Klimawandel und Krieg, Rassismus, Hass und Ausbeutung: Tagtäglich werden wir mit negativen Nachrichten aus aller Welt bombardiert. Doch so wichtig es ist, sich mit diesen Problemen auseinanderzusetzen, so wichtig ist es auch, das Positive im Blick zu behalten. Neben dem oft bitter nötigen „Eskapismus durch Musikgenuss“ bietet die Metal-Szene hierfür (bei allen nicht zu leugnenden Problemen) jede Menge tolle Projekte. In unserer Interview-Serie „HEAVY … aber herzlich!“ stellen wir sozial, ökologisch oder politisch engagierte Vereine, Veranstaltungen und Personen vor, die uns Mut und die Welt zu einem besseren Ort machen.
In Teil 9 dieses Specials sprechen wir mit Band-Managerin Kim und Gitarrist Malte von SPERLING, die gemeinsam in einem umfangreichen Projekt die CO2-Bilanz ihrer letzten Tour berechnet haben, über Schuldgefühle, fehlende Standards und Wege, als Band klimafreundlicher zu agieren.
Mehr Informationen zu dem Projekt findet ihr auf der Instagram-Seite von SPERLING!
Das Projekt ist im Kontext einer Masterarbeit entstanden. Wie bist du auf die Idee gekommen, das Thema CO2-Fussabdruck im Touring-Business unter die Lupe zu nehmen?
Kim: Ich hatte an der Popakademie studiert, Music and Creative Industries. Davor hatte ich bei der Messe Stuttgart gearbeitet und da Nachhaltigkeitsmanagement gemacht und dort eben auch genau dieses Thema betreut: Wir haben da jedes Jahr unsere CO2-Bilanzen aufgestellt und ich habe das federführend gemacht. Dann bin ich in die Musikbranche gewechselt und habe mich gefragt, was es da eigentlich schon gibt. Denn eigentlich läuft dieses ganze Thema Klimaschutzbilanzen immer nach einem sehr ähnlichen Prinzip, man muss Daten erheben, man macht eine Bilanz draus und dann überlegt man sich, welche Maßnahmen kann man ableiten, um den Fußabdruck zu reduzieren. Das hatte ich dann eben den Jungs von SPERLING vorgeschlagen und die fanden das auch voll cool. Und dann haben wir das einfach zusammen gemacht und ich habe meine Masterarbeit zu dem Thema geschrieben.
Wie reagiert man als Musiker, wenn einem sowas vorgeschlagen wird? Wart ihr sofort begeistert oder hattet ihr Vorbehalte? Das Thema ist ja nicht gerade angenehm, man wird mit einer „Schuld“ konfrontiert, die man im Alltag vielleicht eher verdrängt …
Malte: Also uns war klar, dass wir uns damit sehr nackt machen. Aber das war generell OK für uns. Wir machen uns ja nichts vor: Dass wir schon allein einen Haufen Emissionen in die Welt setzen, wenn wir im Jahr zwei Touren fahren und im Sommer die ganze Zeit Festivals spielen und da die ganze Zeit unterwegs sind, ist ja einfach so. Uns war es aber in dem Moment erstmal wichtig, zu sehen, was das überhaupt für ein Ausmaß hat, was wir für einen Anteil an den Emissionen haben. Von daher waren wir sehr gewillt, das Projekt anzunehmen, und haben uns drüber gefreut, weil das ein Riesenaufwand ist. Den hätten wir allein niemals stemmen können. Und den größten Teil der Arbeit hat natürlich Kim erledigt. Es war quasi ein kleines Geschenk, dass wir das überhaupt machen konnten. Allein eine solche Bilanz zu erstellen ist ein recht kostspieliges Unterfangen. Aber Kim hat da sehr gute Partner an Land gezogen, mit denen wir das machen konnten. Also in erster Linie waren wir super dankbar, dass wir das überhaupt machen konnten.

