„Welcome Home!“ – viele Festivals nehmen diesen Claim für sich in Anspruch. Beim Midgardsblot – einem der außergewöhnlichsten Festivals in Europa – wird das wahr, wie kaum woanders. Zum bereits neunten Mal zieht es Mitte August ca. 4000 Menschen aus aller Welt ins norwegische Borre. Rund zwei Stunden südlich von Oslo gelegen, wird das Metal- und Folk-Music-Festival nahe dem Midgard Viking Center veranstaltet. Dieses Museum befindet sich unweit der größten Grabhügelanlage Nordeuropas. Das Herzstück des Festivals bildet die Gildehalle, ein authentischer wikingerzeitlicher Festsaal – der perfekte Ort, um die Wikingerkultur zu feiern.
Das Midgardsblot geht weit über ein typisches Musikfestival hinaus. Neben einem vielfältigen musikalischen Programm bietet es Geschichtenerzähler, Met-Tastings, Workshops, gutes Essen und Trinken sowie einen Wikingermarkt. An allen vier Tagen finden die Mimir-Talks statt, benannt nach dem Hüter der Quelle der Weisheit. In Kooperation mit dem Museum und der Community werden Vorträge und Panels zu Geschichte, Kultur und Musik der Wikinger angeboten, ergänzt durch Workshops wie „Extreme Metal Vocals – Learn to Scream“ für angehende und erfahrene Metalsänger.
Natürlich steht die Musik im Mittelpunkt: Auf insgesamt vier Bühnen werden parallel unterschiedlichste Musikrichtungen in kristallklarem Sound präsentiert – von Ambient bis Black Metal, von Pop bis traditionellem Nordic Folk. Die großen Acts wechseln sich zwischen der Valhalla- und der Helheim-Stage ab, während in der kleinen, atmosphärischen Gildehalle eher unbekanntere oder spezielle Künstler auftreten. Die Kaupangr-Stage, direkt beim Wikingerdorf, ist ausschließlich der Kleinkunst gewidmet.
Das Midgardsblot ist ein Festival von der Community für die Community. Jeder ist willkommen, und Offenheit sowie Hilfsbereitschaft prägen die Atmosphäre. Viele Festivals behaupten, diesen Geist zu leben, doch nur wenige setzen dies so konsequent um wie das Midgardsblot. Die Künstler mischen sich unter die anderen Festivalbesucher, teilen Met und führen gute Gespräche. Und auch nach dem offiziellen Programm endet das Festival nicht – an den Lagerfeuern wird bis in den frühen Morgen weitergefeiert.
MITTWOCH, 14.08.2024
Das Festival beginnt traditionell mit einem besonderen Moment: einem Eröffnungsritual, das Veranstalter, Künstler und Gäste zusammenbringt, um die Gemeinschaft zu stärken. Basierend auf Elementen eines wikingerzeitlichen Blots, bei dem Holzstatuen der alten Götter und Tieropfergaben verwendet werden, ist die Zeremonie offen für alle. Jeder kann auf seine eigene Weise teilnehmen, unabhängig von Glauben oder Überzeugungen. Das Ritual wird von der Gruppe Folket Bortafor Nordavinden angeleitet und musikalisch begleitet. Bei bei einer vierstelligen Anzahl Gäste im Rituallkreis dauert es fast zwei Stunden – eine großartige Einstimmung auf vier Tage voller Highlights.
Den musikalischen Auftakt bilden die US-amerikanische Black-Metal-Band UADA. Sie präsentieren sich spielfreudig und bieten über fast eine Stunde einen frostigen Kontrast zum besten norwegischen Sommerwetter. Kraftvoll und melodisch liefern die Kuttenträger sechs Songs aus ihrem Repertoire den zahlreich erschienen Fans vor der Helheim-Stage ab. Ein Auftritt ohne merkliche Höhepunkte, aber absolut überzeugend. Eine Meer an fliegenden Haaren und Pommesgabeln vor der Bühne weisen klar nach, dass UADA ein mehr als würdiger Opener sind.
