Interview mit Marcel Breuer von Nocte Obducta

Mit ihrem neuen, neunten Album “Umbriel (Das Schweigen zwischen den Sternen)“ habt sich NOCTE OBDUCTA als eine Band zurück gemeldet, die nach all den Querelen der letzten Jahre, der zeitweiligen Umbenennung sowie der „Schwarzmetall“-Homage „Verderbnis“ endlich mit sich im reinen zu sein scheint. Einen ähnlich abgeklärten und aufgeräumten Eindruck erweckt auch Bandkopf Marcel im Interview: Was Onkel Traumschänder über „Umbriel“, Umbriel und das Schweigen zwischen den Alben zu berichten wusste, könnt ihr nun hier nachlesen:

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Das erste NOCTE-OBDUCTA-Interview auf unserer Seite ist bald zehn Jahre her und auch das Letzte hat schon vier Jahre auf dem Buckel – höchste Zeit für eine Neuauflage! Wie würdest du die letzten zehn Jahre NOCTE OBDUCTA in einem Satz zusammenfassen?
Nachdem wir vor ziemlich genau zehn Jahren aus einer Art Tal herausgekommen waren und die Band sowohl als musizierende Gruppierung, als auch als Freundeskreis wieder eine wirklich gute Zeit hatte, der sich nach den Aufnahmen zu “Nektar” 2004 eine kreative Hochphase anschloss, rieben wir uns ab dem Frühjahr 2006 vor allem an privaten Problemen und dem enervierenden Gehabe der “Metal-Gemeinde”, aber auch an einem auf unsere Kosten geführten hässlichen Streit zwischen Studio und Plattenfirma auf, worauf eine leider sechsjährige, sehr unschöne Phase musikalischer und persönlicher Wirren folgte, die aber dankenswerter Weise spätestens während der Foto-Session im April 2012 endete und aus der die Band ein wenig schlauer und weniger naiv wieder hervorgegangen ist, um nun wieder an den 2004 zwar betretenen aber nicht weit genug gegangenen Weg anzuknüpfen.

Ok, ich geb’s zu: die Formulierung „in einem Satz“ war etwas unglücklich gewählt… haha.
Lass mich dich an dieser Stelle einmal zitieren:
„Eine klassische Wiedergeburt schließen wir eigentlich aus, ein weiteres Album nicht. […] Wir werden nämlich weder Gigs spielen, noch als geschlossene, klar umrissene Band in Erscheinung treten.“
(2009, Metal1.info)
Nun ist es ja doch anders gekommen, und eigentlich all das, was du damals ausgeschlossen hattest, eingetreten. Wie kam es zu dem Sinneswandel, beziehungsweise was hat zu dieser Entwicklung geführt?

Eine klassische Wiedergeburt konnte es nicht geben, da wir uns nie klassisch aufgelöst, sondern lediglich umbenannt hatten. Wie schon im Zusammenhang mit “Verderbnis” an vielen Stellen ausgeführt, war aber nach diesem Schritt alles völlig anders gelaufen als wir es uns ausgemalt hatten. Es war schon damals klar, dass wir auch das Material der NOCTE-Alben irgendwann live wieder würden aufgreifen wollen. Vorerst aber wollten wir uns ausschließlich auf neue bzw. bis 2006 nicht aufgenommene Songs konzentrieren und wieder wie zu frühen Zeiten ohne zu viel Verpflichtungen im Proberaum und auf der Bühne stehen. Unter altem Namen wäre das aber den Fans gegenüber unfair gewesen, zumal wir ohnehin eine Band sind, die nie besonders viel live gespielt hat.
Es war dann auch Pech im Spiel, aber es lag vor allem an der Band selber, dass wir trotz anfangs sehr engagierter und vor allem umfassender und unglaublich ergiebiger Proben und Rohaufnahmen zumindest hinsichtlich der Öffentlichkeit einer gewissen Lethargie anheim fielen. Die unglücklich zusammengestellte Veröffentlichung “50 Sommer – 50 Winter” ist eine Sache, bei der wir uns Sachzwängen und Kompromissen beugen mussten, aber dass wir uns nicht ein einziges Mal auf der Bühne zeigten, ist eigentlich unfassbar. Damit war der ganze “Gag” mit der Umbenennung dahin, da hätte man auch einfach eine Pause in Sachen Öffentlichkeit ankündigen und durchziehen können. Ein Lied wie “Töte das Jahr für mich”, das für uns immer noch zu den besten Liedern von Desîhra/NOCTE/Dinner gehört, wäre dann wohl unter dem Namen NOCTE OBDUCTA veröffentlicht worden.