Der „CO2-Fußabdruck“ als solcher ist ja ein sehr umstrittener Begriff, weil er ja bekanntermaßen von der Öl-Lobby erfunden wurde, um den Fokus auf die Privatpersonen und weg von der Industrie zu lenken. Seht ihr euch denn als kleine Band aus dem Rhein-Hunsrück-Kreis verantwortlich für die Rettung des Weltklimas, wollt ihr euch diesen Schuh überhaupt anziehen?
Malte: Am Ende vom Tag ist es natürlich ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir sind eine recht kleine Band, wir fahren auf Tour mit einem oder zwei Sprintern durch die Gegend, spielen in 400er-Venues und produzieren eine gewisse Menge an Merch. Uns geht es auch nicht darum, mit dieser einen Bilanz, die wir jetzt erstellt haben, die Welt zu verändern oder sowas. Das ist ja komplett unrealistisch. Aber es ist natürlich cool, in einer Branche, in der es überhaupt keine Richtlinien dafür gibt, erst einmal überhaupt Awareness dafür zu schaffen und vielleicht auch so einen Stein ins Rollen zu bringen. Also du hast vollkommen Recht, eigentlich müssten sich da ganz andere Gedanken machen. Aber bis das passiert, ist es eben leider so, dass sich auch die kleinen Bands oder generell kleinere Gruppen damit befassen müssen, um Awareness dafür zu schaffen und es hinzubekommen, dass das Thema wieder in dem Fokus gerückt wird und dass Leute darüber reden.
Kannst du für uns zusammenfassen, was für Daten ihr konkret erhoben habt, und wo ihr dabei auf Schwierigkeiten gestoßen seid?
Kim: Insgesamt haben wir drei Posten erhoben: einmal die Bands plus Support, einmal Fans und einmal Venues. Die Daten von der Band waren natürlich super einfach zu erheben, wir haben ja dann auch erfasst. Wir wussten, wie weit wir mit welchem Fahrzeug gefahren sind, wie unsere Crew zu den unterschiedlichen Stops gekommen ist, wie die zu den Proben angereist sind, mit welchem Auto, ob das ein Benziner ist oder ein Elektrofahrzeug, und wo wir übernachtet haben. Auch bei den Supports, deswegen war es da sehr einfach, an Daten zu kommen.
Den Datenerfassungsbogen für die Fans habe ich mit Expert:innen erarbeitet, da gibt es zum Beispiel das Unternehmen Klimaklitsche GmbH, die haben eine App namens Crowd Impact, an der habe ich mich ein bisschen orientiert, was die für Daten abfragen. Es ist noch eine andere Plattform in der Mache, Music Cares. Auch da habe ich geschaut, was die abfragen, und habe dann mit diesem Input einfach selbst was erstellt. Die Fan-Daten zu erheben war auch recht simpel, und auch sehr erfreulich, weil etwa 20 % aller Besuchenden diesen Fragebogen ausgefüllt haben, was eine extrem gute Rücklaufquote ist.
Den Datenerfassungsbogen für die Venues habe ich zusammen mit der Klimaschutzstiftung Baden-Württemberg erstellt. Da wurden tatsächlich sehr, sehr viele verschiedene Daten abgefragt, zum Thema Catering, zum Thema Mitarbeiter, zum Thema Anreise der Mitarbeiter, Strom, Wärme, Kälte … Das bedeutet für die Venue, dass sie Daten aus ganz vielen verschiedenen Bereichen benötigen, von der Gastro bis zur Technik. Das nimmt schon extrem viel Zeit in Anspruch, und das hat sich natürlich auch im Rücklauf gezeigt, dass eben nicht alle die Bögen ausgefüllt haben, was man aber auch nicht erwarten kann. Als kleine Band hat man eben auch nicht so ein Standing wie eine große Band, für die das dann vielleicht eher gemacht wird. Wir haben diesen Bogen an neun Veranstaltende geschickt, und drei oder vier haben wir ausgefüllt zurückbekommen, einen davon sehr gut, den konnten wir dann nutzen, um hochzurechnen. Also klar, es waren einige Datenlücken da, aber wenn man von anderen Venues Referenzwerte hat, ist es einfacher, das hochzurechnen. Aber die Daten der Venues zu bekommen war definitiv am schwierigsten. Das ist gar kein Vorwurf an irgendjemanden, viele haben gar nicht die Ressourcen oder die Mittel, das in Erfahrung zu bringen.
