Review The Ocean – Precambrian

Wer das OCEAN COLLECTIVE nicht weiter kennt wird sich beim Lesen der Einführung (siehe oben) seine lieben Gedanken machen: Zunächst einmal die elend lange Liste an beteiligten Künstlern, allen voran Ideengeber und Multitalent Robin Staps und neben dem nicht weniger als 23 weitere Personen – hier haben wir es wohl mit einer der längsten Besetzungs-Listen der Metal1.info Geschichte zu tun. Folge leistet die nicht weniger anstrengend zu lesende Tracklist: „Precambrian“ ist ein Konzeptalbum bestehend aus zwei CDs aufgeteilt in 5 Kapitel welche wiederum in die einzelnen Tracks geteilt sind. Beim hören ist davon allerdings nicht viel zu merken. Würde man am CD Player keine Track-Anzeige haben würde man nicht merken, in den 84 Minuten durch insgesamt 14 Tracks zu wandern.

In der Vergangenheit konnte das Kollektiv bereits mit „Aeolian“ für Aufruhr sorgen, zwar galten die sehr ausgefallenen Arrangements der Band stets als Geheimtipp, doch so erfolgreich wie zuletzt zu sein wurde der Band erst in der jüngeren Vergangenheit vergönnt. Ich denke nicht zuletzt durch den ansteigenden Erfolg der Band werden die Mitglieder zu solch extremen Sachen angeregt – trotzdem war selbst das Debüt „Fogdiver“ (EP) schon mit allen Vorzügen ausgestattet, die THE OCEAN ausmachen. Darüber hinaus – und das dürfte wohl das Allerwichtigste sein – konnten THE OCEAN trotz all den verschiedenen Mitgliedern stets den eigenen Sound an den Mann bringen. Früher noch etwas mehr an Post-Hardcore orientiert, später aber immer mehr in die progressive Richtung, zunehmend auch mit nicht übersehbaren Sludge- oder sogar Death- Elementen. Darüber hinaus sollten einem die ausführlich erwähnten klassischen Instrumente verraten, dass man mit THE OCEAN und insbesondere mit „Precambrian“ immer wieder Instrumental-Stücke zu hören bekommt, manchmal ruhig, aber oft genug auch nervös, hektisch und düster. Niemals nach einem vorhersehbaren Muster – stets an Stellen an denen man nicht damit rechnen würde.

Geradezu beispielhaft beginnt schließlich das Album mit dem ersten Track „Hadean“. Ein sehr aggressiv und unruhig wirkendes Stück stellt die pompöse Einleitung dar. Die gut dreieinhalb Minuten vergehen wie im Flug und der Übergang zum folgenden Track „Eoarchaean“ ist wie versprochen sehr verdeckt. Richtig auffällig an den beiden Songs ist, dass bereits die von mir angesprochenen ersten sieben Minuten der CD enorm viel Abwechslung bieten. Der Einstieg war monströs, brutal und ungemütlich – das Gegenstück dazu folgt sofort darauf. Es geht alles andere als ruhig zur Sache, aber THE OCEAN zeigen hier alte Stärken indem gekonnte Strukturen und Abläufe ins Spiel gebracht werden. Wechselnde Dynamiken machen bereits die erste der beiden CDs zu einem hervorragenden Hörspiel, wobei anzumerken ist, dass es die Band selbst ist, die die erste CD „Hadean/Archean“ als wesentlich unruhiger und aufreibender betrachtet als das, was noch folgen wird. Und trotzdem besticht die Band schon jetzt mit alten Tugenden kombiniert mit neuen Anleihen aus dem Gebiet des Sludge. Darüber mögen manche Leute gerne diskutieren, ich aber sehe das so und Sludge ist ja trotz allem ein sehr breitgefächertes Genre.

22 Minuten mögen eine nicht allzu lange Zeitspanne sein, aber der erste Teil des Albums erzeugt bereits eine sagenhafte und unnachahmliche Stimmung, die man so nirgendwo anders erleben darf. „Precambrian“ als Ganzes handelt übrigens von unserem Planeten, der Erde. Alles dreht sich um die Entstehung unserer aller Heimat, wie unschwer an den geologischen Titeln zu erkennen sein dürfte. Die von mir weiter oben erwähnte Aussage der Band, der erste Teil des Albums sei der brutalere und schier komplexere leitet sich demzufolge auch ganz einfach hiervon ab: Hadean war der erste Zeitabschnitt der Entstehungsgeschichte und liegt stolze 4700 Millionen Jahre zurück. Logische Konsequenz: Der nun folgende zweite Teil „Proterozoic“ verspricht etwas ruhiger, aber trotzdem nicht weniger aufregend zu werden. „Siderian“ und „Rhyacian“ spiegeln in den zusammengefasst 13 (!) Minuten Spieldauer wider, mit was für einem Meisterwerk wir es hier zu wohl tun haben.

Den Erwartungen entsprechend beginnt Disc 2 mit sanfteren Tönen. Cleane Gitarren, Saxophon und später melodischer Gesang von einem der vielen Vokalisten bilden ein spektakuläres Klangbild. Der Übergang zwischen den einzelnen Tracks ist abermals gleitend und fällt kaum auf. Wenn ich wollte – ich könnte den Umfang alleine von den ersten zwei Tracks nicht vernünftig in Worte fassen. Mir bleibt nur übrig zu sagen, dass sich hier eine Band weit aus dem Fenster lehnt, diesen Drahtseilakt aber zu jeder Sekunde beherrscht und den „Zuseher“ (in diesem Fall natürlich Zuhörer) in seinen Bann zieht. „Statherian“ so ein Beispiel für diese Gratwanderung – cleane E-Gitarre, Violine und das Sprachsample leiten den Song ein, später läuft das Stück über zu einem treibenden aber stets kontrollierten Instrumental mit bestimmender Bassline. Alle nur erdenklichen Instrumente kommen vor und bieten ein sehr weites Spektrum an dem was THE OCEAN bieten. Zum Ende hin (nach spektakulären sechs Minuten erreicht es mich) gibt es tiefe verzerrte Gitarren und hervorragend passende Drums – einfach eine beispiellose Komposition wie sie so wohl einzigartig sein dürfte. Hinzufügend erwähne ich die Motivation des lyrischen Teils des Albums. Der französische Dichter Comte de Lautréamont spielt hier die maßgebende Rolle für die meisten auf „Precambrian“ vorkommenden Texte. „In erster Linie kommen Zitate des Surrealisten vor, inhaltlich spielt Lautréamont und sein Werk „Die Gesänge des Maldoror“ eine durchaus tragende Rolle“, so die Band.

Neo-klassische Stücke umgeben von monströsen und furchteinflößenden Strukturen – „Precambrian“ ist „Die Schöne und das Biest“ oder „Der Wolf im Schafspelz“. Das mögen seltsame Vergleiche sein, so abwegig sind sie aber nicht. Wer mir keinen Glauben schenkt sollte sich nur ein einziges Mal intensiv mit diesem Album beschäftigen. „Ectasian“, „Statherian“ oder der Doppeltrack „Siderian / Rhyacian“ zeigen auf Anhieb was 84 Minuten THE OCEAN bedeuten. Klassik in Einklang mit brutalen Riffs und hektischen Abläufen, ich denke solch qualitative Alben wird man auf diesem Sektor nicht allzu oft erblicken – die Wertung ist reine Formsache.

Wertung: 9.5 / 10

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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