Rückblickend muss ich einen Gutteil der Schuld für diese “arbeitsintensive und energieraubende Untätigkeit” wohl bei mir suchen. Was ab dem Frühling 2006 bei mir passierte, muss ich nicht noch einmal erleben, auch wenn sich das nun dramatischer liest als es vielleicht ist. Hätte ich mir selber mehr in den Arsch getreten und natürlich in der Band ein strengeres Regiment geführt, wäre da sicher mehr gegangen.
Kreativ war diese Zeit allerdings dennoch. Von Projekten mal ganz abgesehen, wurde stilistisch sowohl in der Ecke “Verderbnis” auch als in der Ecke “Umbriel” weit mehr geschrieben, geprobt oder als Skizzen aufgenommen als nun auf den beiden Alben veröffentlicht. Und als im Zuge der Aufnahmen zu “Verderbnis” wieder etwas Bewegung in die Sache kam, wurde langsam aber sicher klar, dass die beiden Projekte, auf die sich die Energie konzentrierte, nämlich Dinner und NOCTE, nicht mehr miteinander vereinbar waren. Für so etwas hatte schlichtweg keiner mehr Zeit. Wir konnten uns nun also entscheiden, durch welche Übeltat man uns Unglaubwürdigkeit würde vorwerfen können: Unglaubwürdigkeit durch das abwechselnde Veröffentlichen von Alben unter zwei verschiedenen Bandnamen mit unüberhörbar gleichem Hintergrund und mehr oder minder identischer Besetzung. Unglaubwürdigkeit durch die Weiterführung von NOCTE OBDUCTA inklusive des musikalischen Zickzack-Kurses und der alten Songs unter dem Namen Dinner Auf Uranos in der Besetzung von 2006. Unglaubwürdigkeit durch die erneute Verwendung des alten Namens, obwohl wir die Songs der Zeit ab 2006 nicht ignorieren, sondern zum Teil auf “Umbriel” veröffentlichen würden. Wie man sieht, haben wir uns für die letzte Variante entschlossen und mit “Verderbnis” und “Umbriel” als Abschluss dieser Irrfahrt zwei Alben herausgebracht, die diese Jahre dokumentieren, anstatt sofort das Material wieder aufzugreifen, das 2005 in den Schubladen landete.

Ist der Druck einer „Erwartungshaltung“ denn wirklich so an einen Namen gekoppelt? Also fühltet ihr euch wirklich komplett von den Erwartungen der NOCTE-Fans frei, nur, weil ihr dann als Dinner musiziertet? Ich meine, die potentiellen Hörer sind bei einer solchen Umbenennung ja meist doch erst einmal die Gleichen, und am Ende wird das Album doch trotzdem am vorherigen Schaffen gemessen, oder?
Da hast Du natürlich recht, aber es ist in einer solchen Situation durchaus legitim, live für ein paar Jahre die ersten sieben oder acht Alben der Bandgeschichte komplett zu ignorieren und sich im Vorfeld zu verkriechen. Jeder Musiker soll machen, was er will und auch wir wollen machen, was wir wollen. Wir veröffentlichen und spielen, was wir wollen und wie wir es wollen – aber von heute auf morgen mehrere Jahre Bandgeschichte von der Bühne zu verbannen und vielleicht sogar zu 70% unveröffentlichtes Material zu spielen, das wollten wir damals unter dem alten Namen einfach nicht machen. Und natürlich hat so etwas auch symbolisch etwas von Freiheit und dem Wegfallen von Erwartungen, auch wenn man eigentlich weiß, dass es in der Realität so einfach nicht ist.

