Review I Am Heresy – I Am Heresy

Man merkt häufig, dass man alt wird, wenn sich Bands, die man in seiner frühen Jugend gut fand, nach einer jahrelangen Auszeit wieder zusammentun, wie dies zum Beispiel vor einigen Jahren bei der Post-Hardcore-Legende Boysetsfire der Fall war. Bei einer genaueren Begutachtung des Line-Ups von I AM HERESY, der neuen Band von Boysetsfire-Sänger Nathan Gray, wird einem darüber hinaus bewusst, dass neben der eigenen „Reife“ auch die Bandmitglieder selbst nicht mehr die Jüngsten sind: Der sympathische Musiker mit der markanten Stimme tut sich hier unter anderem mit seinem eigenen Sohn Simon sowie mit Jonah Latshaw, dem ältesten Sohn des Boysetsfire-Gitarristen Joshua, zusammen. Das Erstaunen über diese Tatsache ist allerdings spätestens nach dem ersten Hördurchgang des selbstbetitelten Debüts verflogen: Im Gegensatz zu Nathans Pop-Punk-Nebenprojekt „The Casting Out“, veröffentlicht er mit I AM HERESY ein heftiges, abwechslungsreiches und kurzweiliges Post-Hardcore-Juwel.

Nach einigen einzelnen, scheppernden Klaviertönen kracht „The Sycophant“ als ein chaotischer Bastard aus Metalcore und Post-Hardcore mit einer unfassbaren Wut und Aggressionen fett aus den Boxen. Nathan Grays Stimme ist hier noch einmal angepisster und düsterer als bei Boysetsfire, die Musik setzt primär auf fette Riffs, rhythmische Spielereien und eingestreute Breakdowns, während die Melodien (so sie denn überhaupt auftauchen) eher an dissonante Sägen erinnern. Die Kombination aus Chaos und straighten Riffs ermöglicht es, I AM HERESY musikalisch irgendwo zwischen Old School Hardcore der 90er, Metalcore und Bands wie Converge zu verorten. Dabei klingt die Band nie generisch, sondern bringt durch Interludes und abwechslungsreiche Songstrukturen stets Abwechslung in ihre Musik.
So poltert „ In The Light Of A Decaying Sun“ nach einigen Orgeltönen plötzlich wuchtig nach vorne, bis mehrstimmiges Geschrei über eine sehnsüchtige Gitarre gelegt wird, bevor der Song im Mittelteil immer langsamer und fetter wird und sich wütend dahinschleppt. „And Yet It Moves“ hält als straighter Punkrock-Song dagegen, welcher mit einem unwiderstehlichen cleanen Refrain aufwartet, der so auch bei Boysetsfire stattfinden könnte. Durch die Kombination aus Klavier und Frauengesang im Interlude „Prince Of The Flies“, das bedrohliche Intro von „ Seven Wolves And The Daughters Of The Apocalypse“ oder auch das akustische Outro „Jesus Doesn’t Work Here Anymore“ wird klar, dass I AM HERESY neben Aggression und Wut auch auf eine dichte Atmosphäre setzen.

Sicher werden Kritiker ankommen und hinterfragen, ob es glaubhaft ist, wenn ein knapp 40 Jahre alter Sänger den jugendlichen Ungestüm von Heranwachsenden nutzt, um seine eigene Vergangenheit als Priestersohn und die unterdrückende Rolle von Religion in der Gesellschaft zu verarbeiten. Aber hat man Nathan Gray bei seiner „Hauptband“ Boysetsfire jemals vorgeworfen, nicht hinter seinen politischen Manifesten zu stehen? Eben. I AM HERESY scheren sich einen Dreck um derartige Fragen und lassen ihre Texte und ihre Musik für sich sprechen. Und das tun sie auf eine beeindruckende Weise, die zeigt, dass man durch Leidenschaft und Experimentierfreude einem scheinbar stumpfen Genre viel Abwechslung entlocken kann. Dass das Album mit gut 25 Minuten recht kurz ausfällt, ist dabei nur ein kleiner Wermutstropfen – hier hat man es definitiv mit mehr zu tun als nur einem Lückenfüller bis zum nächsten Boysetsfire-Album.

Wertung: 8 / 10

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