Interview mit Barney Ribeiro von Nervecell (Vereinigte Arabische Emirate)

Die Vereinigten Aramischen Emirate sind eines der reichsten Länder der Welt, aber auch als restriktiv verrufen. In Teil zwölf unseres Specials sprachen wir mit Barney Ribeiro von NERVECELL über Probleme mit rivalisierenden lokalen Promotern und die Wichtigkeit, in Europa zu touren.

Dubai ist in den letzten Jahren zu einem der meistbesuchten Orte der Welt geworden. Und doch scheinen die Metalfans in Europa relativ wenig über euer Land und die lokale Metalszene zu wissen. Wie würdest du die Szene beschreiben – ist da viel los? Wie viele Bands gibt es bei euch?
In Bezug auf Metal muss man sagen, dass es eine recht junge Szene ist, besonders im Vergleich mit Europa und natürlich den USA. Es gab eine Menge Höhen und Tiefen in der Szene, aber das hat vor allem mit den Leuten zu tun, die hier leben. Die meisten Leute kommen hier als Auswanderer her und bleiben normalerweise zwischen fünf und zehn Jahren, bevor sie wieder nach Hause zurückkehren. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind wahrscheinlich das offenste bzw. aufgeschlossenste Land in der Golfregion in Bezug auf die Regeln und Regulationen, die wir hier bezüglich Unterhaltung und Livemusik haben. Es gibt tatsächlich eine Menge Bands, aber die, die touren, Alben veröffentlichen und praktisch hauptberufliche Musiker sind, kann man an einer Hand abzählen. Metal war hier, wie auch überall sonst, immer der Underdog, also tun wir als NERVECELL unser bestes um die Musik in dieser Ecke der Welt am Leben zu erhalten. Als Extreme-Metal-Band haben wir unsere Fanbase immer wieder aufgebaut, da sie sich dauernd verändert. Wir erfahren aber eine Menge Unterstützung. Wir sind schon 16 Jahre dabei, also spiele ich praktisch schon mein halbes Leben in NERVECELL und wir versuchen der Presse und den Medien hier beizubringen, worum es im Metal wirklich geht.

Nervecell press 1Wie sieht die Infrastruktur für Musik bei euch aus? Gibt es viele Orte, an denen ihr auftreten könnt? Gibt es spezialisierte Plattenläden?
Es gibt zwei, drei Clubs in Dubai, die immer wieder Metalkonzerte veranstalten. Da wir selbst aus Dubai kommen, haben wir sowohl die Arenashows (mit Metallica, 2011) mit 30.000 Zuschauern, als auch die kleinen Clubshows (200 – 300 Besucher) gespielt. Im Prinzip bestimmt das Geld hier, wenn du also eine gute Location buchen willst brauchst du einfach das Geld, um die Location buchen zu können. Metalpromoter haben normalerweise nicht ganz so viel Geld, also musst du dich mit dem zufrieden geben, was du dafür bekommst. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf muss aber auch gesagt werden, dass die Metalszene langsam anfängt zu wachsen, da wir jetzt Zugang zu Plattformen haben, auf denen lokale und internationale Bands endlich auftreten können. Vor ca. 10 Jahren war das noch ein viel größeres Problem für uns, da wir einfach keine Venues hatten und am Ende verloren sogar diejenigen, die ein Interesse an Metal hatten dieses, da es schlicht keine Shows gab. Spezialisierte Plattenläden gibt es hier bei uns überhaupt nicht. Wir haben einen Virgin Megsastore aber dann geh da mal in die Metalabteilung… ein Witz!

Treten internationale Metalbands regelmäßig in den Emiraten auf?
Ja, wir hatten schon ein paar großartige Bands, die hier aufgetreten sind. Immer mal wieder kommen die ganz Großen hier vorbei, wie etwa Iron Maiden, Metallica, Black Sabbath oder Mötley Crüe. Aber das passiert vielleicht einmal im halben Jahr. Aber es gibt ja auch eine Underground-Szene und als Metalhead, der sein ganzes Leben hier verbracht hat kann ich dir sagen, dass es eine sehr kleine Gemeinschaft von Fans ist, die in den VEA die Fahne hoch halten. Ich habe selbst Bands wie Obscura, Hate Eternal und Grave hierher gebracht, damit sie hier spielen. Wir versuchen unser menschenmögliches, um der Szene etwas zurückzugeben. Sogar Mayhem haben in Dubai gespielt, ob ihr’s glaubt oder nicht! Das größte Problem ist, dass Promoter gierig werden und versuchen die Gigs anderer Promoter aus purem Neid zu zerstören. Das ist ein echtes Problem, mit dem wir uns momentan rumschlagen müssen und auch der Grund, weshalb Bands wie Aborted und Vader ihre Shows absagen mussten. Einfach weil Leute an offizielle Stellen geschrieben und sich über die Inhalte der Texte und die Optik dieser Bands beschwert haben. In Wahrheit geht es da nur um Politik – einfach ein Promoter, der einen anderer Promoter fertigmachen will und das ist echter Mist!
NERVECELL waren schon immer eine Band aus Dubai und wir hatten das Glück unsere Karriere hier starten zu können. Das können nicht viele Leute von sich sagen. Wir arbeiten mit den richtigen Leuten und wir unterstützen niemanden, der in unsere Szene kommt um sie kaputt zu machen.NERVECELL 2011 2

