Interview mit Thomas Lindner von Schandmaul

SCHANDMAUL haben erneut das Funkenflug 2006 veranstaltet, diesmal nur in München anstatt bundesweit. Warum das so ist, verrät Sänger Thomas Lindner. Ausserdem erzählt er weiteres über das Festival sowie das vergangene Jahr und die Zukunft für Schandmaul.

Thomas und Sigi lieber sprechen hören? Hier entlang.

Das Konzert heute ist euer letztes vor heimischem Publikum für sehr lange Zeit. Verbindet ihr damit ein spezielles Gefühl oder ist es wie die letzten Jahre auch?
Es ist für uns das Jahresabschlusskonzert nach einem großartigen Jahr mit vielen schönen Konzerten und großen Erfolgen. Das Funkenflug ist unser wahres Silvester. Morgen wird für uns eher ein ruhiger Tag, dafür wird heute ordentlich mit Publikum und Band gefeiert.

Letztes Jahr fand das Funkenflug noch deutschlandweit in Kiel, Bonn und München statt. Dieses Jahr beschränkt es sich wieder auf Bayern. Was hat es damit auf sich?
Es hat sich einfach nicht gerechnet. Wenn man so ein Festival deutschlandweit etablieren will, braucht man erst einmal ein Standing und eine Homebase, von der man startet. Das erste Funkenflug haben wir nur in München gemacht. Im Jahr darauf dachten wir, dass wir es in Nord, Süd, Ost und West ausprobieren können. Wir haben eine Menge Geld dabei verbrannt. Deswegen bleiben wir jetzt wieder in München, bis sich der Name so etabliert hat, dass er jedem etwas sagt. Dann schauen wir, ob wir es wieder ausweiten. Aber das steht in den Sternen.

Über die letzten Jahre hat sich das „Gesicht“ des Funkenflugs verändert. Am Anfang waren Bands wie Puke, Corvus Corax und Fiddler’s Green dabei. Jetzt geht der Weg weg vom Mittelalter hin zum Metal, teilweise mit Gothic-Elementen. Ist dies eine Anpassung an die Fans oder hat es andere Hintergründe?
Wir wollten das Spektrum breiter machen, da das Funkenflug kein Mittelalterfestival sein soll, zu dem nur die Glöckchenträger und Schwarz-Kutten-Fledermäuse kommen, sondern eine Party am Ende des Jahres. Darum haben wir mit New Model Army für die Rock-Seite, Zeraphine für die Gothic-Leute und uns für den Folk- und Mittelalter-Bereich relativ viel abgedeckt. Es wird auch Funkenflüge geben, an denen wir nicht spielen und wo wir gar nicht auftauchen, da das Festival nicht mit uns verknüpft werden soll. Es ist einfach eine Jahresabschlussparty. Aus diesem Grund muss man verschiedene Musikstile anbieten, sonst kommt am Ende nur der Glöckchenträger.

Wie ist der Kontakt zu Zeraphine und New Model Army entstanden?
Mit Sven Friedrich von Zeraphine haben wir schon mehrere Interviews zusammen gemacht und so haben wir uns kennengelernt. Live habe ich sie selber allerdings noch nie erlebt. Aber das lag einfach nahe, wenn man von den bisherigen Bands wegkommen will. Dann haben wir eigentlich noch einen Headliner gesucht und kamen auf New Model Army, da wir dachten, dass das dazu passt. Wer Schandmaul hört, könnte sich auch noch an New Model Army erinnern und so weiter. So haben wir schließlich angefragt. Sie waren auch begeistert von der Idee, wollten jedoch nicht als Headliner nach uns spielen, da sie in München nicht so viele Leute ziehen wie wir. Das war für uns dann auch kein Problem, also spielen wir als letztes.