Hat dieser „Trick“, denn auch in der Aussenwirkung funktioniert? Hattest du das Gefühl, dass die Leute unvoreingenommen an das Dinner-Album herangegangen sind?
Dass er für uns bzw. als Konzept nicht funktioniert hat, habe ich ja dargelegt, aber auch in der Außenwirkung war es eher eine zweischneidige Angelegenheit. Das ist auch völlig normal und naheliegend, immerhin waren wir mehr oder minder die gleiche Band, ich würde als Fan ganz ähnlich denken. Man ist ja auch Fan, weil man seine Biographie mit einer Band verbindet, deshalb gibt es wohl auch nur ganz wenige Bands, bei denen man wirklich alles gut findet. Es sind außerdem sehr viele NOCTE-Fans auch in erster Linie Metal-Fans, da wird ein Album auch an solchen Standards gemessen und die sind niemals unvoreingenommen.

Du hast den Dinner-Output ja eben selbst scharf kritisiert – ich persönlich bin mit dem Album, wie ich gestehen muss, auch nie ganz warm geworden. Was ist dein Hauptkritikpunkt an dem Album?
Ich habe kein Problem mit den Songs, sondern mit der Zusammenstellung. Die ist für mich deshalb misslungen, weil sie nicht das transportiert, was wir transportieren wollten. Unsere finanzielle Lage und unser bisweilen ungeschicktes Zeitmanagement haben uns schon oft zu Kompromissen gezwungen, aber in diesem Falle ging es sozusagen einen Schritt zu weit: Wir hatten 2006 und 2007 wirklich viel Material aufgenommen, meist nur Skizzen und Fragmente, aber eben auch Material, an dem man weiter arbeiten konnte. Zu diesem Fundus kamen Ende 2007 die drei Lieder „6786“, „Zwischen dem Salz und Montpellier“ und „Texas della Morte“ als „amtliche“ Produktionen. Diese drei Lieder waren im Proberaum einfach grade das aktuellste Material und es sollten sich später für ein Album weitere Lieder dazu gesellen, die wesentlich düsterer ausgefallen wären.
Wie sich herausstellte, war das aber sehr wenig durchdacht gewesen, denn wir hatten – als es dann an die konkrete Planung eines Albums ging – kein Geld mehr und konnten uns die Lieder, die wir gerne aufgenommen hätten, schlicht nicht mehr leisten. Uns stand aber noch die Aufnahme von „Töte das Jahr für mich“ und ein wenig zusammen gekratzes Geld zur Verfügung.
Ich persönlich hätte am liebsten um das sehr lange „Töte das Jahr für mich“ herum ein sehr experimentelles, instrumentales, düsteres Album mit starkem Soundtrack-Charakter gebaut, da das Lied als solches für mich zu den Besten gehörte. Die drei „Sommerlieder“ hätten dann auf rosigere Zeiten oder aber eine Veröffentlichung als EP gewartet. Sicher keine Ideallösung, für mich aber künstlerisch der schlüssigste Kompromiss. Wir haben uns dann aber leider dafür entschieden, dem Block „Sommer“ den Block „Winter“ zur Seite zu stellen – mit „Töte das Jahr für mich“ als zentrales Lied. Wären vor- und nachher weitere Veröffentlichungen erschienen, könnte man „50 Sommer – 50 Winter“ leichter als die zwei EPs betrachten, die es letztlich darstellt, aber da dies nicht der Fall ist, fehlen mir die nun mit NOCTE OBDUCTA umgesetzten Lieder „Dinner auf Uranos“ und „Leere“, sowie weiteres Material umso mehr.


Was würdest du heute also anders machen?
Ich weiß nicht, was ich – noch einmal in diese Zeit versetzt – anders machen würde. Ich würde wohl nicht die drei Sommerlieder für die Session Ende 2007 auswählen. Allerdings sah es ja damals so aus, als würde es danach anders weiter gehen. Ich würde mich also am ehesten beim Auftreten der Geldprobleme rigoros dazu entschließen, den Weg mit dem düsteren, Soundtrack-artigen Album um „Töte das Jahr für mich“ und drei fertig aufgenommenen Sommerliedern in der Schublade zu gehen, das hätte mir persönlich mehr Rückenwind gegeben.