NERVECELL haben bisher zwei Alben veröffentlicht. War es schwierig ein Label für eure Musik zu finden?
Tatsächlich war es eine ziemliche Standardprozedur. Wir wussten, um einen Labelvertrag zu bekommen mussten wir etwas veröffentlichen, dass es wert war gehört zu werden. Unsere erste EP wurde 2004 veröffentlicht und wir haben die selbst überall hingeschickt, um (kritische) Reviews zu bekommen. Zu unserer Überraschung war das Feedback umwerfend. Das machte uns klar, dass wir uns wieder in die Arbeit stürzen und ein Album veröffentlichen mussten, um anschließend zu versuchen unter Vertrag genommen zu werden. Das war wiederum notwendig um mehr Beachtung zu finden bzw., noch mehr wahrgenommen zu werden und natürlich um auf Tour gehen zu können. Wir haben und das alles genau überlegt und mit dem ersten Album Zeit gelassen. Als wir dann bei Lifeforce Records unterschrieben haben, wurde „Preaching Venom“ zunächst 2008 nur in den Emiraten veröffentlicht und dann 2009 weltweit re-released. Ich glaube was uns damals wirklich geholfen hat ein Label zu finden waren die ganzen Touren, die NERVECELL damals gespielt haben. Wir haben nicht einfach nur Mails an Labels geschickt und sie darum gebeten, sich unsere Musik anzuhören, wir waren auch permanent in Asien, dem Mittleren Osten und Europa unterwegs. Als Band ohne Label musst du halt genau das machen: Permanent touren und dir den Arsch abspielen! Das war sicher auch einer der Schlüsselfaktoren, der uns geholfen hat ein Label zu finden. Ich möchte aber auch noch anmerken, dass wir Lifeforce Records letztes Jahr verlassen haben und unser nächstes Album über Unique Leader Records erscheinen wird.

nervecell - pschogenocideAuf euerm zweiten Album „Psychogenocide“ hat Karl Sanders von Nile einen Gastauftritt. Wie seid ihr mit ihm in Kontakt gekommen? War es schwer diese Kollaboration zu realisieren?
Wir waren schon immer Fans von Nile und als wir damals im Studio waren und an dem Album arbeiteten war der Song bereits geschrieben. James (Sänger und Bassist bei NERVECELL) hatte die Idee, für diesen speziellen Song arabische Texte zu verwenden. Also probierten wir das aus und entschieden, dass es auch cool wäre für den Track einen Gastgesang zu haben, mit englischen Texten, neben James arabischen. Natürlich musste der Gesang extrem sein, um zu der arabischen Version des Textes zu passen und Karl Sanders war einer der ersten, an den wir dabei dachten. Wir wussten, dass Karl bereits Gastauftritte bei Bands wir Behemoth, Morbid Angel und Grave gehabt hatte, auch wenn es da mehr um sein Gitarrenspiel ging. Also baten wir unser Management sich mit ihm in Verbindung zu setzen und zu fragen, ob er an dem Projekt Interesse hätte. Und so kam das Ganze dann auch zu Stande. Er mochte den Song total, also kam er letztlich sogar nach Dubai und wir nahmen auch noch das Video mit ihm auf, während er hier bei uns war.