Könnte das Funkenflug eventuell nächstes Jahr back to the roots oder ganz neue Wege gehen?
Es steht noch ein bisschen in den Sternen, wie wir es machen. Entweder müssen wir einen Batzen Geld in die Hand nehmen und einen teuren Headliner kaufen, damit wir in Hallen wie im Zenith oder in der Tonhalle spielen können. 2000 Leute muss man erst einmal hinter dem Ofen hervorlocken und dementsprechend muss irgendeine Band ziehen. Das ist die eine Variante. Oder man macht alles wieder etwas kleiner und geht z.B. ins Backstage. Da lässt man eine kleinere Band spielen und dafür ist der Laden rappelvoll. Aber Hauptsache, das Funkenflug findet irgendwie statt. In den nächsten Monaten wird sich herauskristallisieren, wieviel Risiko wir in Kauf nehmen oder ob wir auf Nummer sicher gehen.

Ihr seid von der Tonhalle weg gegangen, wo das Funkenflug die letzten beiden Jahre stattfand. Im Zenith gab es bereits im April den Auftakt zu eurer Deutschlandtour. Was war der Grund für den Wechsel?
Erstens ist das Zenith unsere Lieblingshalle und zweitens sind hier die technischen Möglichkeiten am idealsten, gerade wenn man mehrere Bands hat. Hier gibt es einfach genügend Platz für den Aufbau und backstage. Das ist in der Tonhalle nicht der Fall. Da stehen hinter der Halle ein paar Container übereinander. Und vom Ton her ist die Tonhalle auch nicht besser als andere Industriehallen. Von daher fiel die Wahl auf das Zenith. Wie es weitergeht, hängt von unseren Plänen ab.

Habt ihr zum Jahresabschluss in Bezug auf euren Auftritt oder eure Setlist etwas Besonderes geplant?
Nein, wir spielen mit leichten Modifikationen die Setlist unserer Herbsttour. Die ein oder andere Nummer haben wir ausgetauscht. Ansonsten machen wir unsere Show. Ich denke, dass das Festival an sich etwas Besonderes ist. Wo passiert sonst etwas so kurz vor Silvester? Das ist eher die Saure-Gurken-Zeit, wo man den trägen Weihnachtsspeck von der Weihnachtsgans aussitzt. Den kann man hier abtanzen *grinst*

Du hast die Herbsttour als dein persönliches Jahreshighlight bezeichnet. Worin liegen die Gründe dafür, dass der zweite Tourblock besser war als der erste?
Der erste war vor mehr Menschen in größeren Hallen. Aber es war eine kleinere Tour. Ich mag hingegen lange Touren. So geht’s schon einmal los. Desweiteren war alles noch nicht richtig „eingegroovt“. Nach einem halben Jahr zwischen den beiden Touren ist das Album live richtig umgesetzt worden. Auf der A-Tour kamen wir mehr oder weniger frisch aus dem Studio bzw. dem Proberaum. Da muss sich die Maschine erst einmal einlaufen. Auf der Herbsttour hat alles perfekt geklappt. Die Stimmung war super, sowohl bei der Band, als auch bei der Crew und dem Publikum. Es war einfach eine wunderschöne Tournee.

Zwischenzeitlich warst du nach der Herbsttournee mit deinem Nebenprojekt WETO auf Tour. Die Zuschauerzahl lag bei gut einem Fünftel von dem, was Schandmaul normalerweise hat. Heute sind es 2000 bis 2500. Wie beeinflusst dich die Zuschauerzahl und die Musik, die du machst? Oder ist die Situation gleich – unabhängig von der Menge?
Es ist schwieriger vor weniger Menschen zu spielen. Wenn man vor 2000 oder auf Festivals auch vor 10000 Leuten spielt, hat man ein Flattern in der Magengegend, kurz bevor man rausgeht. Im besten Falle jubeln einem dann diese Menschen zu und wollen deine Musik hören. Dann kannst du dich wegtragen lassen von diesem Gefühl und es fährt eine Art Film ab. Oder man merkt es gar nicht, da man sich im Rausch befindet, weil so viele Emotionen vom Publikum zurückkommen. Vor 100 bis 200 Leuten zu spielen erfordert viel mehr Anstrengung, da diese die gleichen Gefühle haben wie die 10000. D.h. du musst dich viel mehr unter Kontrolle haben und viel mehr geben – nicht in Form von Animation zum Klatschen, sondern von der Ausstrahlung her. Da muss viel mehr Power rüberkommen. Auf der anderen Seite – und das ist der Umkehrschluss – ist man in einer großen Halle vom Publikum 5 bis 6 Meter entfernt und steht auf einer riesigen Bühne. Da sieht jemand in der letzten Reihe nicht, wenn ich mit dem Auge zwinkere. Deswegen müssen die Gesten größer werden, damit auch der ganz hinten kapiert, was gerade passiert. Im kleinen intimen Club kann man mit der Augenbraue zucken und im besten Falle kriegen das alle mit. Ich weiß nicht, worauf ich mehr stehe und was ich lieber mag. Wenn ich ehrlich bin, dann schon viele Leute…das ist klar.