Was auch schwierig war, waren die Daten für Abfall und Recycling, das kann man nur schätzen. Deswegen ist dieser Posten in der Bilanz auch recht hoch, weil ich da mit sehr hohen Werten kalkuliert habe.
Hier gibt es die verwendeten Erfassungsbögen zum Download:
(1) Datenerfassungsbogen für Fans
(2) Datenerfassungsbogen für Venues
Was habt ihr bei der Datenerfassung an Erkenntnissen gewonnen, ganz unabhängig von den Daten selbst: Waren die Leute froh, etwas beitragen zu können, oder eher skeptisch, gerade auf Veranstalterseite?
Malte: Wir haben auf der Bühne immer eine Ansage gemacht und die Leute dazu angehalten, nach der zum Merch zu kommen – also nicht nur, um Merch zu kaufen, sondern um diese Umfrage auszufüllen. Da haben sich dann immer zwei Reihen gebildet, eine Reihe von Leuten, die sich ein T-Shirt kaufen wollten, und die andere Reihe mit die Leute, die die Aktion cool fanden und ihre Daten abgeben wollten. Das ist alles angenehm gewesen, wir sind da auf sehr, sehr offene Ohren gestoßen. Aber es ist natürlich auch so, dass wir ein Publikum haben, das sehr gewissenhaft mit dem Thema umgeht. Ich weiß jetzt nicht, wie das bei anderen Bands gewesen wäre … aber ja, es ist auf jeden Fall eine sehr, sehr positive Aktion gewesen.
Kim: Die Fans haben sich wirklich sehr positiv dazu geäußert – auch im Nachgang mit der Veröffentlichung der Bilanz habe ich das Gefühl, dass das sehr, sehr nette Menschen und sehr gutes Feedback zurückkommt. Für die Venues bedeutet das eben einen enormen Aufwand. Also man hat gesehen, viele fanden das auch sehr cool, aber manche konnten es auch einfach gar nicht machen, weil sie das Personal dafür nicht hatten oder die Daten: Ein Veranstaltungsort war dabei, der gehörte der Stadt, die hätten dann also die Stadt kontaktieren müssen, um die Stromdaten zu bekommen.

Und wie wird dann aus all diesen Daten eine CO2-Bilanz?
Kim: Das haben wir gemeinsam mit den beiden Unternehmen MyClimate und Klimaktiv gemacht. Klimaktiv hat ein Berechnungstool dazu, und mit MyClimate waren wir im direkten Austausch mit einer Mitarbeiterin, die uns dabei unterstützt hat – die berechnen eben die CO2-Bilanz. Jeder Posten wird dann nochmal mit einem Emissionswert, oder Emissionsfaktor, multipliziert. Diese Emissionsfaktoren kann man alle online nachlesen, das wäre aber für uns viel zu aufwendig gewesen, das wäre nochmal eine zweite Maßarbeit gewesen. Deswegen waren wir froh, dass wir da Unterstützung von den zwei Unternehmen bekommen haben, die das quasi jeden Tag für Unternehmen machen.
In der Summe habt ihr dann eben diese Zahl von 45,58 Tonnen rausbekommen. Was macht das mit einem? War das eine Zahl, die dich überrascht hat, was war deine Reaktion auf diese ganz simple Zahl?