Ist es auf irgendeine Art und Weise kontrovers in den Emiraten Metalfan oder Musiker zu sein?
Solange du die Leute hier respektierst kann dich keiner einschränken. Das ist der Trick. Es gibt ein paar Bands, die mächtig provozieren und es echt übertreiben. Wir sind ganz normale Typen mit Uniabschlüssen, die aber lieber Extreme Metal spielen, als in irgendeinem Bürojob zu arbeiten. Wir leben in einer modernen, multikulturellen Gesellschaft in Dubai und letztlich ist Metalmusiker zu sein nicht anders, als bei jedem anderen beliebigen Musiker – es ist Kunst und wir sind Künstler, mehr gibt’s dazu nicht zu sagen. Wenn du ein Arschloch bist und bestehende Gesetze und die Leute hier nicht respektieren kannst, ist es allerdings nicht ratsam hier zu leben. Also nein, ich habe hier noch keine Vorurteile oder Restriktionen erlebt. Wenn du mir 2000, als wir die Band gründeten gesagt hättest, dass wir in den lokalen Zeitungen stehen und auf den Covern von Nightlife und Entertaiment Magazinen prangen würden, hätte ich gelacht und dir für deinen guten Wünsche gedankt. Aber diese Geschichten sind in den letzten Jahren tatsächlich passiert. Es gibt also keinen Zweifel daran, dass wir sehr stolz darauf sind, hier zu sein und die Flagge der extremen Musik im mittleren Osten hochhalten.

Wann haben du und deine Bandkollegen angefangen eure Instrumente spielen zu lernen?
Wir haben alles etwas zur selben Zeit angefangen. Ich glaube das war ungefähr 1992 oder 1994. Als Kinder die im mittleren Osten aufgewachsen sind war es schwer für uns, Zugang zu Musik zu bekommen, ganz zu schweigen von Metal. Wir mussten die Bands selbst entdecken – und das bevor es Internet gab, haha. Als wir jung waren fingen wir mit Nirvana und Metallica Tapes an, denn das war das einzige, was für uns zugänglich war.

nervecell press 2Seid ihr von traditioneller arabischer Musik beeinflusst? Habt ihr diese Musik selbst gespielt, als ihr jünger wart oder spielt ihr sie sogar noch? Was bietet diese Musik einer Metalband?
Um ehrlich zu sein bietet sie nicht viel. Klar ist es cool, mit diesem Zeug zu experimentieren, aber der Grat zwischen Extreme Metal und Kitsch ist sehr schmal. Diese Grenze wollen wir nicht überschreiten und damit am Ende unsere Fans enttäuschen, von denen wir sehr glücklich sind sie überhaupt zu haben. Wir haben entschieden Death Metal zu spielen und sind sehr zufrieden damit, die Band zu sein, die wir uns bis hierher aufgebaut haben. Versteh mich nicht falsch, es gibt schon eine Menge Bands, die traditionelle arabische Instrumente in ihrer Musik verwenden, aber wir wollten nie eine orientalische Metalband sein. Wir haben vielleicht gelegentlich einige Spuren von traditioneller Musik in unseren Riffs aber mit Sicherheit niemals in einem Maße, dass wir Bauchtänzerinnen oder Kamele mit auf die Bühne nehmen würden.

Wie groß war der Einfluss eures Heimatlandes und seiner Kultur auf eure Musik?
Ich glaube nicht, dass die Heimatländer unserer Bandmitglieder und deren entsprechende Kulturen irgendeine Relevanz oder einen Einfluss hatten. James ist halb Syrer und halb Libanese, Rami ist Jordanier. Beide wurden in Doha, Katar geboren. Ich wurde in Dubai geboren, habe aber indische und portugiesische Wurzeln. Du kannst also sehen, dass wir als Band so multikulturell sind, wie es nur geht. Keine unserer familiären Tradition haben einen Fokus auf der Musik, aber wir haben großes Glück mit unseren Familien, die uns und unsere Entscheidung Berufsmusiker zu werden ehrlich unterstützen. Sie haben über die Jahre hinweg gesehen, dass wir das Ganze sehr professionell angehen und betreiben – etwas was in diesen Kulturen sehr selten ist.

Habt ihr jemals irgendeine Form von Zensur von Seiten der Regierung oder artverwandter Organisationen erfahren? Ist Zensur überhaupt ein Problem in den Emiraten?
Zensur ist definitiv ein Problem bei uns, wobei wir als NEVECELL damit noch nicht in Berührung gekommen sind.

Als Teil der arabischen Welt sind auch die Emirate überwiegend muslimisch geprägt. Allerdings sind rund 90% der Bewohner in den Emiraten Ausländer, die ihre eigene Religion mitbringen. Wie wichtig ist der Aspekt der Religion für eure Musik?
Überhaupt nicht, wir haben sowohl Christen als auch Muslime in der Band. Das sind einfach deine persönlichen Überzeugungen, mit denen deine Eltern dich aufgezogen haben. Wir werden das nie zwischen uns als Freunde oder Bandmitglieder kommen lassen. Wir sind eine Metalband, verflucht nochmal – was uns zusammengebracht hat ist nicht die Religion!