Kann es sein, dass dir dein Nebenprojekt geholfen hat, da du – wie du selbst sagtest – einen anderen Publikumsbezug herstellst oder sind diese Erfahrungen in Bezug auf Schandmaul eher nebensächlich, da dort die Ausmaße viel größer sind und man dich als Frontmann bereits kennt?
Abgesehen davon, dass andere Inhalte präsentiert werden und somit die Ansagen, falls welche kommen, ganz anders sind, da ich z.B. hier bei Schandmaul auch zwischen den Songs teils improvisierte Geschichten erzähle, ist es bei WETO eher konzeptionell, da man sich diese Themen nicht mal eben aus der Hosentasche zaubert. Natürlich muss ich ganz klar sagen, dass ich ohne Schandmaul nicht so gewesen wäre wie jetzt. Ich weiß, wie ich vor 8 als WETO-Frontmann war. Ich hab meinen Job gelernt bzw. lerne ihn noch, indem ich vor dem Publikum stand und stehe, um es zu bespaßen. Da spielt es keine Rolle, ob ich den lustigen Märchenonkel oder den bösen Buben spiele. Aber man lernt nie aus.

Welches Funkenflug ist dein persönliches Highlight?
Das erste war schon wunderbar, da so viele Ängste nicht Realität geworden sind. Die Leute kamen, man stand da und das Funkenflug hat sich etwas etabliert. Beim letzten in München, wo wir nur mit WETO auftraten und Corvus Corax Headliner waren, da waren wir nur Veranstalter und haben es nicht als Künstler miterlebt. Das wird sich heute wieder ändern. Kiel und Bonn im letzten Jahr waren viel Arbeit und hinterließen einen komischen Nachgeschmack, da man als Veranstalter und Künstler gleichzeitig doppelt so viel Stress hat. Von daher muss ich sagen: Emotional war es das erste in München. Und ich denke, heute wird es besser.

Bestimmte Lieder von euch, egal ob älter oder neuer, scheinen immer mehr Realitätsbezug zu bekommen, wie z.B. der Text von „Sichelmond“, der sich auf den Konflikt in Israel und Palästina übertragen lässt. Siehst du diese Verbindung ebenfalls? Und gibt es andere Lieder von euch, bei denen du einen solchen Bezug herstellen kannst?
Sagen wir so: Wir erzählen nicht nur Märchen. Der Zuhörer kann selbst entscheiden, was er da hören will: Beim „Sichelmond“ stellt man sich eine Geschichte von einer Karawane und türkischen Kamelreitern vor oder man interpretiert etwas mit den Kreuzzügen der damaligen Zeit hinein. So nimmt man eventuell Bezug zu heute. Das kann man gerne tun, da die heutigen Ereignisse uns auch inspirieren, solche Texte zu schreiben und in Märchenform in der Vergangenheit zu erzählen, damit jeder sich überlegen kann, was er da rauszieht. Bei „Tür in mir“ z.B. kann man auch Guantanamo Bay und alles Mögliche hineininterpretieren. Ich finde es schön, wenn man sich als Zuhörer das ausdenken kann. Wir lassen uns inspirieren durch Fantasy-Romane oder die Tageszeitung inspirieren und verpacken das chic.

