Interview mit Thomas Lindner von Schandmaul

Wenige Wochen vor dem 10-Jahres-Jubliläumskonzert hatte ich erneut die Gelegenheit, Schandmaul-Sänger Thomas Lindner zu einem ausführlichen Interview zu treffen, in denen er von den Anfängen der Band, ihrer Entwicklung, dem leidigen Thema Kommerz und den Unterschieden zu anderen Vertretern aus dem Folkrock-Genre berichtet.

Für was steht Schandmaul für dich nach 10 Jahren, 6 Studioalben und unzähligen Liveauftritten?
Es ist zurzeit mein Leben und gleichzeitig mein gelebter Traum. Es ist das, was ich machen will. Es macht unglaublich Spaß, ich bin mit guten Freunden zusammen. Das kann von mir aus noch weitere 10 oder 20 Jahre so weitergehen.

Wie bewertest du eure Anfangszeit mit dem Album „Wahre Helden“ im Vergleich zu heute mit „Anderswelt“?
Das hat eigentlich nicht viel miteinander zu tun. In unserer Anfangszeit waren wir jung, dumm und bekamen kein Geld. Hier im südbayerischen Raum ist etwas Neues entstanden, das es so noch nicht gab. Erst als wir über den Tellerrand hinaus geblickt haben, sind wir auf die Szene gestoßen. Damals war es einfach neu hier und auch relativ kantig und roh. Im Laufe der Zeit haben wir an Handfertigkeit und Erfahrung dazugewonnen und mittlerweile mache ich die Musik, die ich machen will. Allerdings muss man irgendwo anfangen.

Du hast gesagt, dass ihr nach und nach dazu übergegangen seid, eindringliche Textinhalte auch durch eine gewisse musikalische Härte umzusetzen. Anderswelt ist sehr märchenhaft geraten und von der allgemeinen Grundstimmung her nicht so düster wie „Mit Leib und Seele“. Seid ihr von dieser Devise abgekommen oder wie kam es dazu?
Wir haben gelernt, dass „Mit Leib und Seele“ sehr düster war und dass das in Wahrheit nicht das ist, was mir kommunizieren wollen. Wir wollen mehr das Träumerische, Märchenhafte, Fröhliche und Verlockende vermitteln und weitergeben. Das wird auch die Richtung für etwaige nächste Alben sein. Das hat meiner Meinung nach wiederum nichts mit Härte zu tun. Ich kann auch eine fröhliche, lustige Nummer mit harten Riffs unterlegen, wenn es dazu passt. Und das wird es auch weiterhin geben. So rein textthematisch werden wir allerdings wieder etwas farbenfroher. Da war „Mit Leib und Seele“ sozusagen der düstere Tiefpunkt, der so nicht geplant war.

Kann man deiner Meinung nach die Titel der einzelnen Lieder wie „Braut“, „Königin“ oder „Prinzessin“ als Überschriften für „allgemeine“ Geschichten bezeichnen oder gibt es individuelle persönliche Aspekte, die darin widergespiegelt werden?
Die jeweiligen Texter suchen sich natürlich die Überschriften für ihre jeweiligen Lieder selbst aus. Ich für meinen Teil kann sagen, dass der Titel als Letztes kommt, nachdem der Text fertig gestellt ist. D.h. ich habe den Text vor mir liegen, lese mir die Geschichte durch und überlege, wie diese jetzt heißen könnte. So entsteht schließlich eine „Königin“, eine „Prinzessin“ oder eben eine „Anderswelt“.

Bei euren Liedern rund um die Nibelungensage habt ihr euch der historischen Vorlage mit jedem Werk mehr angenähert und folgt ihr schließlich mit „Krieger“ sozusagen Wort für Wort. Dient dies der Authentizität des Werks?
Bei „Der junge Sigfried“ war nie geplant, eine Trilogie zu machen. Da habe ich mich genau wie beim „Seemannsgrab“ an eine bekannte Geschichte gehalten, um etwas zu erzählen. Beim „Drachentöter“ entstand dann die Idee, eine Fortsetzung zu schreiben. Da musste ich so langsam die Kurve kriegen, bin etwas im Halbkreis und hatte bereits das feste Ziel, dass es einen dritten Teil geben wird, bei dem ich bei den Nibelungen richtig angekommen sein wollte. So haben wir es durchgezogen und das finde ich gelungen.

Wird man die Nibelungentrilogie, also „Der junge Sigfried“, „Drachentöter“ und „Krieger“, in einer Art Medley live zu hören bekommen?
*grinst* Warten wir doch mal stille ab.

Siehst du Parallelen zwischen euren Balladenklassikern – „Dein Anblick“ und „Willst du?“ – und „Prinzessin“? Oder gibt es sogar eine Verbindung zwischen den Songs?
Eigentlich nicht. Es sind auch jeweils verschiedene Texter. Ich glaube, dass die Stücke aber jeweils die gleichen Gefühle ansprechen. Bei „Willst du“ und „Dein Anblick“ ist es klar: Da nimmt man sein Mädchen bei der Hand und fühlt sich grad wohl mit ihr. Bei „Prinzessin“ kann man es ähnlich sehen, aber ich kriege auch viele E-Mails, in denen mir Väter schreiben, dass ihre Töchter das Lied so gern hören. Und da reden wir von einem Dreikäsehoch, der gerade einmal laufen kann. Dadurch kann man darin auch ein Kinder- oder ein Schlaflied sehen. Ich denke aber nicht, dass dadurch eine Verbindung entsteht, bis auf die Tatsache, dass es sich um Balladen handelt. Das kann die Mama und die Oma auch hören, ohne dass die Türen zugeschlagen werden und es heißt: Mach die Hottentottenmusik aus.

Ist „Frei“ die moderne Interpretation von „Vogelfrei“?
Wenn nur eine Person Texte schreibe, dann wäre es nicht passiert, dass es die Titel „Frei“ und „Vogelfrei“ gegeben hätte. Da jedoch unterschiedliche Bandmitglieder aus ihren Gefühlen heraus zu einem anderen Zeitpunkt Texte schreiben, kann es passieren, dass z.B. Birgit mit „Frei“ einen Text schreibt, der sehr an „Vogelfrei“ erinnert. Im Detail sind es natürlich andere Geschichten: Der eine ist der Halunke und der andere der Verfolgte. Bei beiden Stücken wird aber dieses sehnsuchtsvolle Gefühl angesprochen, ungebunden zu sein und auf niemanden hören zu müssen. Das gefällt den Leuten meistens so gut, dass man problemlos beide Songs auf dem gleichen Konzert spielen kann und die Zuhörer beide Texte mitgröhlen.

Glaubst du, dass ihr einen Song wie „Vogelfrei“ noch einmal in dieser Form schreiben könntet?
Ja, mit Sicherheit. Das Wort „Frei“ haben wir mit Schandmaul allerdings ausgereizt. Da müssten wir uns demnach einen anderen historischen Inhalt suchen. Aber natürlich ginge so etwas in der Art noch einmal, also im Hinblick auf Freiheit, Macht und Selbstbestimmung. Ich glaube, dass das ein unerschöpfliches Thema ist.

Wo siehst du in den besungenen Inhalten bei „Die zweite Seele“ und „Wolfsmensch“ Parallelen und Unterschiede?
Das ist wieder Birgit auf der einen und ich auf der anderen Seite. Wir sprechen uns natürlich nicht ab und schreiben beide vor uns hin. Ich habe bei „Wolfsmensch“ ein Europa-Hörspiel aus den 80er Jahren als Vorlage verwendet. Das war eine Serie von Horrorgeschichten und da gab’s eine Geschichte, wo jemand meinte, ein Werwolf zu sein.
Deswegen sperrte er sich immer ein. Doch in Wirklichkeit war er gar keiner und er bekam nur Krämpfe. Dafür war seine Frau ein Werwolf und hat die Menschen umgebracht. Daran habe ich mich nach gut 20 Jahren erinnert und diese Story rausgezogen. Birgit hat wiederum mehr an einen Vampir gedacht, der seit mehreren 100 Jahren auf der Suche nach seiner Seele ist, die er in seinem Dämonendasein verloren hat. Da kamen relativ ähnliche Geschichten bei raus, die in Wirklichkeit unterschiedliche Thematiken behandeln, in die man sich reinfinden muss.

Mit „Fiddlefolkpunk“ habt ihr dieses Mal nur ein einziges Instrumentallied auf dem gesamten Album, ein Novum. Verabschiedet er ihr euch immer mehr von den rein instrumentalen Songs oder baut ihr diese Elemente inzwischen in Lieder mit Text ein?
Es hat sich dieses Mal so ergeben. Wir haben 2 Instrumentalstücke für „Anderswelt“ geschrieben. Das zweite – der sogenannte Hibblefolkfunk – wurde dann exklusiv als MP3-Download veröffentlicht. Es gibt keine Gesetze, dass wir 2 Songs auf einem Album haben müssen, die keinen Gesang haben.

Einige Stimmen behaupten, ihr hättet mit „Narrenkönig“ das Maximum aus der ursprünglichen Ausrichtung eurer Musik herausgeholt. Danach habt ihr euch in eine andere Richtung entwickelt. Teilst du diese Meinung?
Ich glaube schon. „Wahre Helden“ war am Anfang sehr roh und das zweite Album wurde einfach nur schnell im darauf folgenden Jahr nachgeschossen, da wir zu wenig Songs für ein abendfüllendes Programm hatten. „Narrenkönig“ war dann die Krönung dieser Episode und ist gemäß Umfragen auch das beliebteste Album bis dato. Dann hat es sich für mich wohltuend verändert.

Seit ihr das Risiko der Veränderung bewusst eingegangen?
Das hat sich aus dem Gefühl heraus ergeben. Ich kann diese Rückschlüsse auch erst jetzt mit Abstand und mit Blick auf die Vergangenheit ziehen. Jedes Album ist bisher aus dem Bauch heraus geschrieben worden. So kann ich jetzt zurückblicken auf das, was sich zu den jeweiligen Zeiträumen abgespielt hat.

Innerhalb von 10 Jahren durchlebt man auch privat unterschiedliche Zeiten. Anna macht inzwischen ihr klassisches Soloprojekt, während du zusammen mit Stefan, Matthias und Ducky WETO wieder ins Leben gerufen hast und Birgit wieder mit Sava zugange ist. Wie hat sich das interne Bandgefüge im Laufe der Zeit dadurch verändert?
Sagen wir so: Im Zuge der Professionalisierung, die 2002 angefangen und 2004 aufgehört hat, hat jeder Stück für Stück zusätzliche Aufgaben in der Band übernommen, die über die Musik hinaus gehen. Die Musik ist unser Kerngeschäft, was allerdings nur 30 – 40 Prozent der Zeit in Anspruch nimmt. Der Rest besteht aus Computer, Büro, Merchandise, usw.
Im Laufe der Zeit hat jeder sein Ressort gefunden, nachdem vereinzelt auch getauscht wurde. Ich weiß inzwischen genau, wen ich anrufen muss, wenn ich etwas brauche. Stefan ist für Merchandise und Organisation zuständig, während sich z.B. Mathias um den Ticketvorverkauf kümmert. So ist das alles professioneller geworden, wobei das ein eher negativ behafteter Begriff ist. Die Maschine läuft runder und auch das ganze Team rund um die Musiker wie z.B. Techniker, Booking, Promotion und Management sind jetzt in trockenen Tüchern und richtig gut, nachdem wir viel Lehrgeld gezahlt haben.

Läuft man als Band Gefahr, sich die ursprünglichen Fans durch die Professionalisierung zu vergraulen oder als „Kommerz“ gilt?
Auf jeden Fall und das wird auch immer so sein. Manche entdecken einen im Backstage vor 40 Leuten, finden das total cool und sind dann enttäuscht, wenn bei 3000 bis 4000 Leuten diese Intimität oder Ursprünglichkeit nicht mehr vorhanden ist. Diese Menschen werden dann auch mit erhobenem Zeigefinger nach Kommerz schreien. Aber dagegen kann man nichts tun. Was soll man auch machen? Denen zuliebe werde ich keine Tour durch Pressluftschuppen machen, damit die noch einmal die Intimität der ersten Stunde genießen können. Dann muss man eben auf diese 30 – 40 Leute verzichten.

Gibt es bestimmte Zeitpunkte oder Ereignisse, von denen du denkst, dass sie maßgeblich zu eurem jetzigen Erfolg beigetragen haben?
Es gibt einige Stationen, von denen ich denke, dass sie wichtig waren. Das funktioniert nach dem Domino-Prinzip: Erst fällt der erste Stein und dann der nächste. Man könnte jetzt stundenlang darüber philosophieren, was passiert wäre, wenn dieser und jener Stein da nicht gestanden hätte. Ein großer Schritt in unserem Leben war, eine Booking-Agentur zu finden, die uns über den Münchner Raum hinaus bekannt macht.
Außerdem war es entscheidend, dass wir eine Plattenfirma gefunden haben. Die meisten stellen sich das so vor: Wenn man bei einer Plattenfirma unterschrieben hat, kann man direkt den Porsche 911 bestellen. Bei uns war genau das Gegenteil der Fall, aber wir hatten einen professionellen Vertrieb und mussten uns nicht mehr selbst darum kümmern, dass unsere CDs in einzelnen Läden auf Kommissionsbasis angeboten werden.
Mittlerweile wissen wir, dass sich darum deutschlandweit andere Leute kümmern. Das stetige Livespielen und das „Beackern“ der Hallen kamen uns ebenfalls zu Gute. Anfangs kommen wenig Leute, beim nächsten Mal sind es dann mehr und so steigert sich das.

