Interview mit Joakim Sterner von Necrophobic

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Vom Cover bis zum Songwriting: Mit „In The Twilight Grey“ haben NECROPHOBIC auf verschiedenen Ebenen neue Wege beschritten. Das alleine wäre Grund genug für ein Interview mit Drummer und Gründungsmitglied Joakim Sterner – doch „In The Twilight Grey“ ist obendrein das zehnte Album der Band, die 2024 ihr 35-jähriges Bestehen feiert. Darum haben wir mit Joakim nicht nur über die Gegenwart, sondern auch den Werdegang von NECROPHOBIC gesprochen.

Euer neues Album ist euer zehntes Studioalbum. Herzlichen Glückwunsch! Hättest du dir jemals träumen lassen, dass NECROPHOBIC eines Tages ihr 35-jähriges Bestehen mit der Veröffentlichung ihres zehnten Albums feiern würden?
Ja, danke schön! Nein, ich hätte damals, als wir angefangen haben, nicht gedacht, dass es diese Band so lange geben würde, wie es sie inzwischen gibt. Aber ich habe damals nie in diesen Dimensionen gedacht, wenn du weißt, was ich meine. Es war alles neu, und man wollte einfach den Namen und die Musik überall verbreiten.

Euer Debüt „The Nocturnal Silence“ ist auch heute noch ein Klassiker – auch wenn das Cover mit dem lila-roten Pentagramm etwas gewöhnungsbedürftig ist. Wie kam es zu diesem Cover, und wie denkst du heute darüber?
Ich hatte mich mit dem Künstler Urban Skytt angefreundet, der auch Gitarrist der schwedischen Death-Metal-Band Crematory war … ich glaube, diese Crematory wurden noch vor den deutschen Crematory gegründet. Ich mochte seinen Stil und fragte ihn, ob er Kunst für NECROPHOBIC machen würde. Er hat vier Artworks für NECROPHOBIC gemacht: für die Demo „Unholy Prophecies“ von 1991, die 7-Inch „The Call“ von 1992, das „The Nocturnal Silence“-Album von 1993 und das Artwork, das ich für das Compilation-Album „Satanic Blasphemies“ von 2010 verwendet habe. Das Bild selbst ist schon 1993 entstanden, aber ich weiß nicht mehr, wofür es gedacht war. Ich halte das Artwork von „The Nocturnal Silence“ für ikonisch. Es ist ein sehr gutes Airbrush-Bild für ein Debüt-Album. Das Originalbild, 50 x 50 cm, hängt gerahmt an meiner Wand.


Eure Nachfolgealben wurden auch alle sehr gut aufgenommen – aber ihr hattet nie den großen kommerziellen Durchbruch wie Gorgoroth oder Dark Funeral. Was glaubst du, woran das lag – und bedauerst du es, oder bist du glücklich mit dem, wo du jetzt bist?
Es hat alles damit zu tun, dass wir es nie geschafft haben, in der Anfangszeit auf Tour zu gehen. Wir haben es versucht, aber wir hatten damals noch keine Booking-Agentur und unser Label, Black Mark Production, hat uns bei dieser Art von Geschäften nicht sehr geholfen. In gewisser Weise bedauere ich, dass es nicht dazu gekommen ist, aber heute nicht mehr so. Wir sind jetzt auf einem guten Niveau, und wir haben hart gearbeitet, um dorthin zu gelangen. Wir werden immer noch größer und größer. Das ist eigentlich ziemlich gut, wenn man bedenkt, dass wir eine 35 Jahre alte Band sind. Die meisten Bands neigen dazu, in ihrer späteren Karriere an Popularität zu verlieren, aber nicht wir. Wir werden größer.

Nach „Death To All“ gab es einen Split, Johan Bergebäck und Sebastian Ramstedt verließen NECROPHOBIC. Auf „Womb Of Lilithu“ bist du als einziger von eurer heutigen Besetzung zu hören. Wie kam es zu diesem Split?
Wir haben zwischen 2000 und 2010 viel gespielt, und Sebastian und Johan wollten eine Pause oder Auszeit von der Band nehmen. Tobias, unser ehemaliger Bassist und Sänger, später nur noch Sänger, wurde nach ein paar Monaten unruhig und sagte mir, dass er nicht mehr auf Sebastian und Johan warten wolle und dass er mit neuen Gitarristen weitermachen wolle. Zuerst gefiel mir die Idee nicht, aber Tobias ist ein sehr überzeugender Mensch und kurze Zeit später hatten wir zwei neue Gitarristen und einen Supportslot für die Europatour mit Morbid Angel. Nach dieser Tour haben wir dann „Womb Of Lilithu“ aufgenommen, das 2013 veröffentlicht wurde.