Ihr verfasst eure Texte in Englisch. Warum habt ihr euch für diese Sprache entschieden und gab es auch Überlegungen, eure Muttersprache zu nutzen?
Wir schreiben die Texte für NERVECELL überwiegend in Englisch, einfach weil es die Sprache ist, ihn der wir miteinander kommunizieren. In letzter Zeit hat unser Sänger James aber mit der Idee experimentiert, mehr arabische und lateinische Lyrics zu verwenden. Ihr könnt also davon ausgehen, etwas derartiges auf unserem nächsten Album zu hören.

Was sind die musikalischen Idole von NERVECELL? Gibt es Bands die du als besonders einflussreich für euren Stil bezeichnen würdet?
Was die musikalischen Einflüsse angeht sind wir als Band von den Death- und Thrash-Bands geprägt worden, die Mitte der 90er aktiv waren, wie etwa Morbid Angel, Bolt Thrower, Suffocation, Deicide, Testament, Slayer, Pantera und frühe Sepultura, um nur ein paar zu nennen…

nervecell-tour-flyer-webIhr habt schon mehrmals in Europa getourt und auch diverse Festivals gespielt. Wie wichtig ist es für euch hier bei uns zu spielen?
Wir touren viel mehr in Europa als irgendwo anders in der Welt. Für uns als Jungs, die im mittleren Osten aufgewachsen sind, war schon das Hören von Metal eine Art Mission. Darüber hinaus Freunde zu finden, die ebenfalls Metalfans waren, war noch schwieriger. Im Gegensatz dazu gehst du in Europa auf ein Metalfestival durchschnittlicher Größe und triffst tausende von Leuten, die Metal leben. Das einfach nur zu sehen vermittelt uns bereits ein Gefühl von Heimat. Metal ist dort wie eine eigene Kultur, daher ist Europa natürlich ein wichtiger Markt für uns. Wir haben einige der größten Festivals dort gespielt und uns ist auch bewusst, dass rund 50% unserer Fans aus Europa kommen. Also freuen wir uns immer darauf wieder dorthin zurückzukehren und Jahr für Jahr in neuen Städten zu spielen.

Gibt es viele Möglichkeiten für euch in eurer Heimat aufzutreten?
Ja, aber da Dubai so eine kleine Metalszene hat macht es für uns auch Sinn nicht so oft aufzutreten, wie wir das manchmal gern täten. Wir beschränken unsere Shows in Dubai auf ein bis zwei pro Jahr. So können wir den Fans etwas bieten, auf das sie sich freuen können, wenn NERVECELL zuhause auftreten.

Gibt es noch andere Metalbands aus Dubai bzw. den Emiraten, die du uns empfehlen kannst?
Klar, es gibt ein paar Bands in Dubai die angefangen haben etwas aktiver zu sein. Um mal ein paar zu nennen, die ihr anchecken solltet: Perversion, Aramaic, Benevolent und Anuryzum.

Was sind eure gegenwärtigen Ziele als Band, was wollt ihr in den nächsten Jahren erreichen?
Wir arbeiten gerade an unserem neuen Album, dass Ende 2016 über Unique Leader Records erscheinen wird. Nach der Veröffentlichung der Platte wollen wir natürlich wieder auf Tour gehen und mit dem Album überall in der Welt spielen. Wir haben noch nicht in den USA getourt, also wäre eine US-Tour etwas, was wir gerne mit dem neuen Album im Gepäck realisieren würden.

Wir sind fast am Ende des Interviews, vorher würde ich mit dir aber gern noch das traditionelle Metal1.info-Brainstorming spielen:
Deutschland:
Metal, Bier, Fußball
David Bowie: Legende!
Multikulturalismus: Sehr wichtig und unabdingbar für den Weltfrieden.
Wladimir Putin: Mächtig, einschüchternd und sehr wahrscheinlich Dave Mustaine ohne lange Haare.
NERVECELL in fünf Jahren: Zwei weitere Alben veröffentlicht und durch die Welt tourend, um Metalheads in Ost und West zusammenzubringen.

Dann danke ich dir vielmals für dieses Interview. Die letzten Worte gehören dir!
Vielen Dank für deine Zeit und Unterstützung, bleib Metal!

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3 Kommentare zu “Nervecell (Vereinigte Arabische Emirate)

  1. „Wladimir Putin: Mächtig, einschüchternd und sehr wahrscheinlich Dave Mustaine ohne lange Haare.“

    Starker Vergleich! :D

    1. Kanntest du den Vergleich noch nicht? Einfach mal beide Namen zusammen in der Google-Bildersuche eingeben für visuelle Belege ;)

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