Malte: Ich war auf jeden Fall komplett baff. Ich hab damit gerechnet, dass es eine unschöne Zahl wird, aber ich hab nicht damit gerechnet, dass es so viel ist. Vor allem auch diese Vergleiche, die wir angeführt haben – dass das 30 Flügen von Berlin nach New York entspricht oder eben 5,2 Millionen Stunden Netflix-Streaming … da wird einem erstmal klar, wie viel das ist. Das ist so fies, weil eigentlich wollen wir ja nur Musik machen, auf Tour gehen und den Leuten zeigen, wo wir unser Herzblut reinstecken. Und dann ist man mit dieser Zahl konfrontiert: Guck mal, dadurch hast du jetzt 45 Tonnen CO2 in die Luft geballert. Das ist dann irgendwie so ein gemeiner Gedanke, weil dann fängt man so an, die Sachen so abzuwiegen, und eigentlich will ich das gar nicht, aber man kommt nicht so ganz drum herum – also ich komme in meinem Kopf nicht so ganz drum herum, dass ich das dann tue.
Ja, da sind wir an dem Punkt, den wir vorher schon angeschnitten hatten, dass man sich selbst eine Verantwortung aufbürdet. Schlussendlich ist das ja sogar ein bisschen „unfair“ euch selbst gegenüber, weil diese 45 Tonnen sind ja nicht allein euer Erzeugnis als Band. Theoretisch müssten die Vorbands ja ihre eigene CO2-Bilanz machen, man könnte den Wert ebenso gut auf jede einzelne Person herunterbrechen, die zu einer der Shows gegangen ist …
Malte: Wir haben da alles mit einbezogen, was wegen uns passiert ist. Die Leute wären nicht nach Essen gekommen, wenn wir nicht da gespielt hätten.
Kim: Diese Systemgrenzen sind ein großer Diskussionspunkt – also die Frage: Wo zieht wer die Grenze? Man weiß ja auch nicht, wer überhaupt welche Daten erhebt. Nimmt man die Support-Act-Daten mit rein oder lässt man sie raus? Was zählt man überhaupt rein? Jeder erfasst das anders und natürlich kommen dann am Ende auch andere CO2-Bilanzen raus. Darum ging es eigentlich bei der Masterarbeit, mal so ein Ergebnis zu schaffen und zu gucken: Was kann man überhaupt alles erfassen – und was macht das mit uns? Regt es überhaupt zum Nachdenken an? Vielleicht erreicht es auch größere Bands und motiviert andere, damit ein bisschen transparenter umzugehen. Ich kenne es ja aus Venue-Sicht, weil ich bei einer Messegesellschaft gearbeitet habe – da haben wir für jede Veranstaltung auch alle Besucherdaten erfasst, haben erhoben, wie jeder da hinkommt, haben erfasst, welche Aussteller kommen, wie die anreisen. Angenommen, jeder macht seine eigene Bilanz, dann erfassen alle dieselben Daten aus ihrer Perspektive: Die Besucherinnen und Besucher sagen „Ich gehe da hin, das ist mein Fußabdruck“ – und die Veranstaltenden sagen „Das ist unser Event, also sind wir verantwortlich!“ Aber dann haben wir eine Doppelzählung. Das ist eine riesige Diskussion, die noch nicht zu Ende geführt ist. Es gibt keine Standards. Aber das ist auf jeden Fall mal unser Beitrag und ich glaube, das ist auch schon mal viel wert.
Gab es bei genauerer Betrachtung etwas, das dich an der Verteilung auf die verschiedenen Posten überrascht hat, also etwas, das stärker ins Gewicht fällt, als du erwartet hättest?
Kim: Also was mich nicht überrascht hat, war das Thema Mobilität, da war ich eher überrascht, dass das so einen kleinen Anteil ausmacht. Als Referenzwert sagt man, dass die Anreise von Fans im Schnitt so 60 % bis 92 % von einem Konzert ausmacht. Aber die SPERLING-Fans reisen extrem nachhaltig an, ich glaube, 70 % sind mit Öffis, zu Fuß oder mit dem Fahrrad angereist, was extrem gut ist, finde ich.