Würdest du also sagen, diese Zeit hat, rückblickend gesehen, den Werdegang von NOCTE OBDUCTA eher behindert, oder vielleicht auch erst möglich gemacht?
Das ist sehr schwer zu sagen. Auf jeden Fall hat es uns viel gebracht, erst einmal wieder nur für uns spielen zu können. Wir haben ja immer schon gerne viel probiert, das konnten wir in dieser Zeit deutlich mehr tun, allerdings habe ich ja weiter oben schon dargelegt, dass der Output letztlich erbärmlich war. Da die Band ja aktiv bestehen blieb, der Name aber weg war, hatten wir auf einmal wirklich viel Raum für uns selber jenseits der Erwartungen von außen, und das hat sehr viel von der Frustration und dem Trott raus genommen.
Das Scheitern dieser Angelegenheit lag wie gesagt an bisweilen ungünstigen Umständen und einer scheiß Zeit, ich kann mir gut vorstellen, dass wir unter altem Namen in eine ähnliche scheinbare Starre gefallen wären. Der alte Name hätte es zwar sicherlich leichter gehabt an der Öffentlichkeit, aber das Leben außerhalb der Band interessiert sich nicht für Bandnamen, und es schien auch seit Anfang 2006 scheinbar nicht mehr jedes Mitglied voll hinter der Band zu stehen.
Das Intermezzo hat aber sicher auch dazu geführt, dass wir in den Augen einiger Leute etwas von früher verloren haben. Ein kleines Stück weit kann ich das verstehen, klingt doch “Umbriel” nicht mal ansatzweise so metallisch wie “Nektar”. Wer da aber die Handschrift nicht sieht, der hat sich niemals mit dieser Band beschäftigt oder von Musik keinen blassen Schimmer. Und wer glaubt, es zeichne sich hier eine konkrete Richtung ab, der hat einfach nicht aufgepasst. Niemand hätte damals mit der Reihenfolge “Taverne” – “Schwarzmetall” gerechnet (wir übrigens auch nicht), und so manch einer erwartete nach “Verderbnis” eine “Schwarzmetall 2” oder ein Anküpfen an die Zeit von 2004 bis 2006.

Man kann wohl davon ausgehen, dass ihr euch damals etwas auseinandergelebt hattet: habt ihr euch heute eher wieder- oder neu gefunden? Sind NOCTE OBDUCTA 2013 noch beziehungsweise wieder die Band von früher, oder was hat sich verändert?
Ja, ich hatte ja schon angedeutet, dass es nicht ausschließlich die äußeren Umstände waren, die zersetzend wirkten. Und natürlich ändern sich zwischenmenschliche Beziehungen immer, und zwar unabhängig von der Tätigkeit einer Band an der Öffentlichkeit. Auch bei uns ist jetzt dies und das anders, allerdings nicht dramatisch. Die Band hat ja wie gesagt nie aufgehört zu existieren und so hat der Kern auch nach 2006 weiter zusammen musiziert. Auch mit dem Ende 2006 ausgestiegenen Flange habe ich in den vergangenen Jahren in Projekten weiter Musik gemacht, das ganze findet außerdem innerhalb eines Freundeskreises statt. Lediglich mit Torsten hatte ich seit Anfang 2006 – von den letzten Gigs mal abgesehen – bis Frühling 2012 kaum bis gar keinen Kontakt. Letztlich ist aber alles beim Alten.

Ihr macht es euren Fans (aber damit immerhin auch euren „Hatern“) nicht eben leicht – weiß man bei einem neuen NOCTE-Album doch eigentlich nie, was einen erwartet: erst das Post-Rockige „Sequenzen…“, dann primitiver Black Metal und jetzt doch wieder ein Album, das wieder eher an Werke wie Nektar 1 und 2 anknüpft.
Wie kommt es zu diesen extremen Stilwechseln? Sammelst du über Jahre hinweg verschiedenste Ideen und sortierst sie dann zu Alben oder repräsentieren die Alben tatsächlich Schaffensperioden?

