumindest wurden alle Songs von „Phanerozoic I: Palaeozoic“ schon einmal live gespielt – Ausnahme ist der Dreiminüter „The Carboniferous: Rainforest Collapse“, den die Band sich erst einmal draufschaffen musste, wie Staps im Interview erklärt. Das tut der Qualität allerdings keinen Abbruch, denn der Song fügt sich nahtlos in die instrumentale Perfektion ein, die THE OCEAN über die gesamte Konzertlänge aufrechterhalten können. Gerade Schlagzeuger Paul Seidel sticht mit seinem detailverliebtem und ultrapräzisem Spiel hervor – eine wahre Freude, dem Mann bei der Arbeit zuzuschauen.

Screenshot der Live-Stream-Show, Foto-Credit: The Ocean Collective Stream

Nach knapp unter einer Stunde und einem fulminanten Finale mit „Permian: The Great Dying“ endet die Show schließlich. Unterm Strich (trotz besager technischer Startschwierigkeiten) ein ziemlich cooles Streaming-Konzert, das eindrucksvoll zeigte, welchen Mehrwert eine saubere und durchdachte technische Umsetzung bieten kann. Dafür ein paar Euro zu zahlen, erscheint definitiv angemessen. Zumal das Konzert für 48 Stunden verfügbar war und in der On-Demand-Version die Tonprobleme des Live-Streams gefixt wurden. Resultat ist ein erstklassiger Sound ab der ersten Minute, was ein zweites Anschauen auf jeden Fall rechtfertigt.

  1. The Cambrian Explosion
  2. Cambrian II: Eternal Recurrence
  3. Ordovicium: The Glaciation Of Gondwana
  4. Silurian: Age Of Sea Scorpions
  5. Devonian: Nascent
  6. The Carboniferous: Rainforest Collapse
  7. Permian: The Great Dying

THE OCEAN sind mit der „Phanerozoic I: Palaeozoic“-Stream-Show ihrem Ruf gerecht geworden. Technisch und konzeptionell geschmackvoll umgesetzt, war der Auftritt ohne Frage ein großartiger Appetizer für die nächsten Konzerte der Band vor Publikum. Wer sich davon allerdings noch zu Corona-Zeiten ein Bild davon machen möchte, bekommt in wenigen Wochen dazu erneut Gelegenheit: Laut Robin Staps wird die Band „Phanerozoic II: Mosozoic / Cenozoic„, den zweiten Teil des aktuellen Albumkonzepts, auf dem virtuellen Roadburn Festival „Roadburn Redux“ präsentieren, das vom 16. bis 18. April über die festivaleigene Internetseite zu sehen sein wird. Fans der Band sollten sich das nicht entgehen lassen!

Screenshot der Live-Stream-Show, Foto-Credit: The Ocean Collective Stream

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