Konzertbericht: Das Niveau

14.03.2022 München, Backstage

DAS NIVEAU ist wieder da. Zumindest temporär. Vier Shows haben Martin Spieß und Sören Vogelsang kurzentschlossen angekündigt, eine davon in München. Frisches Material gibt es nicht, mit „Corona“ lediglich einen neuen Song in den letzten beiden Jahren. Dieser steht sinnbildlich für das Ereignis, das sich auch maßgeblich auf die Comeback-Pläne des Duos ausgewirkt hat. Erst 2019 hatten die beiden Musiker wieder zusammengefunden (mehr dazu in unserem Interview), aus den Plänen für 2020 wurde nichts, außer einzelne Shows im Frühjahr. Neben der Pandemie prägen auch der Krieg in der Ukraine und Martins psychische Gesundheit den Abend, der am Ende trotz allem unterhält und die Stimmung hebt – nicht nur beim Publikum.

Das Niveau live 2022

Anfangs gestaltet sich der Auftritt etwas zäh. Es dauert, bis sich das Publikum und DAS NIVEAU eingegroovt haben. Als Martin früh sehr offen über seine Depressionen und Zwangsstörungen spricht, die ihm besonders heute zu schaffen machen, verschwimmen die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Witz zu sehr: Die rund 100 anwesenden Gäste wissen nicht so recht, ob und wann sie lachen oder eher Anteilnahme zeigen sollen. Das Resultat dieser Unsicherheit bewegt sich zwischen ungewohntem Schweigen und undefinierbarem Grundrauschen. Je direkter und unumwundener Martin sich selbst und seine Krankheit aufs Korn nimmt, desto besser funktioniert es schließlich im Laufe des Abends – für ihn und die Zuhörer.
Als ersten Song präsentiert DAS NIVEAU mit der berühmtesten Festivalbekanntschaft der Welt, „Helga“, eine bis dato unveröffentlichte Nummer. Im Musikalischen bleiben Martin und Sören oft vergleichsweise ernst: Wer auf gleichermaßen bekannte wie beliebte Songs wie „Ficken“, „Beim Pissen gemeuchelt“ oder „Lieder übers Vögeln“ wartet, wird enttäuscht. Dafür gibt es unter anderem „Silvester“, „Let It Be“ und „Niwowoniniwowa“ auf die Ohren. Mit „Mein Freund“ positioniert sich DAS NIVEAU deutlich gegen die drei größten Weltreligionen, durch eine neue Ohrwurmmelodie mit der dazugehörigen Textstelle „Es zeugt von Unverstand, leben in einem ostdeutschen Bundesland“ bekommt unter anderem Sörens Heimat Leipzig ihr Fett weg.
Das Niveau live 2022Ihre stärksten und lustigsten Momente haben Martin und Sören, wenn sie improvisieren und sich gewollt oder ungewollt die Bälle zuspielen. So werden einige Songs und Ansagen mehrfach unterbrochen, neu angefangen oder gar neu aufgerollt, um beispielsweise der Genderthematik in „Sylvester“ gerecht zu werden oder die individuellen Studienabschlüsse der beiden Bandmitglieder in Relation zu setzen. In der „Niveauisation“ lässt DAS NIVEAU spontan den Song „Niemand wohnt in München“ in D-Moll entstehen. Dieser entpuppt sich als launige Geschichte der russischen Invasion des Westens. Auch in diesen Momenten lösen sich die beiden Musiker nicht so wirklich vom Tagesgeschehen, müssen sie aber auch nicht, denn der Spagat zwischen Unterhaltung, Anteilnahme und Anspruch gelingt ihnen oft – gerade in diesen Zeiten eine große Leistung. Wie Martin mehrfach mit einem Augenzwinkern erwähnt, ist das Konzert trotz der intimen Clubatmosphäre keine Dialogveranstaltung. Dafür entsteht dennoch recht häufig Interaktion mit den Gästen, die sich ebenso schlagfertig wie textsicher erweisen: Ein angebotener Blowjob lässt ihn verdutzt zurück.

Zwar kündigt Martin für die kommende, vierte Show in München eine neue Strophe für „Sylvester“ an, die aus Mangel an Beispielen in den vorhandenen Strophen explizit Heldinnen huldigen soll, doch ein langfristiges Comeback von DAS NIVEAU steht in den Sternen. Was das Konzert allerdings deutlich macht, ist, dass die Zeiten des plumpen Humors vermutlich vorbei sind – und dass Martin und Sören auf der Bühne immer noch prächtig miteinander funktionieren. Als Martin am Ende sagt, dass es ihm nach der Show nun besser gehe als zu Beginn, dürfen die Fans immerhin mit einem guten Gefühl und etwas Hoffnung den Weg nach Hause antreten.Das Niveau live 2022

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