Du bist der erste, der eine Anknüpfung an “Nektar” sieht. Ich selber kann dem aber nur bedingt zustimmen. Ich finde diese Sichtweise aber sehr interessant und auch zutreffender als die Vergleiche mit “Sequenzen”.
Eine weitere Öffnung des Sounds und das, was manch einer vielleicht Spielereien nennen würde, dürfte jeder einigermaßen normal denkende Hörer nach “Nektar” erwartet haben, und da “Umbriel” eben dies aufweist, den Bogen aber nicht so überspannt wie “Sequenzen”, kann man das durchaus berechtigter Weise so sehen. Da wir aber 2004 und 2005 sehr konkrete Pläne für die Nachfolge von “Nektar” hatten, sehen wir “Umbriel” nicht als ein Anknüpfen an damals, sondern vielmehr als das Schließen einer Lücke. Nun, da diese Lücke geschlossen ist, werden wir uns sozusagen ein wenig zurück bewegen.
Die Stilwechsel aber wird es immer geben, und die gab es auch schon immer – wenngleich sie bei den ersten acht Alben nicht ganz so radikal ausgeprägt waren. Es gibt auch weder stilistisch klar definierte Schaffensperioden, noch handelt es sich um ein konstant gleich breit gefächertes Arbeitsspektrum, dessen Ergebnisse nach Ausrichtungen sortiert und dann eingespielt und veröffentlicht werden. Die Wahrheit dürfte irgendwo dazwischen liegen. Die Zusammensetzung eines Albums richtet sich außerdem nach der Idee dahinter oder der emotionalen Verbindung zwischen den Songs. Hätte man die aufeinander folgenden Songs “Es fließe Blut”, “Nektar” und “Atme” unterschiedlich produziert, wäre der große Unterschied zwischen ihnen auch wesentlich deutlicher, aber sie bilden nun mal als Idee eine Einheit.
Und dass die Sprünge zwischen den Alben oder auch innerhalb einzelner Veröffentlichungen seit “Sequenzen” möglicherweise radikaler sind, liegt daran, dass Dinge, die ich früher in Projekte “verbannt” habe, nun auch unter dem Namen NOCTE OBDUCTA mehr Raum bekommen. Es wird langweilig, wenn man zu oft sagen muss “Dies und jenes ist uns jetzt sehr wichtig, aber das werden die Leute nicht mögen, nicht erwarten oder nicht verstehen, also lasst uns das Material irgendwann irgendwie unter anderem Namen realisieren.”


Ich könnte mir vorstellen, dass Songs wie die aktuellen komplett anders entstehen als das Material von „Verderbnis“ – stimmt das?

Das stimmt. Allerdings nur bedingt.
Eine große Gemeinsamkeit beider Alben ist, dass Material vertreten ist, an dem ich letztlich unter Ausschluss der Band gearbeitet habe. Bis auf Ausnahmen habe ich zwar die Lieder schon immer alleine geschrieben und auch größtenteils für die Band arrangiert, aber das gemeinsame Erarbeiten des Songs bis man ihn als Band spielen kann, war diesmal nicht zwingende Voraussetzung für die Aufnahmen – bei beiden Alben nicht. Das heißt nicht, dass das Material für “Umbriel” erst “im Studio” geschrieben wurde, aber Arbeitsprozess lief an einigen Stellen so zu sagen moderner ab, was ich übrigens absolut nicht wertend meine.Es gibt aber dennoch große Unterschiede. So haben wir zum Beispiel mit “Ein Nachmittag mit Edgar” und insbesondere “Dinner auf Uranos” Songs auf dem Album, die über Jahre im Proberaum gespielt wurden. Gerade “Dinner” durchlief unglaublich viele Varianten, die hätten gar nicht alle auf einen Tonträger gepasst. Vielleicht gab es noch nie einen NOCTE-Song, der sich ab dem Zeitpunkt, an dem ich ihn zu den Proben schleppte, so oft verändert hat. Das gilt aber auch für ein “Studiosong” wie “Kerkerwelten”. Von der ersten, im Herbst 2006 als Skizze aufgenommen Version ist fast nichts mehr übrig. Eine zweite Version spielten wir im Frühling 2008, verloren das Lied aber nach einigen Monaten wieder aus den Augen. Für die Aufnahmen habe ich das Lied dann komplett umgearbeitet, allerdings auf Elemente von 2006 und 2008 zurückgegriffen.
Es gab bei “Umbriel” außerdem im Gegensatz zu “Verderbnis” keine klare Maßgabe hinsichtlich des Sounds und des Aufwandes, den ein Song machen durfte. Denn auch wenn wir beim Arrangement der Vocals und dann vor allen beim Mix entgegen unserer ursprünglichen Ziele sehr detailliert und aufmerksam ans Werk ging, war die Entstehung von “Verderbnis” bewusst gedeckelt und ist somit trotz der fehlenden Rohheit einer “Schwarzmetall” ein spontanes, sagen wir “plötzliches” Album. Bei “Umbriel” durften die Songs wie früher selber entscheiden, wann sie fertig waren.