- Snakes & Vultures
- Djinn
- In the Absence of Matter
- Retraversing the Void
- Cult of a Dying Sun
- Black Autumn, White Spring
Mit dem nächsten Act auf der Helheim-Stage wird es deutlich traditioneller, aber nicht kein bisschen leiser. Von Portland, Oregon, geht die Reise musikalisch nach Stockholm. GRAND MAGUS bieten klassischen Heavy-Metal feil. Kraftvolle Riffs mit epischen Melodien hat das Trio um Janne „JB“ Christoffersson auch heute im Gepäck. Ein Hauch Judas Priest und Manowar weht um die Grabhügel von Borre. Die verspiegelte Sonnenbrille erhöht den Cool-Faktor noch mal auf „over 9000“.
KALANDRA sind bereits Stammgast auf dem Midgardsblot. Nicht umsonst wurden sie auch 2020 auf das Online-Festival der European Metal-Festival-Alliance „entsandt“. Einer der wenigen Live-Auftritte auf dem Zusammenschluss der bekanntesten Metal-Festivals wie dem Summer Breeze, dem Partysan u.a. Die Norweger liefern eine einzigartige Mischung aus atmosphärischem Pop, Rock und Folk. Getragen wird die Band von dem bezaubernden Sirengesang von Katrine Stenbekk und den betörenden Soundwänden der beiden Gitarristen. Einen Basser braucht es da nicht. Natürlich darf auch „Helvegen“ auf der Setlist nicht fehlen. Anders als das Original von Wardruna, aber ebenso bewegend. Viel zu schnell ist die Stunde im Feenwald dann auch leider wieder vorbei.
Der furiose Abschluss des ersten Festivaltags bilden AMON AMARTH. Die Schweden sind unterwegs auf der Heidrun over Europe Tour (siehe auch: Bericht aus Innsbruck). Während Johan Hegg mit seinem Label Grimfrost Stammgast auf dem Midgardsblot ist, spielen AMON AMARTH erstmals hier auf. Zeit wird es – werden sie doch aktuell mit dem Wikingertum assoziiert wie kaum eine andere Band. Optisch wie inhaltlich sind ihre kraftvollen Songs von nordischer Mythologie und Wikingergeschichte inspiriert. Musikalisches gibt es seit über 20 Jahren feinsten Melodic Death Metal – so auch heute Abend. Ein 90-minütiges Feuerwerk brennen die Schweden ab – in jeder Hinsicht. Und einen besonderen Moment dürfen die Bloter auch noch erleben: Johan und seine Frau Maria feiern an diesem Abend ihren Hochzeitstag. Daher widmet er ihr das Lied „Heidrun“ über die Metspenderin der Götter.
- Raven’s Flight
- Guardians of Asgaard
- The Pursuit of Vikings
- Deceiver of the Gods
- As Loke Falls
- Tattered Banners and Bloody Flags
- Heidrun
- War of the Gods
- Put Your Back Into the Oar
- The Way of Vikings
- Under the Northern Star
- First Kill
- Shield Wall
- Raise Your Horns
- Zugabe: Crack the Sky
- Zugabe: Twilight of the Thunder God
Nach dem sich der Schlachtenlärm auf der Mainstage verzieht klingt der Abend in der Gildehalle aus. Maria, die Frontfrau von Heilung, legt auf und heizt bei einem Heilung Rave ordentlich ein.
DONNERSTAG, 15.08.2024
Der Donnerstag beginnt mit einer schlechten Nachricht: Das ohnehin nicht allzu umfangreiche Line-up am Donnerstag wird nochmal kleiner. Die bekannte Folk-Rock-Band GÅTE müssen ihren Auftritt kurzfristig krankheitsbedingt absagen. Ob es sich dabei um Nachwirkungen des ESC handelt, wo sie als norwegischer Vertreter Deutschlands Stammplatz eingenommen haben, ist nicht überliefert. Schade ist es in jedem Fall, haben die Norweger doch so viel mehr drauf als sie in Malmö gezeigt haben.
Mit INCULTER schickt Norwegen dennoch einen würdigen Vertreter auf die Helheim-Stage. Die Band zeichnet sich durch ihren aggressiven Sound aus, der stark von den frühen Thrash- und Black-Metal-Szenen beeinflusst ist. Mit ihrem rauen und energiegeladenen Stil machen sie sich an diesem Donnerstag viele (neue) Freunde.