Nach dem Album trennte sich die Band von Tobias Sidegård, nachdem ein Vorfall von häuslicher Gewalt öffentlich wurde. Hat das die Tür für die neue Formation geöffnet, nicht nur mit Anders Strokirk, sondern auch wieder mit Sebastian und Johan?
Unser Bassist Alex hat Anders in einer Kneipe getroffen, wo dieser ihm erzählte, dass er gerade seine Band Blackshine aufgelöst hat. Alex erzählte mir davon und ich fand, dass das perfektes Timing ist. Ich schlug vor, dass wir Anders rekrutieren … und das taten wir. Und wir fingen wieder an, auf der ganzen Welt Konzerte zu spielen. Zwei Jahre später hatte ich wieder Kontakt zu Sebastian und Johan, die ich in vielerlei Hinsicht sehr vermisste, und das brachte mich dazu, eine weitere schwere Entscheidung zu treffen. Am Silvesterabend 2016 präsentierten wir das neue, starke Line-up.

NECROPHOBIC in der Besetzung von 2019 (mit Metal1.info-Chefredakteur Moritz Grütz); © Christioph Emmrich/Metal1.info


Die beiden daraus resultierenden Alben waren sich zeitlich recht nah, es lagen nur zwei Jahre dazwischen, aber auch optisch so ähnlich, dass sie fast zusammenzugehören schienen: Beide zeigten ein dunkles Portal in feurigem Glanz. Jetzt habt ihr vier Jahre gebraucht, und das Cover ist völlig anders – habt ihr mit „In The Twilight Grey“ eine neue Phase eingeleitet?
Wie du schon sagtest, sind „Mark Of The Necrogram“ und „Dawn Of The Damned“ miteinander verbunden, weil sie mehr oder weniger dem gleichen kreativen Prozess entsprungen sind. Danach kam die Pandemie, die zu einer unnatürlichen Pause führte, sodass wir, als alles vorbei war, zu einem Neustart und einer neuen kreativen Phase übergingen, und wir beschlossen, dass wir keine weiteren Albumcover mehr machen konnten, zum Beispiel in Bezug auf dieses Schloss, die ja ursprünglich vom „Darkside“-Artwork stammt. Die Musik ist aber natürlich immer noch NECROPHOBIC, wenn auch mit einigen neuen Wegen. Aber für das Album-Artwork haben wir beschlossen, etwas Neues zu versuchen.

Das Bild wurde von Jens Rydén gemacht, der bislang nur eure Bandfotos gemacht hat. Warum habt ihr euch entschieden, dieses Mal auch das Cover von ihm machen zu lassen, anstatt wieder ein Bild von Kristian Wåhlin zu verwenden?
Wir haben beschlossen, alle Arbeiten an Jens zu geben, da wir alle seine Arbeit mögen. Ich habe eng mit ihm am Layout gearbeitet und ihm gesagt, wie ich mir die Fotos und das Layout vorstelle, aber ich habe ihm auch die Möglichkeit gegeben, das Artwork für das Albumcover zu gestalten. Er hat fantastische Arbeit geleistet, und es ist ein tolles Gefühl, etwas Außergewöhnliches auf dem Albumcover zu haben. Es sticht heraus!

Künstliche Intelligenz ist im Moment ein großes Thema im Metal. Was denkst du darüber – hältst du es für legitim, künstliche Intelligenz zu benutzen, um etwa ein Cover zu gestalten?
Ich weiß nicht, wie ich das in diesem frühen Stadium kommentieren soll. Auf neue Dinge reagieren die Leute immer negativ, weil sie ihnen völlig fremd sind. Ich denke, dass es bisher nicht die besten Kunstwerke waren, aber die Technik befindet sich noch in einem sehr frühen Stadium. Ein großartiger Künstler mit Interesse an dieser neuen Technologie und der entsprechenden Geduld dürfte in der Lage sein, ein starkes und krankes Artwork zu produzieren. Lass uns einfach mal abwarten …

NECROPHOBIC auf dem Vienna Metal Meeting 2022
Tobias Christiansson mit NECROPHOBIC auf dem Vienna Metal Meeting 2022; © Afra Gethöffer-Grütz/Metal1.info

Das Album ist euer erstes mit Tobias Christiansson am Bass, die Veränderung ist sehr hörbar, der Bass klingt tatsächlich anders, lässig schnarrend. Das gefällt mir sehr – war das seine Entscheidung, oder wolltet ihr es sowieso anders haben?
Er ist der fähigste Bassist, den wir je hatten, also wollten wir natürlich, dass er glänzt. Aber wir haben uns auch entschieden, die neue Produktion so „klar“ wie möglich zu gestalten, damit man jedes Instrument hören kann, ohne die Rohheit zu verlieren. Ich denke, das ist uns sehr gut gelungen.