„Sequenzen“ war ja, dem damaligen Interview zu Folge, als erstes NOCTEN-Album größtenteils auf dem Papier entstanden. War das jetzt ähnlich?
“Sequenzen” ist vor allem aufgrund des Konzepts als Gerüst auf dem Papier entstanden, die Parts als solche hatten eine ähnliche Entstehungsgeschichte wie die meisten anderen Songs auch. Es wurde insbesondere in Teil 2 Material verbaut, das wir in anderer Form auch mehrfach live gespielt hatten. Der Rahmen eines sehr instrumental geprägten Zweiteilers, bei dem wir noch weniger songorientiert vorgehen wollten als ohnehin schon, brachte dann aber ein Konzept auf dem Papier mit sich, ich wollte das ganze ein wenig visualisieren und auch den Jungs einen Eindruck vom Endprodukt vermitteln.
Diesmal war das aber nicht der Fall. Ich habe zwar das Arrangement und die Spurenbelegung im Verhältnis wesentlich mehr geplant als es früher der Fall war, aber das mache ich meist im Kopf. Und man denkt ja irgendwann ohnehin wie ein Mischpult.

Beschreibe uns doch mal die typische Situation, in der dir die Idee zu einem NOCTE-OBDUCTA-Text kommt. Auch mal im Feierabend-Stau oder in der überfüllten Bahn, oder doch eher so, wie man es sich vorstellt, in einer einsamen Nacht mit Whiskey und Vollmond?
Das ist, wie auch bei der Musik, völlig unterschiedlich. Beides wird in allen möglichen Situationen geschrieben, sei es beim Einkauf, bei Kerzen und Getränken oder nach einem konkreten Erlebnis. Es kann sogar geplant passieren, weil man merkt, man ist voller vager Ideen und fast dennoch sein Instrument und seine Schreibutensilien nicht mehr an, sondern ergeht sich in Fantasiemusik.

Warum eigentlich ausgerechnet auf Uranos dinnieren, warum stirbt das Kind ausgerechnet auf Umbriel, also dem auch „Uranus II“ genannten Mond eben jenes Planeten? Anders gefragt: woher deine Faszination für genau dieses Himmelskörper-Gespann?
Uranus hat mich schon als Kind fasziniert, das lag wohl an einem Bild, das ich damals in einem einem Buch mit Illustrationen zu Raumfahrt, Science Fiction und Himmelskörpern gesehen hatte. Auch später ging für mich von diesem Planeten immer eine unglaubliche Erhabenheit aber auch Einsamkeit aus – verbunden mit letztlich kaum vorstellbarer Größe und Weite. Ich habe Uranus in einer blödsinnigen Geschichte, die ich um Ostern 1995 schrieb, wieder aufgegriffen, wenn auch nur am Rande. Im gleichen Zeitraum schreib ich an Liedern, die dann später “Und Pan spielt die Flöte” oder “Des schwarzen Flieders Wiegenlied” werden sollten. Diese Zeit, die Geschichte, die Lieder, das alles ist für mich eine Einheit, und als es darum ging, einen neuen Namen für die Band zu finden, war es dieser Name, der für mich die Tradition irgendwie weiter trug. Und Umbriel ist als dunkelster der Uranos-Monde schlichtweg ein passendes Symbol.