Aus deiner Sicht: Was waren die größten Erfolge und Misserfolge von Schandmaul 2006 und deine liebsten Erinnerungen?
Meine liebste Erinnerung ist die Platzierung in den Top 10 mit dem neuen Album. Das ist ein großes Lob. An die Club- und Hallentourneen werde ich mich gern erinnern. Die Festivals, wie z.B. das Amphi-Festival in Köln, waren zum Teil schön. Andererseits waren da einige Gurken dabei mit schlechter Organisation, schlechter PA oder ohne Essen. Ich bin sowieso lieber in Hallen als auf Festivals. Dementsprechend fand ich unsere Clubtouren geil und werde den Festivalsommer bis auf einige rühmliche Ausnahmen aus meinem Gedächtnis streichen.

Und was war in der Musikwelt allgemein 2006 für dich besonders erwähnenswert, sowohl im positiven als auch im negativen Sinne?
Mein Lieblingssong 2006 ist eindeutig „Starlight“ von Muse, mein Lieblingsalbum Audioslave mit „Revelations“. Meine größte Enttäuschung war das neue Pearl Jam-Album, das konnte mich gar nicht schnappen und war rausgeschmissenes Geld. Was fast noch schlimmer war, ist die letzte von Live „Songs from Black Mountain“. Ich hab alle Live-Alben und bin eigentlich sehr begeistert von denen. Das letzte habe ich gekauft und ich weiß nicht, was die gemacht haben. Ich habe gelesen, dass sie ihre Plattenfirma gewechselt haben. Aber scheinbar haben sie auf ihre E-Gitarren bei der alten gelassen. Live habe ich recht wenig gesehen. Auf der Herbsttour die letzte Instanz kennenzulernen, war toll. Man kannte sich von früher und die waren nun einige Jahre off, um personelle Umbesetzungen vorzunehmen. Nach Jahren haben wir uns auf dem ersten und zweiten Tourtag wieder beschnuppert und dann ist da eine geile Kameradschaft draus geworden. Das endete darin, dass wir am letzten Tag noch Tauziehen mit denen gemacht haben und uns die Finger verdreht haben. War ein großer Spaß mit den Jungs, gerne wieder.

Wie sind deine Erwartungen für 2007, persönlich und für Schandmaul?
Mit Schandmaul werden wir erst einmal eine kleine Dankeschön-Tournee machen. Zum einen bedanken wir uns bei den Zuschauer: Wir fahren z.B. nach Aschaffenburg und nicht nach Frankfurt fahren, d.h. es muss nicht wieder der Aschaffenburger nach Frankfurt, sondern umgekehrt. Zum anderen ist es ein Dankeschön an die Veranstalter der ersten Stunde, wie das Colos Saal in Aschaffenburg, die uns von Anfang an unterstützt haben. Da waren erst 200 Leute da, dann 120. Die haben eine Menge Geld mit uns verbraten und uns trotzdem weiter gebookt, bis die Halle mit 400 ausverkauft war. Dann wurde sie zu klein und wir sind woanders hin, d.h. ich weiß gar nicht, ob die am Ende bei +-0 rausgekommen sind. Darum eine Dankeschön-Tour, wo wir die Halle hoffentlich noch einmal voll machen. Wir werden wieder nach Rostock fahren, da waren die jahrelang nicht, da der Club relativ klein ist. Da wird die Atmosphäre auch wieder intimer, da es keinen Graben gibt und die Bühne nicht irgendwie erhöht ist. Das wird ein Riesenspaß. Daneben stehen einige interessante Festivals an. So sind wir z.B. wieder in Wacken und wenn der Veranstalter hält, was er verspricht, dann werden wir dort gegen 19 Uhr auf der Main Stage spielen. Schließlich beginnt die Arbeit am neuen Album und ab Oktober sind wir für ein halbes Jahr nicht auf der Bühne.

Geschrieben am von Metal1.info

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