Konzertbericht: Amenra w/ Corecass

02.12.2023 Kassablanca, Jena

Amenra in Jena

Es ist 19:45 Uhr, 2 Grad minus und die Schlange vor dem Eingang des Jenaer Kassablancas schrumpft zunehmend ab. Trotz der Kälte und den glatten Wegen um die Location herum haben sich etwa 700 Metal-Fans auf den Weg zum Kassablanca gemacht, um die Post-Metal-Legende AMENRA dort live zu sehen.

Obwohl die fünfköpfige Kombo schon im März mit Igorrr und Der Weg Einer Freiheit gemeinsam in Deutschland unterwegs war, haben die Belgier mit der „Winter 2023“-Tour noch vier Konzerttermine in Bremen, München, Jena und Bochum nachgelegt. Begleitet werden AMENRA dabei von CORECASS, dem Solo-Projekt der Multiinstrumentalistin Elinor Lüdde.

Bereits mit Beginn ihres Auftritts ist das ausverkaufte Kassablanca schon gut besucht und der Weg zu Bar und Merch-Stand ein kleine Herausforderung. Vor der Bühne sind nicht nur vereinzelte Reihen von Konzertbesuchern zu sehen, sondern bereits ein großer Pulk an dicht gedrängten AMENRA-Hörern. Trotz dieses (erwartbar) überwiegenden Metal-Publikums wird die Show von CORECASS wohlwollend aufgenommen. Das ist insofern interessant, als Lüdde, ausgestattet mit zwei Keyboards, einem Apple-Laptop und einer Harfe, nicht annährend im Genre des Haupt-Acts, oder besser gesagt, im Bereich Metal überhaupt, unterwegs ist.

Ihre vorwiegend instrumentale, fast sphärische Musik ist mehr ein zusammengewobener Klangteppich aus einzelnen Motiven als eine Aneinanderreihung von klar unterscheidbaren Songs, wodurch es CORECASS gelingen kann, den Hörer wie in einem Sog zu vereinnahmen. Aufgrund der weniger auf Klimax und mehr auf Atmosphäre ausgelegten Stücke, kann diese Sogwirkung allerdings auch ausbleiben und den Hörer eher ungeduldig werden lassen. Es ist schwer zu deuten, wie der Auftritt von Lüdde und ihrem Gitarristen beim Publikum ankommt, aber trotz der ungewöhnlichen Wahl, diesen Opener zum Anheizen für AMENRA zu nehmen, erntet CORECASS zum Ende ihres Sets anerkennend viel Applaus.

AMENRA 2023 live in München
AMENRA 2023 live in München

Nach 20 Minuten Umbauzeit betreten bereits 4/5 von AMENRA die Bühne, um die letzten Tonchecks zu machen, während sich Sänger Van Eeckhout noch im Backstage-Bereich hinter der Backdrop-Leinwand aufhält. Nach wenigen Minuten verlassen die Musiker wieder die Bühne, die nur wenig später komplett vernebelt wird, während die Beleuchtung bis auf einen weißen Leuchtstrahler Richtung Bühne vollends reduziert wird. Zu dem Zeitpunkt ist das Kassablanca bis auf den letzten Meter gefüllt, die Menschen vor der Bühne und auf dem oberen Rang schauen gebannt ins weiße Nichts, bis Gitarrist Vandekerckhove endlich die ersten Töne anspielt. Was folgt, ist nichts weiter als eine Naturgewalt.

AMENRA 2023 live in München
AMENRA 2023 live in München

Mit ihrem explosiven Songaufbau haben AMENRA die Fans noch vor Ende des ersten Songs für sich gewinnen können. Explosiv deshalb, weil der Wechsel von sanften Melodiebögen hin zu urplötzlichen Ausbrüchen von Riff-Gewittern nicht nur einer der Trademarks der Belgier ist, sondern auch der Garant dafür, dass die Fans während ihrer Konzerte schnell den Nacken kreisen lassen. Die akkurate und schnörkellose Brutalität, mit der AMENRA die instrumental nur minimal begleiteten Spoken-Word-Passagen und den fragilen Klargesang von walzenden Riffs niedermetzeln lassen, ist live noch beeindruckender als auf ihren Alben. Denn anders als andere Post-Metal-Bands verzichten AMENRA auf verspielte Übergänge zwischen den sanften, zurückhaltenden Parts und denen, die direkt in die Magengrube gehen.

AMENRA 2023 live in München
AMENRA 2023 live in München

Damit sich die Konzertbesucher voll auf diesen Mix zwischen Sludge-, Doom- und Post-Metal einlassen können, lenken sie AMENRA nicht mit einer visuell stark aufgearbeiteten Show ab. Stattdessen haben die Belgier auch nach Jena das gleiche Konzept mitgebracht, wie es die Band seit Jahren hat: Auf eine weiße Leinwand hinter der Band werden Bilder in schwarz-weiß projiziert, die die wuchtige und stimmungsgeladene Musik von AMENRA untermalen, ohne davon abzulenken. Und so kommt es fast schon überraschend, dass der Post-Metal-Rausch nach 80 Minuten so beendet wird, wie er begonnen hatte: wortlos.

  1. De dodenakker
  2. De Evenmens
  3. Razoreater
  4. Terziele
  5. Plus près de toi
  6. Voor immer
  7. A Solitary Reign
  8. Diaken
  9. Am Kreuz

Vergleicht man Support- und Main-Act des heutigen Abends miteinander, lässt sich im fast schon gegensätzlichen Spiel beider Projekte doch eine Gemeinsamkeit finden, nämlich Atmosphäre. Während CORECASS diese mit wabernden, sphärischen Klanglandschaften kreiert, bauen AMENRA diese scheinbar nur auf, um sie mächtig und doch berührend wieder zerstören zu können.

Bei all der Unerbittlichkeit, mit der die Belgier ihre tiefschwarz gefärbte Post-Metal-Interpretation in die Köpfe der Zuhörerschaft einprügelt, mag es für den einen oder anderen Konzertbesucher verwunderlich sein, welche letzten Worte auf der Leinwand zu sehen sind: Liefde en Licht, niederländisch für Liebe und Licht. Eine Message, die auf so vielen Ebenen und in so vielen Bereichen wichtiger denn je geworden ist. 

AMENRA 2023 live in München
AMENRA 2023 live in München

 

Publiziert am von

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert