Konzertbericht: Pain w/ Ensiferum, Eleine, Ryujin

04.11.2023 München, Backstage (Halle)

Dass PAIN eine außergewöhnliche Band sind, merkt man daran, wie schwer es den Agenturen zu fallen scheint, passende Bands für eine gemeinsame Tour zu finden. Denn so richtig haben weder Moonspell (2012), noch The Vision Bleak (2016) oder Dust In Mind (2017) zu Peter Tägtgrens Elektro-Metal-Projekt gepasst. Kaum ein Package war bislang jedoch wilder zusammengemixt als das der „I Am On Tour“-Europatour 2023 – mit RYUJIN, ELEINE sowie ENSIFERUM.

Dass im Backstage München für diesen Tag nur noch die – eigentlich sowohl für PAIN als auch für ENSIFERUM längst zu kleine – Backstage Halle frei war, sorgt dennoch schon im Vorfeld für ausverkauftes Haus. Interessant ist dabei die Zusammensetzung der Fanschar: Hypocrisy-Shirts sind kaum zu entdecken, und auch das Pagan-Metal-Fanlager scheint eher überschaubar. Dafür sieht man überraschend viele Rammstein-Shirts – mutmaßlich also Fans, die über Tägtgrens zwischenzeitliches Involvement bei Lindemann auf PAIN gestoßen sind.

RYUJIN 2023 in MünchenDa bereits um 23:00 Uhr wegen einer Anschluss-Veranstaltung Schluss sein muss, ist der Zeitplan mit vier Bands eng getaktet: Um Punkt 18:30 Uhr sind als erste Band RYUJIN an der Reihe: Die Band, 2009 als Suicide Heaven gegründet, war zwischen 2011 und 2023 als Gyze unterwegs – mit dem Vertrag bei Napalm Records kam es dann zur Umbenennung. Eventuell, weil RYUJIN noch exotischer klingt und besser zum „Samurai-Metal“ (Eigenbezeichnung!) der von Matthew Kiichi Heafy (Trivium) gemanagten Japaner passt?

RYUJIN 2023 in MünchenGeboten wird jedenfalls auch unter neuem Namen melodischer bis schwülstiger Metal, der zwischen Pagan und Power Metal chanchiert: Dragonforce-artige Leadgitarrenläufe treffen auf die Party-Atmosphäre von Turisas und Konsorten – garniert mit einer Prise K-Pop-Flair im Look und Kitsch-Faktor. Damit passen RYUJIN perfekt in den Diabetes-Roster von Napalm Records, allerdings nur mäßig bis gar nicht zu Pain. Den Respekt des Publikums erarbeiten sich RYUJIN jedoch mit ihrem engagierten Auftreten und beachtlichen technischen Skills an ihren Instrumenten – sodass der 30-minütige Auftritt völlig zu Recht mit lautem Applaus quittiert wird.

ELEINE 2023 in MünchenNach nur zehn Minuten Umbau geht es mit ELEINE aus Schweden weiter: Damit steht nun symphonischer Metal mit Frauengesang auf dem Programm – allerdings nicht von der getragenen Sorte á la Within Temptation oder Nightwish. ELEINE setzen auf pumpendes Groove-Metal-Riffing, das aber leider über weite Strecken nach einer Kreuzung aus Arch Enemy und all jenen anderen austauschbaren Bands wie Evergrey und Konsorten klingt … mit anderen Worten: komplett generisch. Auch Fonterin Madeleine „Eleine“ Liljestam bleibt allenfalls durch ihr fast schon aufdringlich zur Schau gestelltes Dekolleté in Erinnerung – sowie durch ihre auf Sympathie getrimmten Ansagen, die jedoch aufgesetzt und anbiedernd wirken.

