Interview mit Sakis Tolis von Rotting Christ

Nach „Kata Ton Daimona Eautou“ (2013) liefern ROTTING CHRIST aus Griechenland nun mit „Rituals“ das nächste Meisterwerk ab. Bandkopf und Komponist Sakis Tolis über den Stellenwert von Spiritualität in der heutigen Zeit, langwierige Kompositionsprozesse und warum er Fussball nicht als modernes Ritual durchgehen lässt.

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Euer neues Album heißt „Rituals“ – was war der Grundgedanke für das Album?
Die unvergleichliche Hingabe, die nur ein echtes Ritual erzeugen kann.

Worum geht es in den Texten, auf welche Weise behandelt ihr auf dem Album rituelle Bräuche oder Themen?
„In Nomine Dei Nostri“ bezieht sich auf das Ritual einer schwarzen Messe.
„זה נגמר“ (gesprochen „Ze Nigmar“, A.d.Red.) bezieht sich auf die letzten sieben Sätze von Jesus Christus am Kreuz und ist auf Aramäisch geschrieben, der von Christus gesprochenen Sprache. „Ze Nigmar“ bedeutet übersetzt „Es ist beendet“.
„Ἐλθὲ Κύριε“ (gesprochen „Elthe Kyrie“, A.d.Red.) lässt sich als ‚Komm, oh Herr‘ übersetzen und ist von dem antiken Dichter Euripides beeinflusst, genauer seinem Werk „Bakchai“ (Titel der deutschen Fassung: „Die Bakchen“, A.d.Red.). Dieses bacchantische Schauspiel bezieht sich auf die Ankunft eines neuen Gottes. Die rituelle Atmosphäre dieses historischen Dramas hat uns textlich, aber auch musikalisch beeinflusst und hat zu diesem Song geführt. Als Gast konnten wir für diesen Song Danai Kaisameni, eine Schauspielerin des Griechischen Nationaltheater gewinnen!
„Ἄπαγε Σατανά“ (gesprochen „Apage Satana“, A.d.Red.) ist von dem rituellen Charakter eines christlich-orthodoxen Exorzismus beeinflusst.
„Les Litanies De Satan (Fleurs Du Mal)“ basiert auf Charles Baudelaires Gedicht „Fleurs De Mal“. Den französischen Gesang hat hier Vorph von Samael beigesteuert.
„For A Voice Like Thunder“ basiert auf „Prologue Intended For A Dramatic Piece Of King Edward The Fourth“ aus „Political Scatches“ von William Blake. Die Erzählerstimme im Prolog hat Nick Holmes von Paradise Lost übernommen.
„Του Θάνατου“ (gesprochen „Tou Thanatou“, A.d.Red.) ist ein altgriechischer Mythos. Ein Ausruf von Charon (Fährmann, der die Toten der Sage nach über den Totenfluss Styx in den Hades bringt, A.d.Red.).
„Konx Om Pax“ ist von den bekanntesten und zugleich geheimsten religiösen Riten und Ritualen unserer Vorfahren geprägt: Den Mysterien von Eleusis (Antike Initiations- und Weiheriten, A.d.Red.). Der Titel bedeutet übersetzt „Höre-Sieh-Schweige“.
„Devadevam“ besingt in Sanskrit, einer altindischen Sprache, ein Ritual, das auf einem indischen Chakra basiert.
„The Four Horsemen“ ist ein Cover von Aphrodite’s Child und basiert auf der Offenbarung des Johanne und den vier apokalyptischen Reitern.
„Lok’tar Ogar“, der Bonustrack, ist komplett in Orksprache geschrieben, der Titel bedeutet „Sieg oder Tod“

Rotting Christ 3Nachdem das Album als Konzeptalbum angelegt ist – als wie wichtigen Teil eurer Kunst siehst du die Texte an? Würdest du so weit gehen, zu sagen, die Musik kann nur verstehen, wer die Texte gelesen hat?
Je älter ich werde, desto mehr Wert messe ich den Texten eines Musikstückes bei. Ich spüre, dass dieses Album ohne seine Texte nicht komplett wäre. Dieses Album hat nur wenige Riffs, aber ein sehr bedeutungsschweres Konzept. Es unterscheidet sich sehr von unseren früheren Alben.

Was fasziniert dich an religiösen Ritualen am meisten und woher rührt dieses Interesse für Rituale bei dir?
Wie schon gesagt, die Hingabe, die ein Ritual erzeugen kann, ist etwas Tiefgründiges und Spirituelles, das mich anzieht. Das ist der Grund, warum ich Ritualen jetzt ein ganzes Album gewidmet habe.

In verschiedenen Religionen gibt es ganz verschiedene Arten von Ritualen. Welche fasziniert dich am meisten?
Einzig und allein die spirituellen. Keine Opfer und kein sonstiger Unsinn.

Rotting Christ 5Auch die alten Griechen hatten viele religiöse Rituale, heilige Opfer und dergleichen. Hat euch das für dieses Album ebenfalls inspiriert?

Auf gewisse Weise, ja. Nicht alles, aber ein Teil der Geschichte meines Landes hat mich natürlich inspiriert – wie könnte es auch anders sein.

Viele Teile des Albums klingen wie echte Rituale. „Apage Satana“ erinnert mich an einen Haka der Neuseeländischen Maori …
Wirklich? Das war mir nicht bewusst. Tatsächlich ist „Apage Satana“ ein griechisch-orthodoxer Exorzismus, auf den sich auch der Song bezieht. Das ist doch wirklich interessant, findest du nicht?

Wie lange dauert es, bis ein ROTTING-CHRIST-Song geschrieben ist?
Der Kompositionsprozess ist ein langer, innerlicher Prozess für mich. Als einziger Komponist der Band brauche ich lange, um mit etwas Neuem herauszurücken. Zuerst gehe ich tief in mich, dann lese ich viel und zuletzt greife ich zur Gitarre. So habe ich zumindest bei den letzten Alben gearbeitet, damit ihnen mehr Seele innewohnt. Danach kommt natürlich die Studiozeit, die mehr oder weniger genauso abläuft wie bei allen anderen Bands. Aber ich habe noch nie einen Song im Studio geschrieben. Ich brauche viel Zeit, um etwas zu erschaffen, das kein anderer Musiker schreiben könnte. Ich arbeite auch alleine besser. Das ist, wie ich komponiere. Ich probe oder improvisiere nicht, ich komponiere, verstehst du?

Rotting Christ 2Was war die Idee hinter dem Artwork, in wiefern passt das Bild zum Titel „Rituals“ und warum ist es das perfekte Artwork?
Ich weiß nicht, ob es das perfekte Cover ist … nichts in diesem Leben ist perfekt. Aber das ist das Artwork, für das wir uns entschieden haben: Auf dem Digipak siehst du mich, auf dem Vinyl-Cover meinen Bruder, unseren Schlagzeuger. Beide mit Corpsepaint in rituellem Style. So einfach ist das.

Bist du selbst eine spirituell geprägte Person?
Das will ich meinen, ja. Spiritualität geleitet mich durchs Leben!

Heutzutage spielen altertümliche Rituale kaum mehr eine Rolle. Glaubst du, die Menscheit verliert damit einen wichtigen Teil ihrer Identität?
Viel Wissen ist verschollen gegangen – wir modernen Menschen haben viel vergessen. Das ist bedauerlich, die Geschichte lehrt uns, dass wir damit einen weiteren großen Fehler begehen!

Gemeinschaftssinn, Glaube und bestimmte Rituale findet man heute dafür in ganz neuem Kontext – Stichwort „Pseudoreligion Fussball“. Fangebahren, -gesänge und Hingabe als modernes Ritual?
Auf keinen Fall – das kann kein Ritual sein. Da gibt es keine Spiritualität! Es ist ein Spiel, Opium für die Massen … mir eingeschlossen. Warum auch nicht? Wir brauchen ein paar Stunden Auszeit in diesem Leben, Beschäftigung mit Banalitäten. Aber es bleibt definitiv ein Spiel, kein Ritual.

Rotting Christ 1Kommt ihr mit „Ritual“ auf Tour, und wenn ja, auch nach Deutschland?
Eine Welttournee ohne Termine in Deutschland wäre keine Welttournee. Wir sehen uns bald in deiner Heimat, mein Freund!

Vielen Dank für Zeit und Antworten. Zum Abschluss ein kurzes Brainstorming:
Deutschland: Ein Land in Europa
Lemmy: Der Mann, der gezeigt hat, wie man bis zum bitteren Ende man selbst bleibt. Er hat definitiv Geschichte geschrieben!
Flüchtlingskrise: Eine von vielen Folgen des Krieges. Irgendwer fängt einen Krieg an, und wir tragen die negativen Folgen. Die Menschheit sollte anfangen, erwachsener zu denken. Die Geschichte hat schon vor langer Zeit gesprochen – warum machen wir trotzdem immer und immer die selben Fehler?
Ritual: Vollkommene Hingabe
Religion: Non Serviam! („Ich werde nicht dienen“, A.d.Red.)
Griechenland: Ein Land in Europa

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