Review Sodom – Agent Orange

„Wir sind ja keine satanische Band mehr, wir machen nämlich politische Stücke und auch über Naturkatastrophen und Krieg!“, verkündete der damals junge Tom Angelripper mit seinem Ruhrpottcharme schon zum Vorgängeralbum „Persecution Mania“. Mit diesem konnten SODOM den bösen Zungen, die sie (anfangs zugegebenermaßen nicht gänzlich unbegründet) als dilettantische Rumpelkombo „Saudumm“ verschrien, bereits die Mäuler stopfen, denn mit Produzent Harris Johns hatte man jemanden zur Seite, der die kreativen Ergüsse der Gelsenkirchener erstmals in ein anständiges Soundgewand packte. Mit dem dritten Full-Length-Album „Agent Orange“ ging man 1989 den Pfad weg vom Black Metal hin zum Thrash Metal konsequent weiter.

Durch die erneute Zusammenarbeit mit Johns erreichte das Trio im Horus Sound Studio in Hannover produktionstechnisch zuvor unerreichte Höhen und konnte sich als eine der führenden Gruppen der noch jungen deutschen Thrashszene etablieren. Zudem waren die Musiker durch ausgiebige Touraktivitäten in den vorherigen Jahren näher als Band zusammengewachsen und so besser aufeinander eingespielt als jemals zuvor. Eine Einheit, die nicht von allzu langer Dauer war, wie sich später herausstellte, als Frank Blackfire seine beiden Kollegen kurz nach den Aufnahmen und drei Wochen vor der anstehenden Europatour mit Sepultura im Regen stehen ließ und zu Kreator wechselte. Das änderte freilich nichts am Erfolg von „Agent Orange“, das als erstes Thrash-Metal-Album überhaupt in die deutschen Media Control Charts einstieg, dort bis auf Platz 36 kletterte und somit den kommerziellen Durchbruch für SODOM bedeutete.

Die Faszination Angelrippers für den Vietnamkrieg ist auf „Agent Orange“ allgegenwärtig. Das beginnt bei dem fantastischen Artwork, das wohl bis zum heutigen Tage eins der gelungensten aus der Feder von Andreas Marschall überhaupt darstellt, und endet bei der Kriegsthematik der Songs, die sich wie ein roter Faden durch das komplette Album zieht. Hier wird es teilweise richtig detailliert: So prangert der Titeltrack den Einsatz des von den US-Truppen benutzten Entlaubungsmittels und dessen gesundheitliche Spätfolgen für die Vietnamesen an, während „Magic Dragon“ der Spitzname einer bestimmten im Vietnamkrieg eingesetzten Baureihe von Kampfflugzeugen ist. Doch auch Themen wie Inzest und Stierkampf („Incest“, „Exhibition Bout“) werden in den Texten angesprochen. Nichtsdestoweniger konnten SODOM mit der kritischen Auseinandersetzung mit Aspekten des Kriegs ihre pazifistische Einstellung kundtun und Faschismus-Vorwürfe (hauptsächlich aufgrund des mit der Nationalhymne versehenen, missverstandenen Stückes „Bombenhagel“) endgültig ausräumen.

Auch beim Songwriting konnte der Dreier nochmals eins draufsetzen. Während sich mit „Baptism Of Fire“, „Incest“ und „Exhibition Bout“ drei SODOM-typische kompromisslose Knüppler auf der Scheibe befinden, in denen nur kurz etwas auf die Bremse getreten wird, beeindrucken andere Tracks mit abwechslungsreichen Strukturen und Tempowechseln: Der Titeltrack rockt im Midtempo los, um dann in eine wüste Thrash-Attacke überzugehen, die von den keifenden Shouts von Angelripper, der jede Silbe stoisch zwischen seinen Lippen herauspresst, ergänzt wird. Bei „Tired And Red“ ist sogar ein Akustik-Break eingebaut, während „Remember The Fallen“ eine hauptsächlich in mäßigem Tempo gehaltene Nummer ist, in die einzelne Speed-Parts eingestreut sind. „Magic Dragon“ hingegen hat mit seiner graduellen Steigerung wohl den interessantesten, spannendsten Aufbau. Der an Motörhead erinnernde Kult-Klassiker „Ausgebombt“ (von dem im selben Jahr eine deutschsprachige Version mit Gastsänger Bela B. veröffentlicht wurde) und die Coverversion von Tanks „Don’t Walk Away“ verleihen der Langrille zuletzt noch eine ordentliche Prise dreckigen Rock ‘n’ Roll.

Es besteht kein Zweifel, mit „Agent Orange“ ist SODOM ein Meisterwerk gelungen, an dem sich bis heute noch jede neue Veröffentlichung der Ruhrpottler messen lassen muss. Nicht ohne Grund schaffen es in der Regel aus dem alles andere als mageren Songrepertoire der Thrasher drei Songs dieser Platte auf die Setlist jedes SODOM-Konzerts. Doch auch außerhalb des Kontexts der Banddiskographie kann man hier von einem der Klassiker des (deutschen) Thrash Metals sprechen, der die Jungs auf dem vorläufigen Höhepunkt ihres Schaffens zeigt und deshalb in keiner Sammlung fehlen sollte. Wer „Agent Orange“ noch nicht sein Eigen nennt, kann bei dem im Jahr 2010 veröffentlichten Re-Release mit neuem Artwork, Linernotes, unveröffentlichten Fotos und Bonus-Live-CD zugreifen.

Wertung: 10 / 10

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