Näher auf die Texte einzugehen, möchte ich dir an dieser Stelle ersparen – ich denke, da sollte jeder für sich drüber nachdenken. Aber eine Frage zu den Lyrics hätte ich dennoch: Welche Passage eignet sich dieses Mal am ehesten zur Wiederverwendung auf einem truen Black-Metal-Album?
Gute Frage, ein paar gibt es ja schon “Die Sonne starrt vor Schmutz und sinkt”, “Das heute stirbt, die Nacht beginnt – Der Mond hängt hämisch, feist und stinkt”, “Und nichts als Hass zwischen den schweigenden Sternen” oder “Totenglocken dröhnen schwarze Lieder” aus dem Lied “Mehr Hass” bieten sich da ebenso an wie “Alle Monde ziehen schwarz und schwer”, “Ein Prosit dem Göttermord”, “Angst ist ein neuer Gefährte” oder “Knietief in Verderben waten”.

Etwas überrascht haben mich auch eure Bandphotos – in zweierlei Hinsicht:
Im Vergleich mit euren Bisherigen habt ihr dieses Mal keine arrangierten Bilder aufgenommen, sondern eher, wie man es aus dem Indie-Bereich kennt, auf „Wir sind wie wir sind“-Photos gesetzt – Alltagsklamotten, keine Requisiten, keine Kniffe… woher rührt dieser Sinneswandel?

Wir wollten die Fotos diesmal einfach schlichter haben und nur ein wenig die Farben bearbeiten. Die Requisiten haben wir auf ein Minimum beschränkt, aber immerhin sieht man hier und da Kleidungsstücke in grün, rot und lila.

Vor allem das Fehlen einer bestimmten, mittlerweile sogar zum Kult und Shirtmotiv gewordenen Requisite fehlt: die Ananas! Wie ist das zu erklären?
Die Ananas war bei der Fotosession dabei, auf manchen der Fotos sieht man sogar vier Exemplare, allerdings haben wir bei der finalen Auswahl der Pics nicht so sehr auf sie geachtet. Verschwommen hängt sie auf dem Bandfoto im Booklet auch im Hintergrund an einem Pfeiler, und wenn ich mich recht entsinne, hält Stefan ein solches Obst auf dem zusätzlichen Foto in der Vinyl-Version sogar der Hand. Leider sieht man den ekligen schwarzen Fuchs, den Heidig als Schal trägt, nicht.

Hehe, ok… an dieser Stelle kann ich mir die Frage dann doch nicht verkneifen: wieso in aller Welt eigentlich ausgerechnet eine Ananas?! Wie kam es zu dieser Tradition?
Das wüsstest Du wohl gerne, was?
Offensichtlich lieber, als du es verrätst… haha.

Bei NOCTE OBDUCTA denke ich immer auch an Wehklagen über schlechte Labelarbeit und schlechte Verkaufszahlen, Verzögerungen, Komplikationen bei den Aufnahmen, etc. – hat sich da mittlerweile etwas geändert? Liefen die Aufnahmen dieses Mal zufriedenstellender als früher?
Erstens: Keine Aussagen mehr über Arbeitsverhältnisse und Geschäfte.
Zweitens: Wir haben das Album selbst produziert, organisiertes Chaos also.