Wovon ich überrascht war, aber ich glaube, das liegt eben auch an der Schätzung, ist Abfall und Recycling. Das würde ich jetzt im Nachgang nochmal angehen. Ich habe mit einem Kilo Abfall pro Person pro Kategorie gerechnet. Diese Zahl ist vielleicht bei einem Festival realistisch, aber bei einem Konzert nicht, es bringt ja niemand ein Kilo Bio-Abfall mit auf ein Konzert. Da haben wir sehr großzügig kalkuliert. Ich habe mich an Daten orientiert, da war die Vorgabe 2,5 Kilo – aber das kann ja gar nicht sein. Deswegen finde ich diesen Posten sehr hoch. Bei den anderen Sachen war ich ehrlicherweise nicht überrascht. Ich habe mit so einem Ergebnis gerechnet.
Malte: Der Anteil von Abfall und Recycling hat mich sehr überrascht. Das hat mich sehr rausgeworfen. Mit Merchandise und unserer Mobilität und Fernmobilität haben wir schon ein bisschen so gerechnet. Ich hätte mir gewünscht, dass Merchandise ein bisschen weniger wäre, weil wir ja schon sehr darauf achten, dass wir alles so grün und so fair wie möglich produzieren, kurze Lieferketten, dies, das. Es sind jetzt im Endeffekt, ich sag mal, „nur“ 7 %. Aber ich hätte mich trotzdem gefreut, wenn es weniger gewesen wäre.
Gerade, wenn ihr eh schon auf fair produziertes Merch achtet – was für einen Schluss zieht ihr dann jetzt aus dieser Zahl? Seht ihr da noch Optimierungspotenzial?
Malte: Ich glaube, da ist bei uns nicht mehr viel Optimierungspotenzial. Wir arbeiten bei der Merch-Produktion mit Fairtrade-Merch zusammen. Viel besser kann es eigentlich nicht werden. Es sind eher die Punkte, die jetzt auch den größten Anteil in der Gesamtbilanz haben. Also die Mobilität, die Anreise der Fans, wo wir eher mal ansetzen würden und gucken, wie kriegt man das runter. Da haben wir jetzt beispielsweise einen Discord-Channel eingerichtet, wo sich Leute, die zur Show kommen wollen, connecten können und gucken, ob sie Fahrgemeinschaften bilden können. Wir halten unsere Fans auch weiter dazu an, mit den Öffis zu kommen. Wo es möglich ist, haben wir in unseren Tickets auch Nahverkehr-Tickets mit dabei. Am meisten Sinn macht es jetzt erst mal, sich die großen Batzen anzugucken und zu schauen, wie man die irgendwie runter kriegen kann, und zu schauen, was in der eigenen Macht steht.
Wie ist es mit euch als Band? Ihr habt euer Equipment, das zu den Shows muss … da kommt man ja schlecht drum herum. Was wäre da dann noch so ein Punkt, wo ihr sagt, da könnten wir beim Transport noch ein bisschen sparen?
Malte: Ich glaube, das Beste, was man machen kann, ist erstmal zu schauen, dass das Tour-Routing halbwegs vernünftig ist, also dass man nicht von Berlin nach München, nach Düsseldorf, nach Dresden fährt, sondern die Städte so abklappert, dass die Shows halt alle auf der Strecke liegen.
… aber das ist ja was, was man als Band eigentlich eh anstrebt. Schon aus persönlichen Komfortabilitätsgründen will man ja jetzt nicht länger als nötig im Sprinter sitzen …
Malte: Voll, Moritz, glaub mir … was wir schon gefahren sind! Du möchtest nicht mehr. Also klar freuen wir uns da selbst auch drüber. Vielleicht kann man ja auch einfach zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, dann sind wir nicht alle immer komplett drained, wenn wir aus dem Bus aussteigen und haben was Gutes für die Umwelt getan. Aber das ist etwas, was wir auf vergangenen Touren gesehen hatten, wo wir uns gedacht haben: Das muss jetzt nicht wirklich sein, dass wir da so durch die ganze Nation ballern und vielleicht noch nach Österreich und in die Schweiz. Aber Elektromobilität ist einfach noch nicht an dem Stand, wo sie sein müsste, um damit eine Tour zu fahren. Wir fahren mit einem Sprinter, der ist recht schwer, da ist viel Zeug drin, da müssten wir das Ding alle 100 Kilometer wieder aufladen, das ist einfach nicht praktikabel.