Wie sehr plant ihr eure Zukunft? Lasst ihr das meiste einfach auf euch zukommen oder habt ihr konkrete Vorstellungen, wann ihr wie weit kommen wollt?
Es wird natürlich sehr viel in die Zukunft geplant, gerade organisatorisch wie z.B. unser Jubiläumskonzert am 14.11.2008. Das Konzept dafür lag bereits vor 2 Jahren auf dem Tisch und da haben auch die Planungen begonnen wie z.B. die Buchung der Halle und die Organisation der Busreisen. Wir haben auch eine konkrete Vorstellung davon, wann wir für das nächste Album ins Studio gehen und wann wir spätestens das Schreiben anfangen sollten. Desweiteren sprechen wir uns darüber ab, wie wir die Touren fahren wollen. Man kann natürlich nicht planen, was davon funktioniert. Rein organisatorisch liegt allerdings immer viel auf dem Tisch.

Läuft man nicht Gefahr, dass man sich unter Druck setzt, wenn man im Kopf klare Vorstellungen davon hat, bis wann man ein neues Album „braucht“? Hemmt das die Kreativität?
Kann es auf jeden Fall, hat er aber bis jetzt noch nicht. Wir veröffentlichen seit geraumer Zeit unsere Alben im 2-Jahres-Zyklus und es ist immer ein komisches Gefühl, wenn man gerade ein Album veröffentlicht und noch keine neuen Songs geschrieben hat. In dieser Situation befinde ich mich gerade. Ab dem ersten Song, den man für das kommende Album schreibt, platzt dann immer so ein Knoten. Dann kommen immer mehr, so nach dem Motto: Ach, du kannst es noch. In der Zwischenzeit fährt man mit freudiger Erwartung in den Proberaum, wartet auf die Muse und ist dann enttäuscht, wenn sie doch nicht da war.

Eure Albenverkäufe sind bis jetzt immer sukzessive gestiegen, ebenso wie die Chartplatzierungen. Glaubst du, dass ihr diesen Weg weiterhin fortsetzen könnt oder habt ihr irgendwann „euren Zenith erreicht“ so wie In Extremo, die mit „Sängerkrieg“ auf 1 eingestiegen sind?
Gut, die können natürlich nicht mehr höher. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass wir ein neues Album veröffentlichen, welches mehr Stückzahlen in der ersten Woche verkauft und trotzdem weiter hinten in den Charts steht. Das hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, z.B. ob sich gerade Madonna mit Phil Collins rumstreitet oder die Charts generell stark besetzt sind. Es kann auch passieren, dass man zwischenzeitlich ein Album mit stagnierenden oder niedrigeren Verkaufszahlen herausbringt. Man weiß vorher nicht, was gerade los ist, d.h. wie viele Alben gerade veröffentlicht werden und von wem. Wie sieht der Gehaltszettel am Anfang des Monats aus? Kann man sich 1, 2 oder 3 CDs kaufen?
Von außen, d.h. von den Fans und der Presse, wird natürlich erwartet, dass das nächste Album über 8 sein muss. Die Erklärungen dafür, warum es dann nicht oder doch so ist, würden allerdings den Rahmen sprengen. Wir hoffen einfach, dass es weiter nach oben geht.

Aber wenn man jetzt ein Platz 1 Album als Ausgangspunkt hat?
Dann muss man wieder einen 1er schreiben, ganz klar.

Wie hat sich die Technik im Laufe der Jahre entwickelt und wie hat sich das auf die Produktion der einzelnen Alben ausgewirkt?
Es ist unglaublich, was inzwischen möglich ist, aber das trifft nicht unbedingt auf Schandmaul zu, weil wir schon immer digital aufgenommen haben. Ich kenne aber aus meiner Zeit davor noch die Bandmaschine und habe damit gearbeitet. Mittlerweile gehen das Schneiden, das Editieren und eigentlich alles viel schneller und besser. Es ist schön, so zu arbeiten. Wir haben uns kürzlich auch auf Mac umgestiegen. Das war eine Erfüllung, es macht einfach nur Spaß. Bei Mikrofonen war man in Wahrheit schon vor 40 Jahren auf einem Niveau, das kaum mehr zu toppen ist. Wir verwenden auch noch Sachen, die 20 bis 30 Jahre alt sind. Die Peripherie drumherum mit Rechnern und Software ist nun allerdings der Himmel auf Erden.

