Review Nightwish – Dark Passion Play

Geheimnisvolle mysteriöse Klänge, erst eine flüsternde Stimme, dann sirenenartige Gesänge. Plötzlich der Umschwung, ein dunkel-aggressives Orchester und treibende Drums setzen ein, Bass und Gitarre folgen gleich darauf und alle zusammen intonieren ein dramatisches und wildes Klangschauspiel.
Tuomas versteht es perfekt, den gierigen Hörer gleich zu Beginn hinzuhalten und auf die Folter zu spannen. Nach der „End Of An Era“ wollen die Fans endlich ihre neue Sängerin hören, die mit der schweren Aufgabe, in die übergroßen Fußstapfen einer Tarja Turunen zu treten.

NIGHTWISH zu Beginn ihrer zweiten Ära. Lange wurde es erwartet, entscheidet sich nun schon alles nach zwei Minuten? Dann nämlich setzt bei „Dark Passion Play“ und „The Poet And The Pendulum“ die Neue ein, Anette lässt zum ersten mal ihre Stimmbänder erklingen und macht mit dem ersten Ton überdeutlich, dass sie nicht im geringsten daran interessiert ist, Tarjas Gesang in irgendeiner Art und Weise zu kopieren oder auch nur versuchen, ähnlich zu klingen. Keine klassische, opernhafte Stimme, sondern vergleichsweise vielmehr ein Stimmchen, kraftvoll und zerbrechlich zugleich, anmutig, schön und angenehm zu hören. Einige Durchläufe sollte man der Neuen gönnen, ehe man urteilt. Mein Urteil fällt nach genauem Hinhören eindeutig aus: Der Wechsel hat nicht geschadet, NIGHTWISH sind nicht tot und ich vermisse Tarja in keiner einzigen Sekunde des gesamten Albums, und das ist mit über 75 Minuten nicht gerade kurz.

Erst reichlich sperrig und erschlagend mag „The Poet And The Pendulum“ als Opener wirken, fast 14 Minuten dauert dieses Mammutwerk und NIGHTWISH gestalten den Einstieg damit so schwer wie nie zuvor. Erst ein dramatisches Intro, ein recht simpler Strophe-Refrain-Teil… und dann? Melancholie, Wut, Erhabenheit, Aggression, Bombast, zarte Verletzlichkeit. Eine Reise durch das gesamte Spektrum von NIGHTWISH und weit darüber hinaus. Ein komplexes, beeindruckendes Meisterstück, das sich beileibe nicht von Anfang an als solches offenbart. Ein Hinweis, der für das komplette Album gilt: Nebenbei gehört wirkt „Dark Passion Play“ reichlich gewöhnlich und durchschnittlich, mit Aufmerksamkeit gehört entpuppt es sich als vielschichtige, facettenreiche und detailverliebte Großtat.

„Bye Bye Beautiful” beschließt die erste NIGHTWISH-Ära nun endgültig, Tuomas lässt es sich nicht nehmen, ein letztes mal mit Tarja abzurechnen („Did you ever hear what i told you / Did you ever read what i wrote you” […] “Did we get this far just to feel your hate?” usw.) und das Erlebte auf diese Weise zu verarbeiten. Folglich bekommt man hier auch keine Schmusenummer geboten, sondern eine hart-stampfende Nummer, hier werden Anettes Gesang und zuckersüße Melodien konkurrieren und harmonieren mit dem aggressiven Marco Hietala und dem durchdringenden Beat. Fast schon symbolisch erscheint es, das mit „Amaranth“ direkt darauf ein liebliches und umscheichelndes Lied steht, nach diesem komplexen und harten Beginn beinahe schon eine herzliche akustische Umarmung an die treuen Fans.

An dieser Stelle sei unbedingt anzumerken, welch großartiger Songwriter Tuomas Holopainen ist. Nicht nur die Anfangsstücke strotzen gerade zu vor Kraft und Leben, das gesamte Album ist durchzogen von einer neu gewonnenen positiven Energie. „Dark Passion Play“ ist, nicht zuletzt dank des fantastisch eingesetzten und nahezu perfekten Londoner Orchesters, das bombastischste, epischste, düsterste und härteste NIGHTWISH-Album aller Zeiten und dazu auch noch das Komplexeste und Abwechslungsreichste. Ganz nebenbei erwähnt zählt man im Booklet über 130 (!!!) Namen des Orchesters und des Chors, wahnsinnig.

Wieder symbolisch könnte an dieser Stelle „Cadence Of Her Last Breath“ stehen: Atemloses, erschöpftes Keuchen nach Luft zu Beginn – lasst die Vergangenheit ruhen und uns nach vorne blicken, derart befreit wirkt das Stück. „Master Passion Greed“ etwa ist wohl zweifellos das härteste Lied der Band überhaupt. Anette macht komplett Pause, Marco wütet sich durch die sechs Minuten, die mit disharmonischen verzerrten Klängen enden und direkt in die typische NIGHTWISH-Schmacht- und Schluchzhymne „Eva“ überleiten. Mit „Sahara“ folgt eine schleppende und sogar fast schon doomige Nummer mit mächtig eindringlichem Refrain, die anschließende Frage „Whoever Brings The Night“ wird direkt auf der Tanzfläche aus unzähligen Kehlen beantwortet. Fast schon kurios wirkt an dieser Stelle das unscheinbare und gewöhnlich wirkende „For The Heart I Once Had“, Härte und Komplexität werden komplett rausgenommen, tatsächlich eine feine Auflockerung.

Nach einer 50-minütigen Achterbahnfahrt der Gefühle legen NIGHTWISH noch einen drauf: „The Islander“ und das instrumentale „Last Of The Wilds“ zeigen eine ganz neue Seite der Finnen und bieten keltische Elemente und Irish Folk. Hu? Damit konnte wirklich niemand rechnen, man reibt sich erst verwundert Ohren und Augen, schwelgt und träumt dann aber schnell zu den romantischen Klängen dahin. Noch einmal wird es komplex, „7 Days To The Wolves“ vermischt Metal, Orchester und Folk zu einem bombastischem Ganzen und „Meadows Of Heaven“ beschließt das Album als traumhafte, eindringliche Halbballade, die zum Schluss noch mal anzieht.

Ich bin schlichtweg geplättet. „Dark Passion Play“ übertrifft Meisterwerke wie „Oceanborn“ und „Once“ noch um ein Stückchen, NIGHTWISH ziehen auf Album 1 nach Tarja mehr denn je in ihren Bann. Mit Anette gewinnt die Band nicht nur ein neues und unglaublich weites Klangspektrum und damit verbunden eine Vielzahl neuer Gefühle, die man ausdrücken kann. Nein, die Band wirkt nun auch nicht mehr wie Tarja und Anhang, sondern wie eine richtige Band, und das wirkt sich ganz offensichtlich auf die Musik aus.

Eines meiner Alben des Jahres, ganz großes Kino! Und Kino sage ich nicht zum Spaß, „Dark Passion Play“ wirkt über weite Strecken wirklich wie ein mächtiger Soundtrack. Deswegen empfehle ich die Digipack-Ausgabe, sie enthält eine Bonus-CD mit dem kompletten Album als Instrumental-Version, ein ganz neues und absolut großartiges Erlebnis für Freunde opulenter Musik, teils sogar mit neuen Chorarrangements, die es auf dem normalen Album nicht zu hören gibt. Doch nun genug der vielen Worte – NIGHTWISH lebt, und wie!

Wertung: 9.5 / 10

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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