Konzertbericht: Fish

13.07.2015 Reichenbach, Neuberinhaus

Fish-Feast-Spike-Logo-Black-1FISH, mit bürgerlichem Namen Derek William Dick, ist den Meisten wohl als ursprünglicher (und für zahlreiche Fans bis heute einzig wahrer) Sänger und Frontmann der britischen Neo-Prog-Institution Marillion ein Begriff. Seit 1988 konzentriert sich der hünenhafte Schotte allerdings auf seine mal mehr, mal weniger erfolgreiche Solokarriere. 2015 steht für FISH jedoch ganz im Zeichen eines besonderen Jubiläums: Marillions Erfolgsalbum „Misplaced Childhood“, vielleicht DER Prog-Klassiker der 1980er, durfte heuer seinen dreißigsten Geburtstag feiern. Grund genug für den Sänger die Scheibe einmal mehr in voller Länge auf die Bühne zu bringen. Ein echtes Schmankerl für alle Proggies. Das haben sich wohl auch die Betreiber des legendären Bergkellers in Reichenbach (Vogtland) gedacht und FISH gebucht. Aufgrund der großen Nachfrage fand das Konzert allerdings nicht im Bergkeller selbst, sondern im größeren Neuberinhaus statt.

Fish1Das Neuberinhaus, mitten im Reichenbacher Stadtkern gelegen, wurde bereits in den 1940er Jahren erbaut und ist ein Veranstaltungssaal mit Tradition, der ansonsten eher für klassische Konzerte oder Theateraufführungen genutzt wird. Folglich erwartet den Besucher ein eher gediegenes und feierliches Ambiente, das bei „normalen“ Rockkonzerten vielleicht eher befremdlich wirken würde. Für „Misplaced Childhood“, ein Konzeptwerk voll von düsterer Romantik, ist es genau richtig.

Als kurz nach acht das Licht erlischt und die Band die Bühne betritt, geht ein vorfreudiges Raunen durch den Saal, der übrigens überwiegend mit älteren Semestern gefüllt ist. Bevor jedoch „Misplaced Childhood“ auf dem Programm steht, werden sechs Songs aus FISHs mittlerweile zehn Studioalben umfassender Solokarriere dargeboten, die allesamt wesentlich rockiger und straighter daherkommen als das eher verspielte Marillion-Material. Eröffnet wird das Set mit der ordentlich groovenden Nummer „Pipeline“. Bereits jetzt fällt der überaus gelungene Sound auf, der nicht nur druckvoll, sondern auch sehr transparent aus den Boxen kommt und so jedes Instrument optimal darstellt. FISH, der sich zuweilen charmant an deutschsprachigen Ansagen versucht, gibt sich für einen fast sechzigjährigen Mann überraschend bewegungsfreudig. Etwas, das man von seiner Band nicht unbedingt behaupten kann. Deren Stageacting beschränkt sich nämlich weitestgehend auf etwas im Takt wippen, was allerdings nicht weiter ins Gewicht fält, da sowieso alle Augen auf den charismatischen Frontmann gerichtet sind und es am Spiel der Jungs kaum etwas auszusetzen gibt. Besonders während der Solo-Songs bekommt man den Eindruck, dass sich bei FISH, in dessen Privatleben ja bekanntlich nicht alles glatt läuft, eine Menge Wut im Bauch angestaut hat, die es auf der Bühne zu katalysieren gilt. „A Feast Of Consequences“ und „Long Cold Day“ sind bittere Songs über gescheiterte Liebe. In Titeln wie dem in Kooperation mit Steven Wilson komponierten Prog-Rock-Epos „The Perception Of Johnny Punter“ oder dem funkigen „Brother 52“ macht FISH seiner Frustration gegenüber dem Zeitgeschehen und der Gesellschaft lautstark Luft. Quasi als Sahnehäubchen gibt es mit „Family Business“ noch einen Song vom gefeierten ersten FISH-Soloalbum „Vigil In A Wilderness Of Mirrors“ obendrauf.

Dennoch dürfte sich ein Großteil der Besucher in erster Linie wegen „Misplaced Childhood“ im Neuberinhaus eingefunden haben. Das wird nicht zuletzt daran ersichtlich, dass das bisher eher verhaltene Publikum im Laufe des Misplaced-Blocks langsam aber sicher etwas mehr aus sich herausgeht. FISH tauscht noch schnell sein Wasser gegen Weißwein und schon kann es losgehen. Die ersten Keyboard-Töne erklingen und hüllen den gut gefüllten Saal in einen „Pseudo Silk Kimono“, bevor das souverän performte Hit-Doppel „Kayleigh/Lavender“ die Anwesenden endgültig in Verzückung versetzt. Glücklicherweise ist FISH heute Abend gut bei Stimme. Das war schließlich auch nicht gerade bei jedem Gig in den letzten 15 Jahren so und schon gar nicht nach seiner Stimmband-OP. Okay, die Band muss das alte Material dem Organ ihres Frontmann zuliebe ein paar Töne tiefer spielen, doch das stört nicht wirklich. Im Gegenteil: Durch FISHs tiefere Stimmlage gewinnen die Songs sogar an Authentizität und Tiefgang. Das in manchen Songs mitschwingende Leid und Zeilen von „sleeping pills crushed on the floor“ kauft man einem hör- und sichtbar gealterten, vom Leben gezeichneten FISH eher ab, als einem nicht einmal dreißjährigen.

Nachdem der letzte Ton von „White Feather“ verklungen ist, lässt das Publikum FISH natürlich nicht so einfach gehen und fordert sich mit dem Marillion-Klassiker „Market Square Heroes“ und dem Trinklied „The Company“ noch zwei Zugaben ein.

Alles in allem hat FISH in Reichenbach also einen auf ganzer Linie überzeugenden Auftritt hingelegt. Besonders die Tatsache, dass man im Misplaced-Block keinerlei Anlass hat, die anderen Marillion-Jungs zu vermissen, spricht eindeutig für FISHs Soloband. Schade ist lediglich, dass die Solo-Songs des Schotten neben der scheinbar übermächtigen Marillion-Vergangenheit nach wie vor unverdienterweise etwas untergehen.

  1. Pipeline
  2. Feast Of Consequences
  3. Brother 52
  4. Long Cold Day
  5. Family Business
  6. The Perception Of Johnny Punter
  7. Pseudo Silk Kimono
  8. Kayleigh
  9. Lavender
  10. Bitter Suite
  11. Heart Of Lothian
  12. Waterhole (Expresso Bongo)
  13. Lords Of The Backstage
  14. Blind Curve
  15. Childhoods End?
  16. White Feather
  17. Market Square Heroes
  18. The Company

Publiziert am von Nico Schwappacher

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