Ich habe das Gefühl, dass ihr die Thrash-Komponente etwas reduziert habt – stellenweise ist das Album fast ein bisschen kitschig, man könnte sagen, „As Stars Collide“ kommt mir als Beispiel in den Sinn, mit Chören und Schaukelmelodien. Gibt es eine Erklärung für diesen subtilen Stilwechsel, habt ihr das Album anders geschrieben oder ein anderes Ziel verfolgt als bei den letzten beiden?
Man kann nicht entscheiden, was in einem kreativen Prozess herauskommt, aber was man tun kann, ist zu wählen, was aus diesem kreativen Prozess verwendet und aufgenommen werden soll. Ja, es gibt einige neue Ideen, die es auf das Album geschafft haben, und wir haben uns dafür entschieden, weil wir das Material als stark empfunden haben – und auch die Musik, die ein bisschen anders klingt, klingt immer noch sehr nach NECROPHOBIC. Ansonsten hätten wir es nie aufgenommen.

Die limitierte Edition enthält zwei Bonustracks – „Blackened The Horizon“ und „The Torture Never Stops“, eine vom gleichnamigen Frank Zappa-Song inspirierte Coverversion eines W.A.S.P.-Songs. Wie ist deine Beziehung zu W.A.S.P. und Zappa?
W.A.S.P. gehört zu meinen absoluten Lieblingsbands, aber zu Zappa habe ich nicht so viel Bezug. Das Cover des W.A.S.P.-Songs war nicht geplant. Ich beschloss, alle anderen Bandmitglieder mit diesem Song zu überraschen. Als ich alle anderen Schlagzeugspuren für das Album aufgenommen hatte, hatte ich noch etwas Zeit – und wir haben schon vor vielen, vielen Jahren darüber gesprochen, dieses Cover zu machen. Also habe ich dem Produzenten gesagt, diesen Song anzuschmeißen und mein Drumming aufzunehmen. Der Rest der Band ist ausgeflippt, als sie es gehört haben.

NECROPHOBIC auf dem DARK EASTER METAL MEETING 2023
Joakim Sterner mit NECROPHOBIC auf dem DARK EASTER METAL MEETING 2023; © Afra Gethöffer-Grütz/Metal1.info


Welches Stück des Albums würdest du jemandem vorspielen, der noch nie von NECROPHOBIC gehört hat, um ihn zu überzeugen, die CD zu kaufen?
Wahrscheinlich „Shadows Of The Brightest Night“. Dieser Song hat sehr viel von dem, was NECROPHOBIC ausmacht. Das kalte, dunkle und großartige Gefühl und die unheimliche Melodie.

Und welcher Song ist es für einen langjährigen Fan?
Natürlich derselbe Song.

Apropos CDs: Einige eurer Alben waren jahrelang gar nicht oder nur zu Sammlerpreisen auf Gebraucht-CD-Plattformen erhältlich, bevor sie 2022 endlich neu aufgelegt wurden. Was ist da passiert?
Wir hatten im Laufe unserer Karriere verschiedene Plattenlabels, einige davon gibt es heute gar nicht mehr. Unlängst haben wir das geregelt bekommen, und jetzt besitzen wir alle unsere Alben selbst. Im Jahr 2021 haben wir zusammen mit unserem jetzigen Label, Century Media Records, die Entscheidung getroffen, den gesamten Backkatalog ein für alle Mal zu veröffentlichen und alle Formate zur Verfügung zu stellen, um unsere Fans – und neue Fans – glücklich zu machen. Ich habe mir anderthalb Jahre lang den Arsch aufgerissen für diese Wiederveröffentlichungen.

Danke für deine Zeit – lass uns mit einem kurzen Brainstorming abschließen:
Judas Priest: Eine der besten Heavy-Metal-Bands der Welt
In Aphelion: Sie werden ihr zweites Album in voller Länge noch in diesem Jahr veröffentlichen. Großartige Musik!
Slayer-Reunion: Ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird.
Künstliche Intelligenz: Zu früh, um sich eine Meinung bilden zu können.
Grave-Split: Traurig.
NECROPHOBIC in zehn Jahren: Die erste Band, die im Weltraum spielt!

NECROPHOBIC auf dem Vienna Metal Meeting 2022
NECROPHOBIC auf dem Vienna Metal Meeting 2022

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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