ELEINE 2023 in MünchenStimmlich passt Liljestam perfekt zur Band: Auch ihr Gesang ist absolut kompetent gemacht, lässt jedoch jedweden Wiedererkennungswert, jede individuelle Note vermissen. Immerhin präsentieren sich ELEINE damit absolut authentisch: Schließlich passt der perfekt durchchoreografierte, aber zugleich komplett austauschbare Auftritt perfekt zum ebenso professionell inszenierten, aber künstlerisch ebenso belanglosen Werk der Band – zuletzt bewiesen auf „We Shall Remain“, von dem es in den 45 Minuten Showtime heute ganze fünf Stücke zu hören gibt.

  1. Enemies
  2. Never Forget
  3. We Are Legion
  4. War Das Alles
  5. Blood in Their Eyes
  6. Ava of Death
  7. We Shall Remain
  8. Death Incarnate

ENSIFERUM 2023 in MünchenImmerhin: Bloß ein generisches Labelprodukt zu sein, müssen sich ENSIFERUM nicht vorwerfen lassen. Die 1995 gegründete Band gehört zu den Vorreitern dessen, was man heute als Pagan Metal kennt – aber anders als Party-Truppen wie Equilibrium oder Korpiklaani sind ENSIFERUM ihrem „Epic Folk Metal“ treu geblieben. Was genau ENSIFERUM im Vorprogramm von Pain verloren haben, bleibt zwar ebenso ein Geheimnis wie die Antwort auf die Frage, warum ENSIFERUM zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt schon wieder auf Tour gehen. Schließlich waren die Finnen erst 2022 (mit Dark Tranquillity) durch Europa gezogen und ein neues Album soll erst 2024 erscheinen – damit will die Band, wie Fronter Petri Lindroos ankündigt, natürlich wiederkommen.

ENSIFERUM 2023 in MünchenHeute gibt es zwar nur altbekanntes Material zu hören – immerhin haben ENSIFERUM das Set seit der letzten Tour ordentlich durchgemischt: Vom zuletzt gänzlich ignorierten Album „One Man Army“sind drei Songs ins Programm gerutscht und von „From Afar“ gibt es nun „Twilight Tavern“ zu hören – alles dargeboten mit der Spielfreude und Authentizität, für die die Band bekannt ist. Das weiß auch das Publikum zu würdigen: In der Hallenmitte bildet sich ein kleiner Moshpit – und zumindest bei den bekannten Hits wie „In My Sword I Trust“ oder „Lai Lai Hei“ zeigt sich das Publikum (im Rahmen des Nötigen) textsicher. Die 50 Minuten Spielzeit sind dennoch ein für alle unbefriedigender Kompromiss: Wer eigentlich nur wegen Pain gekommen ist, hat heute einiges durchzustehen. Wer hingegen wegen ENSIFERUM da ist, dürfte nach nicht einmal einer Stunde kaum befriedigt sein – zumal bis zum Beginn der Headliner-Show 35 Minuten verstreichen, von denen nur ein Bruchteil effektiv für den Umbau genutzt wird.

  1. Andromeda
  2. In My Sword I Trust
  3. Run From The Crushing Tide
  4. For Sirens
  5. Twilight Tavern
  6. Heathen Horde
  7. One Man Army
  8. Lai Lai Hei
  9. Two Of Spades

PAIN 2023 in MünchenAndererseits ist es durchaus nicht verkehrt, dass nach diesem Schweinsgalopp durch drei Shows eine kurze Verschnaufpause gibt – bei PAIN gibt es das nämlich nicht. Um Punkt 21:30 Uhr startet ein humoriger Kurzfilm mit dem PAIN-Maskottchen „Peter Pain“, das auch im weiteren Verlauf der Show immer wieder über die Leinwand wuselt – und zwar, um das bereits an dieser Stelle vorwegzunehmen, genau im richtigen Maß. Wo andere Bands mit Visuals die Show erschlagen, gelingt es PAIN, damit ihre Show aufzuwerten, ohne von der Musik abzulenken. Bei der Setlist, die PAIN sich für diese Tour überlegt haben, wäre das aber selbst mit 3D-Atmo-Kino und einem Thriller als Visualisierung schwer.

PAIN 2023 in MünchenIn sage und schreibe 90 Minuten geht es quer durch die gesamte PAIN-Diskografie: So finden sich etwa von „Rebirth“ aus dem Jahr 1999 mit „End Of The Line“, „On And On“ und „Suicide Machine“ drei Hits im Set, die die Herzen aller Oldschool-Fans höher schlagen lassen – aber auch „Nothing Remains The Same“ und „Dancing With The Dead“ sind mit je zwei Songs vertreten. Dazwischen streuen PAIN neuere und sogar ganz neue Songs: Für „Coming Home“ und „Have A Drink On Me“ werden die Akustikgitarre und Barhocker (bzw. für Bassist nur eine Bierkiste) rausgeholt, für den brandneuen Song „Party In My Head“ dafür tief in der ’90s-Bad-Taste-Party-Klamottenkiste gewühlt. Und zwischen all die Hits streuen PAIN noch eine Cover-Version des Rolling-Stones-Klassikers „Gimme Shelter“.

PAIN 2023 in MünchenDas eigentlich bemerkenswerte an der Show ist aber, mit welcher Liebe zum Detail und wie viel Freude am eigenen Tun PAIN hier agieren. Kleine Gimmicks in den Songs – etwa eine fingierte Unterbrechung von „Call Me“, als Joakim Brodén auf der Leinwand auftaucht und Peter den Gesangspart streitig macht, ein neu eingeführter Break bei „Same Old Song“, bei dem zum Vers „Beyond the horizon lays a world that’s so black“ kurz alle Lichter erlöschen oder eben die Party-Outfits zum entsprechenden Song wären für sich genommen kaum der Erwähnung wert – würde das Quartett nicht so begeistert mitspielen: Mastermind Peter Tägtgren wirkt so aufrichtig überrascht und erzürnt über Jockes Erscheinen auf der Leinwand, dass man sich fragt, was dieser Mann eigentlich nicht kann. Und spätestens, als die ganze Band nach dem letzten Song wie vom Blitz getroffen zu Boden sinkt, um die Show mit einem großen Gruppenbalgen zu beenden, ist klar: Diese Herren machen hier heute längst nicht nur einen Job sondern zelebrieren das Werk von PAIN wie vielleicht auf keiner Tour zuvor.

  1. Let Me Out
  2. End Of The Line
  3. Nailed To The Ground
  4. The Great Pretender
  5. Call Me
  6. Revolution
  7. Zombie Slam
  8. Suicide Machine
  9. Monkey Business
  10. Coming Home
  11. Have A Drink On Me
  12. Same Old Song
  13. It’s Only Them
  14. Bye/Die
  15. Gimme Shelter (The-Rolling-Stones-Cover)
  16. Party In My Head
  17. On And On
  18. I’m Going In
  19. Shut Your Mouth

PAIN 2023 in München

Dass die Zuschauerinnen und Zuschauer bei und nach dieser rundum perfekten Darbietung „nur“ laut jubeln, aber nicht komplett ausrasten, ist wohl auf die etwas sonderbare Zusammenstellung der Bands und damit auch Zusammensetzung des Publikums zurückzuführen: Schon während der Show wird deutlich, dass viele der Anwesenden mit dem älteren Material nicht vertraut sind. Das ist schade, wäre eine adäquate Publikumsreaktion auf diese mitreißende Performance, etwa in den Mitsing-Passagen von Über-Hit „Shut Your Mouth“, das letzte Quäntchen gewesen, das zum perfekten Konzert gefehlt hat. Doch selbst davon lässt sich Peter Tägtgren heute die Laune nicht verderben – stattdessen lächelt er es mit einem charmanten „Munich, you’re so shy!“ weg. Was für eine Show!

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