Aber wäre es für euch dann die Konsequenz, dass ihr euch gegen eine Show entscheidet, wenn die vom Routing her ungünstig liegt? Also, dass man wirklich sagt: Ne, den Stopp sparen wir uns, da fahren wir dann eben erst bei der nächsten Tour wieder hin? Oder kann man sich das aus ökonomischen Gründen schlussendlich sich dann doch nicht leisten?
Malte: Das hängt natürlich ganz von der Planung ab, also wie früh wir uns dran setzen, oder wie früh unser Booker sich dran setzt, die Tour zu planen, und welche Termine in den einzelnen Venues frei sind. Und wenn es am Ende komplett doof ist, steht uns das natürlich offen zu sagen: OK, dann sielen wir eben nicht in Hannover, sondern erst nächstes Jahr oder so.
Aber würdet ihr das dann auch wirklich machen? Würdet ihr da die Moral dann wirklich über die aus Bandperspektive natürlich „bessere“ Entscheidung stellen, jede mögliche Show zu spielen?
Malte: Ich würde jetzt pauschal sagen: Ja. Aber wenn dann nachher irgendwie im Raum steht, ihr könnt in Hannover die geisteskrankste Show der Erde zu spielen, da kommen 2000 Leute hin und ihr verkauft dumm viel Merch, sodass ihr alle euren Job kündigen könnt … ich übertreibe jetzt mal, dann würden wir es uns natürlich nochmal überlegen, klar. Aber der strammste Move wäre natürlich zu sagen, ja, wir spielen dann eben nicht in Hannover. Da hast du vollkommen recht, ja.
Kim: Nachhaltigkeit ist immer eine Sache der Balance, und Ökonomie ist ja auch ein Teil von Nachhaltigkeit. Wirtschaftlichkeit ist für eine Band auch extrem wichtig, damit sie ihre Leute zahlen können, damit sie die Merchproduktion zahlen können und das Überleben der Band sichern können. Deswegen würde ich aus Management-Sicht natürlich sagen: In dem Fall siegt die Wirtschaftlichkeit. Aber man muss das einfach von Fall zu Fall abwiegen, was da jetzt gut ist. Das ist schwierig, sowas pauschal zu beantworten.

Bei den richtig großen Acts gibt es nur wenig Bemühungen in die Richtung. COLDPLAY haben medienwirksam versucht, ihre Mobilität durch eine Kooperation mit der DHL klimafreundlicher zu gestalten, angeblich haben sie den CO2-Ausstoß damit um 56% gesenkt. Andererseits ist die DHL mit Greenwashing-Vorwürfen konfrontiert – wie viel man auf diese Zahl geben darf, ist also fraglich. Trotzdem war das ein guter Ansatz von COLDPLAY, und irgendwie ist es doch tragisch, dass sich eine Band wie SPERLING den Kopf zerbricht, und nicht mehr „Big Player“, oder? Warum findet das Thema selbst in kreisen „linker“ Bands so wenig Aufmerksamkeit?
Kim: Ich glaube, viele Bands, die sich damit auseinandersetzen – und ich glaube, es sind weitaus mehr, als man denkt – haben Sorge, sowas publik zu machen. Du bist ja dann eine Zielscheibe. Sobald du anfängst, sowas zu kommunizieren, wird ja nochmal ein ganz anderes Augenmerk auf dich gelegt. Bei COLDPLAY ja auch, denen wurde ja auch zigtausende Male Greenwashing vorgeworfen, weil sie irgendwelche Batteriebändchen hatten, die von Unternehmen produziert worden sind, die eben auch alles andere als Klimaschutz gemacht haben. Insofern ist es immer eine Gratwanderung. Und das Herzensanliegen von Musikerinnen und Musikern ist eben die Musik und darum sollte sich auch alles drehen. Wir haben uns gesagt, wir spielen das jetzt mal durch und gucken, was man als kleine Band überhaupt tun kann. Alle sprechen drüber, aber man sieht zu wenig Praxisbeispiele, man sieht zu wenig große Bands, die auch mal etwas dazu veröffentlichen. Ich weiß jetzt beispielsweise nicht, ob die CO2-Bilanz von SPERLING gut oder schlecht aussieht im Vergleich zu einer anderen Band. Es gibt eben keine Standards.