Gibt es ein konkretes Beispiel von einem neueren Album, was so früher nicht machbar gewesen wäre?
Da sind wir relativ konservativ. Was die Aufnahmen und Klangfarben betrifft, das hätte man auch schon vor Jahren so machen können. Es sind mehr die technischen Arbeiten im Hintergrund, wenn man die einzelnen Spuren der Instrumente, die gleichzeitig gespielt haben, vor sich liegen hat. Das Mischen, die Halleffekte und das allgemeine Arbeiten am Computer sind einfach leichter und schöner geworden. Theoretisch hätten wir aber vor 10 bis 15 Jahren schon so klingen können wie heute.

Wie sehr greifen bei euren Liveauftritten Automatismen und inwiefern ist jeder Auftritt – abgesehen von wechselnden Zuhörern und Orten – individuell verschieden?
Im Probenraum können wir nur die Lieder proben. Spontane Ansagen und Bewegungsabläufe ergeben sich auf der Tour
d.h. am Anfang ist es ein ziemlicher Hühnerhaufen und dann routiniert sich das im Laufe der Zeit ein. Man wird noch freier in seinen Reaktionen und das letzte Tourviertel ist dann so, dass man routiniert ist und der Motor läuft. Und das ist ein schönes Gefühl. Die Leute und ihre Reaktionen auf die Geschichten und Ansagen sind auch immer anders. Aber es gibt Rituale, die eingehalten werden, so dass wir uns z.B. eine halbe Stunde vor jedem Konzert treffen, sich alle umziehen und die Mädels sich schminken.
Dann gibt es noch den Händekreis, den man vom Cover des „Wie Pech und Schwefel“-Albums kennt. Das ist nicht erfunden, sondern wir machen das vor jedem Konzert. Dazu gibt es irgendeinen Schlachtruf, der sich pro Stadt ändert. Wir brüllen meistens, was gerade in dem Moment passt. Danach gibt’s einen Schnaps und wir gehen auf die Bühne. Nach dem Konzert geht der eine zuerst duschen, der andere raucht eine und dann gehen wir immer raus. Das sind natürlich schon klare Stationen, die wir da abklappern. Aber das ist ein schönes, beruhigendes Gefühl.

Wie war euer erster Kontakt zu Fans und wie haben sich die Treffen nach den Konzerten eingebürgert?
Am Anfang waren wir ja nur im Landkreis Fürstenfeldbruck tätig. Da kamen meistens Kumpels und Bekannte, so dass es klar war, dass man sich nach dem Konzert unterhält, wenn man mit dem Abbau fertig ist. Das hat sich einfach so fortgesetzt, obwohl es irgendwann keine Kumpels waren, sondern völlig fremde Menschen. Wir haben das beibehalten, weil man auch ein direktes, gesprochenes Feedback bekommt abgesehen von Applaus. Außerdem weiß man genau, dass es viele Leute gibt, die sich unglaublich darüber freuen, ein paar persönliche Worte zu wechseln, ein paar Unterschriften zu sammeln oder ein Foto zu schießen. Wir haben gesehen, dass das den Leuten und uns Spaß macht und deswegen machen wir das, so lange es geht.

Haben sich das Verhalten der Fans und ihre Ansprüche im Laufe der Zeit geändert?
Größtenteils nicht. Es gibt natürlich – wie überall – hier und da schwarze Schafe, die den Hals nicht voll kriegen. Aber das ist auf gar keinen Fall eine Veränderung im Laufe der Zeit. Der Schandmaulfan an sich ist offen, ehrlich und höflich, aber auch manchmal zurückhaltend und schüchtern. Wir mussten noch nie Angst haben, dass einer versucht, den Mädels besoffen an die Brust zu grabschen oder so was. Von daher hat es sich nicht verändert, es wurden nur mehr.

Fühlt ihr euch genügend respektiert und geachtet für eure Arbeit, sowohl von den Fans als auch von den anderen Medien?
Das ist immer so eine Sache. Man kann das nicht verallgemeinern. Wenn man 2 Jahre an einem Album gearbeitet hat, es dann veröffentlicht wird und die erste Reaktion bei Amazon lautet sinngemäß: Ist ja gar nicht mehr so wie früher, das klingt scheiße. Früher war alles besser und ich glaub, ich mag die Band jetzt nicht mehr. Dann denkt man sich: Danke dafür. Wenn man es dann unter dem Strich sieht, dann sind es 3 bis 5 Leute, denen etwas nicht gepasst hat, weil sie am liebsten 10 Mal das erste Album „Wahre Helden“ und keine Veränderung gehabt hätten.
Im Nachhinein ärgert einen das auch nicht, da es z.B. sehr viele gibt, die mit dem neuen Album einsteigen und die älteren Scheiben erst viel später hören. Das gilt auch für die Presse: Da gibt es Leute, die kennt man dann schon und weiß, wenn wir jetzt nicht genau so klingen wie bei „Walpurgisnacht“ auf „Narrenkönig“, dann sind wir nicht mehr das, was wir mal waren und Kommerz. Da wird man dann zerrissen. Gegen diese negative Kritik stumpft man irgendwann ab, wenn sie unberechtigt ist. Wenn sie berechtigt ist, macht man sich natürlich Gedanken wie z.B. bei „Mit Leib und Seele“. Da kritisierten viele Fans, dass es zu düster war, und wir dachten uns im Laufe der Zeit auch, dass sie damit Recht hatten.