Eure „Reunionshow“ hattet ihr ja in einem Jugendzentrum gegeben – war das ein angemessener Rahmen, und warum habt ihr euch ausgerechnet für dieses Setting entschieden? Mir erscheint das irgendwie dem Anlass nicht ganz angemessen…
Hahaha, “Reunionshow”, sehr drollig. Wir hatten das ganze sehr klar als “Warm-Up-Gig” vereinbart. Wir mussten zusehen, wie wir auf der Bühne nach sechs Jahren funktionieren und ob die Sache mit den vier Vokalisten und den waffenfähigen Effektboards hinhaut. Außerdem wollten wir uns nicht riesigen Erwartungen ausgesetzt zu sehen. Daher war das ganze quasi bei uns um die Ecke, es kamen viele Freunde, und der Eintritt sollte so gering wie nur irgend möglich ausfallen. Das war auch mit dem Veranstalter alles abgesprochen und mehrfach betont worden. Dass daraus in der Ankündigung eine sogenannte “Reunion Show” mit angeblich unglaublich exklusiven Material gemacht wurde, hat uns ziemlich gestunken, wir haben uns darüber auch den ganzen Gig über lustig gemacht. Das hat allerdings den Leuten auch nicht gefallen, denn wer will schon einem Haufen Idioten beim Labern zusehen? Nun ja, wir vielleicht, aber an der Rückwand des Zuschauerraums gab es nicht ausreichend Spiegel.

Spielt ihr euch bei einem Konzert quer durch eure Diskographie, oder entscheidet ihr euch für eine Schaffensperiode oder eine Stilrichtung, wenn ihr eine Setlist zusammenstellt?
Wir spielen uns quer durch die Diskographie und spielen meist auch unveröffentlichtes Material oder leicht veränderte Versionen unserer Songs, das variiert immer ein wenig. Als wir letztes Jahr nach so langer Pause wieder auf die Bühne sind, haben wir den Schwerpunkt auf die ersten drei Alben gelegt, auch wenn sich zwei der Songs recht stark von der Albumversion unterschieden.

Spielt ihr auch das Material des neuen Albums live, und wenn ja, welche Songs und warum?
Das kommt immer auf die Spielzeit an, die ist ja bisweilen verdammt gering. Wir haben schon letztes Jahr immer ein bis drei Lieder oder Ausschnitte von “Umbriel” gespielt und werden das dieses Jahr genauso fortführen. “Leere”, “Dinner” und “Edgar” sind da derzeit die Möglichkeiten der Wahl.

Darf man denn auch mal eine Deutschlandtour erwarten, oder bleibt es bei ausgewählten Einzelgigs?
Es bleibt vorerst bei einigen Einzelgigs.


Auch, wenn ich davon ausgehe, dass es nicht so lange dauern wird, bis man sich wieder spricht – was würdest du dir wünschen, uns erzählen zu können, wenn wir dich in zehn Jahren wieder zum Gespräch bitten?

Dass kurz nach dem heute geführten Interview endlich der verfickte Frühling aus seiner nasskalten Höhle gekrochen kam und man wieder dem offenen Himmel zuprosten konnte.

Ein mehr als redlicher Wunsch, dem ich mich nur voll und ganz anschließen kann. Das war dann auch schon meine letzte Frage. Wenn du noch etwas los werden willst, oder ich genau die Frage, deren Antwort du die ganze Zeit loswerden wolltest, nicht gestellt habe, hast du jetzt die Gelegenheit, dem Ganzen noch etwas hinzuzufügen:
Ich denke, ich habe genug wirres Zeug geredet …

So wirr war das gar nicht, würde ich sagen, haha. Dann bedanke ich mich recht herzlich für deine Zeit und die informativen Antworten – aber natürlich nicht, ohne dich noch zum Metal1-Brainstorming zu bitten:
Voyager 2:
01_86_Umbriel
Hass: Die Wirtin bringt ein weit’res Glas
Agathodaimon: Im Zusammenhang mit “Verderbnis” hat tatsächlich nach Jahren mal wieder jemand behauptet, NOCTE seien ein Aga-Sideproject …
Die fetten Jahre sind vorbei: Ja, das stimmt schon irgendwie, aber die ganz mageren sind nun ebenfalls vorbei.
Nargaroth: Zu diesem Thema haben beide Seiten etwas gesagt und wir werden der Öffentlichkeit nicht den Gefallen tun, das auszuweiten.
…und natürlich, last but not least – Metal1.info: Täusche ich mich, oder hat man mich so was schon mal gefragt?

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