Malte: Wir wollen ja auch niemanden dazu auffordern, eine eigene Bilanz zu erstellen, also vor allem keine Bands in unserer Größe oder noch kleiner. Aber vielleicht kann das, was wir hier gemacht haben, eine Grundlage dafür sein oder kann von Bands in ähnlichen Größen als Vorlage genutzt werden, die dann sehen können: Ach guck mal, das ist bei uns dann wahrscheinlich ganz ähnlich, dass wir zum Beispiel 46 % Fernmobilität haben oder dass bei uns der eigene Transport 18 % ausmacht. Weil wir spielen ja auch nicht in anderen Städten oder Venues als andere Bands in unserer Größe. Insofern könnte man das auch als Grundlage dafür nehmen, seine eigenen Schlüsse zu ziehen und zu schauen, wie das bei einem individuell aussieht und wo man da irgendwie ansetzen könnte.
Eine Vergleichbarkeit und die Relevanz ist definitiv da, insofern kann man nur hoffen, dass das Projekt Interesse und Awareness für das Thema schafft, auch bei den Fans. Die Kommentare wirken ja schon so, als ob viele sehr positiv als Denkanstoß annehmen, vielleicht macht es euch ja auch die eine oder andere Band nach. Ich glaube auch, dass viele wirklich Angst haben, sich unbewusst das Greenwashings schuldig zu machen: Wenn man nicht auf alles achtet, unterschlägt man ja unbewusst etwas, andererseits will man sich ja auch nicht schuldiger machen als man ist …
Kim: Man muss ja auch nicht unbedingt eine CO2-Bilanz erstellen. Uns war es wichtig, damit wir, wenn wir Maßnahmen definieren, dann eben auch richtige Maßnahmen definieren – man tendiert ja immer dazu, irgendwie loszulaufen und irgendwas zu machen, ohne das wirklich zu hinterfragen. Zahlen sind schon immer sehr repräsentativ, da weiß man dann eben, an welchen Stellschrauben man was tun kann oder eben auch nicht. Man weiß, was in der eigenen Verantwortung liegt und was nicht. Für alles andere kann man als Band einfach viel kommunizieren und dafür auch die eigene Reichweite nutzen. Was wir auf jeden Fall brauchen, und da haben kleinere Bands leider keinen Einfluss drauf, ist eine gute Infrastruktur für Bands. Ich habe jetzt ein halbes Jahr an dieser CO2-Bilanz gearbeitet, habe mir das Know-how angeeignet, mit vielen Menschen gesprochen, mit vielen Initiativen Kontakt aufgenommen. Ich finde, wenn man als Band eine CO2-Bilanz machen will, dann sollte das auf jeden Fall einfach zugänglich und sehr kostengünstig sein. Aktuell zahlt man dafür sehr viel, allein für die Erstellung der Bilanz so zwischen 900 € und 2000 €. Das hat man als Band jetzt nicht eben mal so auf der Seite. Deswegen fände ich es wichtig, dass es da einfache Standards für alle gäbe – und auch ein Verständnis: Dieses Thema schreckt ja auch sehr ab: Man muss sich da schon reinarbeiten, um zu checken, um was es überhaupt geht. Was ist eine CO2-Bilanz überhaupt und was sagen uns diese Daten? Und wenn man in der Band niemanden hat, der sich mit diesem Thema auseinandersetzt, dann wird es halt nicht gemacht. Insofern wäre es cool, wenn man als Band niederschwelligen Zugang bekommt, damit das Thema nicht so abschreckt.
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Dieses Interview wurde per Telefon/Videocall geführt.