Vor Jahren hast du einmal gesagt, dass es Pläne gibt, eure Musik in Osteuropa und auch Japan bekannter zu machen. Nun spielt ihr euer erstes Konzert in Moskau am 01.11.. Wie sehr nehmen diese Pläne inzwischen Form an?
Das wird sich zeigen. Moskau schauen wir uns jetzt einfach an, das wird ein netter Wochenendausflug. Dann werden wir sehen, ob das Sinn macht. Wir werden nicht 10 Leute nur für einen Wochenendausflug durch Europa fliegen. In Extremo und Subway to Sally waren bereits da und haben uns berichtet, dass es scheinbar einen Markt gibt. Angeblich macht es sehr viel Spaß dort. Die Pläne mit Japan haben sich zerschlagen, aber wir werden demnächst auf jeden Fall in Polen und Tschechien auftreten. Das liegt rein verkehrsmitteltechnisch auch noch im vernünftigen Rahmen.

Welche Details kannst du uns zu eurem Konzert am 14.11. im Zenith sowie zur dazugehörigen DVD-Veröffentlichung verraten?
Es wird das größte und längste Konzert, das wir je in einer Halle gespielt haben. Es wird ein Querschnitt durch 10 Jahre Schandmaul im wahrsten Sinne des Wortes. Wir haben einige Überraschungen dabei, so wurden z.B. einige Nummern umgestaltet, die bereits auf Live CDs oder DVDs drauf sind. Wir werden ein paar Gastmusiker haben und es wird einfach die größte Party des Jahres, die in Wort und Bild festgehalten wird.

Ihr habt eure Fans über Teile der Setliste abstimmen lassen. Besonders beliebt waren wieder einmal eure Klassiker wie „Herren der Winde“, „Walpurgisnacht“ und „Dein Anblick“. Hättet ihr diese Titel nicht so oder so gespielt?
War ein bisschen ungeschickt von den Jungs und Mädels, weil sie sich denken hätten können, dass wir diese Titel spielen. So hätte man noch andere mit rein wählen können. Wir haben allerdings die komplette Beliebtheitsskala mit allen 97 Songs gesehen und der Geschmack unserer Fans war bis auf 2 bis 3 Nummern deckungsgleich mit unserer ursprünglichen Setliste.

Welcher Gastmusiker konnte im Laufe der Jahre am Meisten zu euerer Musik beitragen?
Das ist schwierig, wenn man den Circus Krone mit Streichern, etc. außen vor lässt. Auf Studioalben hatten wir höchstens mal ein Cello…

Es gab z.B. den Gastauftritt von Micha von In Extremo…
Ja, gut, das war natürlich live. Das war eine riesen Sause und es hat mächtig Spaß gemacht, diese Nummer umzuschreiben. Er kam damals extra aus Köln, um mit denn männlichen Bandmitgliedern zu proben, und als die Mädchen eine Woche später diese „Rock’n’Roll“-Version gehört haben, sind sie beinahe aus den Schuhen gekippt und haben uns gefragt, was wir da angestellt haben. Eric Fish hatte vereinzelt Gastauftritte, die nicht festgehalten wurden. Eigentlich hatten wir aber wenig Gastmusiker.

Subway to Sally haben dieses Jahr des Bundesvision Songcontest gewonnen, In Extremo wurden vor 2 Jahren 3. Wird es jetzt Zeit für Schandmaul?
Wir haben uns mit gemischten Gefühlen beworben. So nach dem Motto: Erst waren die, dann die und jetzt müssen die. Da gab es einige interne Diskussionen vor der Bewerbung. Letztendlich haben wir verloren gegen…*überlegt*
Sportfreunde Stiller?
Nein, dieses Jahr. Wir haben erst vor einer Woche erfahren, dass wir abgelehnt wurden. Dieses Mädchen, das bayerisch singt…

Claudia Koreck?
Genau. Die ist genommen worden. Damit ist die Sache für uns gegessen.

Wie erklärst du dir eure immer weiter wachsende Popularität im Norden Deutschlands, obwohl ihr eigentlich im Münchner Raum groß geworden seid?
Weil der Sänger nicht bayerisch spricht, sondern aus Bremen kommt *lacht*

Innerhalb der letzten 10 Jahre hat sich im musikalischen „Mainstream“ einiges getan. Nach dem Eurodance erlebte Techno Ende der 90er seine Blütezeit, dazu kamen jetzt der deutschsprachige Rap und Hip Hop mit Aggro Berlin und Konsorten sowie neuerdings der Emo-Trend u.a. begünstigt von Bands wie Bullet For My Valentine etc. Wie ist deine Meinung zu diesen unterschiedlichen Trends?
Grundsätzlich finde ich es sehr schön, dass in der deutschen Musiklandschaft auch wieder deutsch gesprochen wird. Ich bin eher in der Rock/Pop-Gegend angesiedelt und hab mit Hip Hop wenig am Hut. Fanta 4 sind von der alten Schule, das ist ok. Aggro Berlin geht für mich gar nicht, aber das muss jeder selbst entscheiden. Was mich aber allgemein freut, ist, dass wieder deutsch gesprochen wird und es nicht dieses ewige Englischgeseier gibt. Mittlerweile gibt es auch diese coole Hannoveraner Band, die spanisch machen…wie heißen die noch…
Rhythms del Mundo?
Nein. Marqu…
Marquess?
Genau. Großartig, dass sich da Hannoveraner zu einer Kapelle zusammentun, spanisch singen und auf die Frage, warum sie spanisch singen, antworten: Warum fragst du nicht, warum wir nicht englisch singen? Ich finde das super. Soll doch jeder mit den Sprachen spielen wie er will. Hauptsache, Deutsch ist auch wieder dabei.

Beschäftigst du lieber mit der Vergangenheit von Schandmaul oder der Zukunft der Band?
In Wahrheit mit dem Jetzt und Hier. Wir haben über unsere Vergangenheit reflektiert und resümiert, das gibt es auf unserer DVD „Sinnbilder“ zu sehen. Da hat jeder von uns 6 über die letzten 10 Jahre gesprochen, das war ein schöner Moment. Im Hinblick auf die Zukunft hat man grob im Kopf, was kommt. Aber ich beschäftige mich eher damit, was ich heute und morgen zu tun habe. Ich bin ein „Jetzt-Denker“ und mal gucken, wohin der Weg geht.

Wie fühlt man sich, wenn man in einem inner schnelllebigeren Musikgeschäft auch nach so langer Zeit noch fast in der Ursprungsbesetzung auftritt?
Ich bin stolz auf uns, dass das so geklappt hat. Ohne unsere Freundschaft und auf rein kollegialer Ebene wären wir schon wieder weg, definitiv. Wenn die Freundschaft nicht mehr hinhaut, gehen viele Bands vor die Hunde. Deswegen bin ich froh mit 5 so schönen, lieben Menschen zusammenzuarbeiten.

Ihr habt im Laufe der letzten Jahre angefangen Nachwuchsbands durch spezielle Wettbewerbe zu fördern. Könnt ihr euch vorstellen, mit diesen Bands zusammen Konzerte zu geben, um zu sehen wie sie sich u.a. durch eure Förderung entwickelt haben?
Wenn sich das ergibt, auf jeden Fall. Zu den Siegern vom vorletzten Mal, Loonataraxis, haben wir heute noch Kontakt und verfolgen ihren Weg nach wie vor. Ob der Wettbewerb allerdings noch lange lebt, weiß ich nicht. Man hat gesehen, dass der Zuspruch von Jahr zu Jahr abnimmt. Der erste war der coolste, warum auch immer.
Jetzt gucken wir, was dieses Jahr passiert. Wir waren z.B. auf der Album-Release-Party von Loonataraxis. Das hat riesig Spaß gemacht. Wir haben gesehen, was sich innerhalb der Band entwickelt hat und was wir durch unsere Tipps verändern konnten. Wenn man sieht, was die dann umsetzen können, ist das einfach schön.

Fühlt ihr euch durch den Preis, den ihr für eure Nachwuchsarbeit erhalten habt, in eurer Arbeit bestätigt?
Auf jeden Fall. Wir fanden es selbst nicht schlecht und das wurde uns dann plötzlich von offizieller Seite bestätigt.

Wie würdest du eure Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Musiktherapieforschung zusammenfassen?
Es ist mittlerweile ruhiger geworden. Wir arbeiten jetzt seit 3 Jahren mit dem Zentrum zusammen. Anfänglich haben sie von unserer Promotion profitiert. Danach haben wir noch ein Benefizfestival gespielt und es fand ein reger Austausch statt. Derzeit sortieren wir uns neu und man wird sehen, wo die Reise hingeht. Dann wird sich herausstellen, ob wir das weitermachen oder neue Wege gehen. Rückblickend denke ich, dass für beide Seiten etwas herausgesprungen ist, da viel darüber gesprochen wurde. Durch die erhöhte Nachfrage auf Grund von vermehrter Öffentlichkeitsarbeit musste das DZM einen zusätzlichen Therapeuten anstellen.

Ist schandmaultechnisch durch Familienplanungen der Bandmitglieder oder ähnliches eine Veränderung oder gar ein Ende in Sicht?
Ne, ein Ende auf gar keinen Fall. Derzeit steht noch nichts an. Noch ist keine schwanger, das wird aber mit Sicherheit passieren. Man steckt nicht drin in den Mädels, d.h. irgendwann ist es dann soweit. Dann wird das Mädel erst einmal eine Babypause machen und es gibt einen Live-Ersatz oder die Band macht generell ein halbes Jahr Konzertpause. Zahlreiche Kollegen aus der Musikwelt haben bewiesen, dass das geht. Vielleicht nicht so, wie man das sich das vorstellt – aber so, dass es machbar ist.

Rückblickend betrachtet…

Dein persönliches Schandmaul-Lieblingslied:
Das ändert sich. Wenn ich auf der Bühne stehe, sind es die Lieder, die abgehen und bei denen man das direkte Feedback bekommt. Da macht „Walpurgnisnacht“ immer noch Spaß. Allerdings kann ich den Song nicht mehr hören, da ich ihn rückwärts kann.
Für unser Liveset haben wir außerdem „Der Kurier“ wieder ausgebuddelt, der mir spielerisch eine Menge Spaß macht, obwohl es insgesamt eine eher kurzweilige Nummer ist. Wenn ich hier und da unsere Platten anhöre, dann widme ich mich den leiseren, nachdenklichen Stücken wie „Abschied“. „Königin“ und „Feuertanz“ sind 2 meiner Highlights. Ein weiteres Highlight meinerseits ist „Der Sumpf“, das allerdings beim Volk eher unbeliebt ist.

Dein Lieblingsalbum:
Immer das letzte, d.h. zurzeit „Anderwelt“.

Dein Lieblingsliveauftritt:
Schwankt zwischen Circus Krone 2005 und Wacken 2007.

Irgendwelche besonderen Erinnerungen?
Circus Krone war einfach etwas Großartiges, das 9 Monate lang sehr viel Blut, Schweiß und Tränen gekostet hat. Wacken war einfach überwältigend durch die über 20,000 Menschen vor der Bühne, die die Feuerzeuge erhoben.

Deine Lieblingstour und dein schönstes Tourerlebnis:
Puh, ist schwierig. Die letzte Tour war ebenfalls super. Irgendwann wird es schwierig mit den Erinnerungen, da man gewisse Mischkalkulationen anstellt. Man denkt sich: Boah, war das eine geile Tour und haut in Wahrheit 3 verschiedene durcheinander. Es ist immer wieder schön in Hamburg und Köln zu spielen. Das sind besondere Stationen, wo wir uns von klein nach groß gearbeitet haben. Man kennt die ganzen Leute der 1. Stunde. Lieblingstour kann ich also nicht sagen.

Dein persönliches Highlight fernab der Musik:
*überlegt lange* Den Rest, den ich so mache. Dieses Jahr war mein Highlight z.B. mein einwöchiger Fahrradurlaub in der Eifel.

Dein persönlicher Tiefpunkt:
Wenn es hier und da nicht klappt mit den Weibern.

Euer schönstes Fangeschenk:
Wir kriegen jedes Jahr einen Weihnachtsbaum und legen unsere Geschenke drunter. Aber das schönste Geschenk erwartet uns meiner Meinung nach noch: Wenn wir am 14.11. die Bühne betreten.

Was du immer schon einmal mitteilen wolltest, aber bis jetzt in keinem Interview gesagt hast:
Wenn ich Millionär wäre, würde ich Porsche 911 fahren.

Welche Frage kannst du inzwischen nicht mehr hören, obwohl sie dir immer wieder gestellt wird?
Wie seid ihr auf den Namen Schandmaul gekommen?

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