- Open the Tombs
- Chained to the Void
- Extinction
- Shepherd of Evil
- Endless Torment
- Morbid Origin
- Death Reigns
- Final Darkness
VADER sind seit gut 30 Jahren eine Death-Metal-Institution. Heute zeigen die Polen einmal mehr, warum: Ein 60-minütiges Trommelfeuer prasselt auf das Publikum hernieder. Schnelle Riffs zwischen Thrash und Death, absolut präzises Drumming und ansteckende Spielfreude sorgen vielerorts für Begeisterung im Publikum. Nackenschmerzen sind garantiert.
- Go to Hell
- Triumph of Death
- Blood of Kingu
- Sothis
- Carnal
- Fractal Light
- Foetus God
- Distant Dream
- The Red Passage
- Black to the Blind
- This Is the War
- Dark Age
- Wings
- Shock and Awe
Den sehr gelungenen Kontrapunkt zu dem sehr Death- und Trash-Metal-lastige Programm bilden HINDARFJÄLL. Die Schweden bieten Nordic-Folk mit Gänsehautpotential. Stimmungsvoll marschiert zum Auftakt ein Heer von Wikingerkriegern auf. Dieses macht bei den ersten Trommelschlägen Platz für Nils und seine Mitstreiter. Mit traditionellen Instrumenten und mehrstimmigen Gesänge beschwören HINDARFJÄLL eine einzigartige Atmosphäre und zieht trotz des Regens ganze Heerscharen an. Vielleicht auch wegen Peter Franzén, der die Schweden gegen Ende ihres Sets stimmgewaltig unterstützt. Es ist nicht der erste Auftritt Franzén an diesem Tag. Der Schauspieler – bekannt für seine Rolle Harald Schönhaar in der Fernsehserie Vikings – hatte neben obligatorische Autorgramm-Stunde, sondern auch ein langes Interview in der Gildehalle.
In eben jener Gildehalle findet im Anschluss auch die School-of-Thrash statt. Wie im Film mit Jack Black legen die jungen Lokalhelden MORTAL FEAR einen fulminanten ersten Auftritt hin. Die drei Stammmitglieder reißen gerade so die 20er-Marker – nur der Sänger hat ein paar Jahrzehnte mehr hinter sich. Musikalisch hält er mit dem rasanten Tempo seiner jungen Bandkollegen locker mit. Allerdings werden die Rede- und Trinkpause mit jedem Song etwas länger. Sehenswert ist es in jedem Fall. Mal sehen, wohin es diese Band noch verschlägt.
Das große Thrash-Fest am Donnerstag beschließen die legendären TESTAMENT. Nach Norwegian Bay-Area-Thrash folgt auf der Helheim-Stage nun das Original. Dabei hat schon Sänger Chuck Billy allein mehr Jahre auf Lebensjahre auf dem Buckel als die ganz Stammbesetzung von Mortal Fear. Dass mit dem Alter die Langeweile kommt, widerlegen die Kalifornier aber eindrucksvoll. Anekdote am Rande: Wunderbasser Steve DiGiorgio gab auf dem allerersten Midgardsblot 2014 eine Bass-Schulung. Aber zurück in die Gegenwart: Die US-Amerikaner liefern an diesem Abend ordentlich ab. Wer danach noch bezweifelt, dass TESTAMENT neben Metallica und Co. maßgeblich den Thrash-Metal geprägt haben, hat den Auftritt wohl verschlafen.
- Eerie Inhabitants
- The New Order
- Apocalyptic City
- The Haunting
- The Preacher
- A Day of Reckoning
- Do or Die
- First Strike Is Deadly
- Disciples of the Watch
- Over the Wall
- Into the Pit
Zum Ausklang gibt es wieder ein Dance-Event für den geneigten Wikinger in der Gildenhalle: Diesmal federführend: FOLKET BORTAFOR NORDAVINDEN, die schon das Blot-Ritual gestern begleitet haben.
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… unter anderem mit FEN, SEIGMEN, UNLEASHED und EMPEROR!