Juni 2021

Review Amenra – De Doorn

Das Wort Auszeit scheint im Wortschatz von AMENRA nicht zu existieren. Seit ihrer Bandgründung im Jahr 1999 sind die Belgier, wann immer es ihnen möglich ist, auf den Bühnen der Welt unterwegs und haben neben ihrer sechsteiligen Mass-Albumreihe und zahlreichen Splits und EPs auch zahlreiche Kunstprojekte, Live-Alben und Bücher veröffentlicht. „De Doorn“ stellt nun das neueste Werk der Speerspitze des belgischen Musik- und Kunstkollektivs Church Of Ra, zu dem auch unter anderem Wiegedood und Oathbreaker gehören, dar.

Wie bereits der Titel verrät, folgt „De Doorn“ nicht der bislang verwendeten Nomenklatur der Alben, die in „Mass VI“ aus dem Jahre 2017 ihren bislang letzten Teil fand. In der Vergangenheit betonte die Band oftmals, dass die Mass-Reihe immer auf privaten Schicksalsschlägen und Verlusten basierte, die in den einzelnen Alben aufgearbeitet wurden. Diese thematische Grundlage ist (glücklicherweise) dieses Mal nicht vorhanden und so bot sich die Chance, eine neue Herangehensweise auszuprobieren. Dafür haben AMENRA die Musik innerhalb der vergangenen drei Jahre im Zuge von zwei Feuerritualen, die sie in Belgien durchgeführt haben, geschrieben. Für diese Rituale wurde jeweils eine Skulptur angefertigt und in einem Kunstzentrum ausgestellt. In eingearbeitete Löcher konnten Einwohner der Stadt Zettel einwerfen, auf denen ihre negativen Gedanken, Gefühle und Erlebnisse standen. AMENRA stellten sich anschließend um die Skulptur herum auf und spielten eigens für diese Anlässe komponierte Songs, während die Plastiken in Brand gesetzt wurden. Die entstandene Musik wurde im Anschluss weiter ausgearbeitet und mit flämischen Texten versehen, um so auch den Bezug zur Muttersprache aufzuzeigen und den Texten eine noch persönlichere Note zu verleihen.

„Ogentroost“ eröffnet die etwa 50-minütige Reise und zeigt eindrucksvoll, warum die Fanschar um Colin H. van Eeckhout und seine Mitstreiter stetig wächst und nahezu fanatische Anhänger hervorbringt. Nach einem bedrohlichen Intro und der ersten von mehreren Spoken-Word-Einlagen wird der drückende Mix aus Sludge, Doom und Post-Metal das erste Mal von der Kette gelassen und Colins emotionale Schreie von Caro Tanghes ruhigem Gesang begleitet. Dadurch entsteht eine perfekte Symbiose aus Schmerz und Hoffnung, die sich auch textlich widerspiegelt. In „De Dood in Bloei“ gibt es anschließend eine kurze Verschnaufpause, in der mit ruhigen Worten und minimalistischer Instrumentierung innegehalten wird, bevor mit „De Evenmens“ der wohl „klassischste“ AMENRA-Song des Albums folgt. Treibende Riffs werden unzählige Male wiederholt und erhalten so einen hypnotischen Charakter, der durch zunächst markerschütternde Schreie und später eindringliche gesprochene Passagen und cleanen Gesang verstärkt wird. Hier erhalten Fans der letzten Studioalben genau das, was sie wollen.

Im Vergleich zu vergangenen Werken fällt auf, dass die ruhigen Passagen zugenommen haben und beispielsweise im abschließenden „Vor Immer“ acht von zwölf Minuten einnehmen. Dadurch wirkt der Kontrast zu verstärkten Parts noch härter als in der Vergangenheit und reißt den Hörer in Kombination mit den emotionalen Texten und dem abwechslungsreichem Einsatz der Stimme von Colin mit. Besonders live verspricht dies eine noch intensivere Erfahrung zu werden, als AMENRA-Shows in der Vergangenheit ohnehin schon waren.

Die Diskographie von AMENRA zeigt eindrucksvoll, wie sich eine Band entwickeln kann, ohne dabei ihre Wurzeln aus den Augen zu verlieren. „De Doorn“ stellt dabei die natürliche Konsequenz dieser Entwicklung und dennoch auch die bislang authentischste Version von AMENRA dar, was nicht zuletzt an den Texten in ihrer Muttersprache liegen könnte. Für Fans emotionaler und atmosphärischer Musik definitiv ein Pflichtkauf.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Wertung: 9.5 / 10

Publiziert am von

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert