Interview mit Guðmundur Óli Pálmason von Sólstafir

Mit ihrem fünften Album „Ótta“ haben die Isländer SÓLSTAFIR wahre Begeisterungsstürme ausgelöst. Erklärungsversuche für den Hype, Erinnerungen an den Entstehungsprozess des Albums und eine Liebeserklärung ans Vinyl von Schlagzeuger Guðmundur Óli Pálmason.

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Euer neues Album „Ótta“ ist unlängst erschienen, die Reaktionen darauf sind gelinde gesagt überwältigend. Habt ihr eine solche Flut positiver Reaktionen erwartet?
Nein, ganz ehrlich: Wir haben viel durchwachsenere Reaktionen erwartet. Wir haben bis jetzt wirklich kein einziges negatives Review bekommen, niemanden gefunden, dem das Album nicht gefällt.

Ihr habt in den letzten Jahren ja einen beeindruckenden Karrieresprung gemacht, könnte man sagen. Habt ihr eine Erklärung dafür? Was habt ihr, was andere Bands nicht haben?
Ich habe keine Ahnung. Wir machen einfach die Musik, die wir mögen – und den Leuten scheint sie eben auch zu gefallen.

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Schon der Opener von „Ótta“ birgt mit dem Piano eine große Überraschung – im weiteren Albumverlauf kommen aber auch Streicher oder ein Banjo zum Zug. Was hat euch dazu gebracht, mit diesen Instrumenten zu experimentieren?
Klavier haben wir schon früher benutzt, das erste Mal auf unserer allerersten Demo 1995 – insofern war das nicht wirklich neu. Aber anstatt das Piano einfach später hinzuzufügen, haben wir einige der neuen Songs am Klavier geschrieben. Streicher wollten wir schon lange mal einsetzen, aber bislang gab es in den Songs weder die Notwendigkeit noch den Raum. Deshalb haben wir dieses Mal sehr bewusst Raum für die Streicher gelassen und ich muss sagen: Das Amiina String Quartet hat das echt großartig gemacht. Das Banjo kam dann tatsächlich mehr oder weniger zufällig dazu: Sæþór kam eines Tages mit dieser nach Bluegrass klingenden Gitarren-Hook. Zuerst haben wir uns darüber totgelacht, aber dann hat Addi seine Gitarre auf A runtergestimmt – das gab dieser fast lächerlichen Gitarrenmelodie dann einen Ausgleich. Aber uns allen war klar, dass diese Melodie mit einem Banjo gespielt gehört. Also haben wir das Metal-Regelwerk 101 konsultiert: Was steht da, dürfen wir ein Banjo in einem Metal-Song benutzen? Nein? Okay, dann machen wir das doch!

In unserem letzten Interview hat Adalbjörn Tryggvason erzählt, dass ihr die Songs immer im Proberaum beim Jammen schreibt – das scheint dieses Mal also anders gelaufen zu sein?
Wir schreiben immer noch das Meiste beim Jammen im Proberaum. Aber natürlich, durch das Piano und die Tatsache, dass daran Songs entstanden sind, hat sich das teilweise geändert. Wenn du auf einem anderen Instrument komponierst, klingt natürlich auch das Ergebnis anders. Und wie gesagt haben wir beim Komponieren dieses Mal auch sehr bewusst Stellen für die Streicher freigehalten.

Gibt es dieses Mal wieder Anekdoten von den Aufnahme-Sessions zu berichten? Das letzte Mal war ja einiges los, bis hin zu einer zerstörten Gitarre und einem Mordversuch…
Nein …glücklicherweise liefen die Aufnahmen dieses Mal sehr entspannt. (lacht)

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Das Textkonzept von „Ótta“ basiert auf einem alten isländischen System der Zeiteinteilung, in dem der Tag in acht Teile zu je drei Stunden geteilt wird. Aber worum geht es in den Texten konkret? Schreibt ihr über die jeweiligen Tageszeiten oder darüber, was in dieser Zeit passiert?
Nein, nichts so Konkretes. Die Texte sind eher von den verschiedenen Gefühlen beeinflusst, die einem verschiedene Tageszeiten, aber auch verschiedene Jahreszeiten geben: Eine Sommernacht ist nicht mit einer Winternacht zu vergleichen, beispielsweise. Addi und ich haben je vier Texte geschrieben, und ich weiß, dass er, um sich darauf einzustimmen, Gedichte von Hallgrímur Pétursson gelesen hat, wohingegen ich Inspirationen aus den Werken von Halldór Laxness und vor allem Jóhannes úr Kötlum gezogen habe. Es ist wirklich schade, dass 99% unserer Fans die Texte nicht verstehen. Wir stecken wirklich viel Arbeit in diesen Teilaspekt unserer Kunst und ich denke, sie sind wirklich gut. Auch wenn ich das jetzt selbst behaupte. (lacht)

Schreibt ihr erst die Musik und dann die Texte oder andersherum? Und wie hat sich die Songreihenfolge auf dem Album entschieden?
Für gewöhnlich schreiben wir erst die Musik, dann kommen die Texte. Aber Addi und ich haben da eine gänzlich unterschiedliche Herangehensweise: Er ist viel spontaner, er textet auch noch in der Gesangskabine im Studio. Ich hingegen schreibe oft schon Ideen nieder, die ich dann an die Songs anpasse. Lustigerweise hatten wir dieses Mal die Abfolge der Songtitel fix, bevor die Songreihenfolge feststand, da die Titel dem Rhythmus eines 24-Stunden-Tages folgen. Insofern hatten die Songs Texte, bevor sie einen Titel oder einen Platz in der Tracklist hatten.

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Es gibt auch eine „Collectors Edition“ des Albums mit Bonus-CD. Warum habt ihr diese Songs als Bonus-Material veröffentlicht?
Weil das Album einem strikten Konzept, bestehend aus acht Teilen, folgt, war es für uns nie eine Option, irgendwelches Bonus-Material mit auf die CD zu bringen. Und wir wollten unbedingt mal ein Album mit einer beiliegenden EP machen, wie Entombed mit „Wolverine Blues“ und der „Holloman“-EP.

Inwieweit wart ihr als Band in die Entscheidungen involviert, wie die Collectors-Edition beschaffen sein soll?
Wir waren in den Entstehungsprozess mit eingebunden – einige Ideen wie die LP-Unterlegmatte kamen von uns, andere von Labelseite und wurden von uns autorisiert.

Und was ist deine generelle Meinung zu derartigen Boxsets? Ist das die richtige Antwort auf illegale Downloads oder (halb-)legale Streams und ein guter Weg, physisch vertriebene Musik attraktiv zu halten?
So lange man T-Shirts und Aufnäher nicht downloaden kann, werden die Leute sie kaufen – insofern ist das ein wichtiger Weg, CD-Verkäufe anzukurbeln.

Die Album-Edition in farbigem Vinyl war sehr schnell ausverkauft – es scheint, als wäre Vinyl einfach nicht totzukriegen. Bist du selbst auch Vinyl-Sammler und wenn ja: warum?
Ja, wir alle lieben und sammeln Vinyl. Es ist einfach von allen möglichen Formaten das, bei dem man am meisten für sein Geld bekommt: Guten Sound, ein großes Cover, etwas zum In-der-Hand-halten, während man Musik hört – und man muss die Seiten wechseln. Aber ich glaube, wir gehören einer aussterbenden Gattung an…

Solstafir TourIhr werdet bald auf Tour gehen – wie löst ihr das Problem, das euch die Zusatz-Instrumentierung hinsichtlich der Live-Umsetzung beschert?
Wir fänden es grandios, mit einem Pianisten und einem Streicherquartett auf Tour zu gehen – aber das ist schlicht zu teuer. Insofern müssen wir vorerst auf Samples zurückgreifen.

Letzte Frage: Wie viele der Accessoires und Kleidungsstücke eures Bühnenoutfits würdet ihr tragen, wenn man euch an einem gewöhnlichen Sonntagmorgen in Reykjavik über den Weg laufen würde?
Alles natürlich! (lacht)

Zum Abschluss ein kurzes Brainstorming:
Bárdarbunga: Vulkan
Ukraine-Krise: Menschen, ihre dumme Politik und ihre abscheulichen Kriege
Deutschland: Bier
Deine favorisierte Tagestzeit: Die arktische Sommernacht in Island
Facebook: Notwendiges Übel
Lieblingsalbum 2014: Anathema – Distant Satellites

Vielen Dank für das Interview. Die letzten Worte gehören dir:
Vielen Dank für die Unterstützung – man sieht sich auf Tour!

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Die Bildrechte liegen bei: Bowen Staines (1), Stebba Osk (2, 4), Bjorn Arnason (3)

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