Konzertbericht: Thrashfest Classics (Sepultura, Exodus, Destruction)

29.11.2011 München, Backstage Werk

Will man wie Rock The Nation Hallen-Touren als feste Events vergleichbar mit Sommerfestivals etablieren, zählt Regelmäßigkeit: Einmal im Jahr muss ein Tourpackage geschnürt und durch Europas Städte geschickt werden. Da die Zahl der Bands, die die richtige Größe für eine derartige Hallentour haben, jedoch in nahezu allen Genres begrenzt ist, steht man recht bald vor einem Problem: Wie halte ich eine Tour spannend, die allein aufgrund der Bandzusammenstellung nichts wirklich besonderes ist? Bei der Thrashfest Classics Tour beschritten Rock The Nation diesbezüglich neue Wege. Statt auf außergewöhnliche Bands zu setzen, sollten die Sets selbst für Attraktivität sorgen: Mit DESTRUCTION, EXODUS und SEPULTURA, sowie zwei weiteren Support-Acts, schickte man also Bands auf Tour, die man eigentlich jeden Sommer entweder in der Halle oder auf einem Festival zu sehen bekommt – verpflichtete diese jedoch, sich bei der Zusammenstellung der Setlists auf Songs der ersten Alben zu beschränken. Oldschool-Thrashbands mit Klassiker-Sets aus Songs, die die meisten Fans noch nie oder allenfalls selten live gesehen haben… klingt doch nach einem interessanten Konzept.

Los geht das Ganze laut Spielplan eigentlich um 18:30 mit MORTAL SIN – allein, als ich um 18:40 die Halle betrete, erklingen bereits die letzten Töne der Australier, welche ihr halbstündiges Set offenbar bereits um 18:15 begonnen hatten. Eine knappe halbe Stunde später ist es um 19:15 Zeit für HEATHEN, die Band von Exodus-Gitarrist Lee Altus. Bei wirklich amtlichem Sound legen die Amerikaner zunächst etwas arg routiniert und scheinbar etwas unmotiviert los – was sich jedoch von Song zu Song, wohl nicht zuletzt Dank des sehr herzlichen Empfangs durch das Münchner Publikum, bessert: Die Band wird für eine Vorband kräftig gefeiert, und auch, wenn es um den ein oder anderen Song vom neuen Album schade ist, weiß die Band auch mit ihrem Oldschool-Set zu begeistern. Nach einer Dreiviertelstunde ist es um 20:00 für den von den Reaktionen des Publikums sichtlich begeisterten David R. White und seine Kollegen auch schon wieder Zeit zu gehen – den Abschluss bildet hier „Death By Hanging“, der Opener vom 1987er-Debüt „Breaking The Silence“.

Setlist Heathen:
01. Pray For Death
02. Goblin’s Blade
03. Open The Grave
04. Hypnotized
05. Opiate Of The Masses
06. Mercy Is No Virtue
07. Death By Hanging

Zur Tagesschau-Zeit um 20:15 sind dann DESTRUCTION an der Reihe, ihren ersten Gig seit 1985 in München zu bestreiten. Diese Tatsache berührt Fronter Schmier sichtlich peinlich, so dass dieser sich im laufe des Gigs von ganzem Herzen dafür entschuldigt… und auch sonst gibt sich der Front-Hüne äußerst sympathisch und gut gelaunt. Dennoch hier zeichnet sich bereits hier ein Nachteil des Tour-Konzeptes ab… sind DESTRUCTION doch – zumindest meiner Meinung nach – eine Band, die sich über die Jahre klar gesteigert hat, wohingegen das frühe Material der Band aus heutiger Sicht eher fad ist. Das scheint die Band selbst nicht ganz anders zu sehen und gibt den Forderungen des Publikums nach „Thrash Till Death“ gerne nach – auch wenn der Song im angekündigten Oldschool-Set eigentlich nichts verloren hätte. Dem Publikum ist das egal, es feiert den Song wie kaum einen anderen im Set – eine Tatsache, die im Hinblick auf das Tourkonzept zu denken gibt. Dennoch trotz einiger Längen und eines eher durchwachsenen Sounds ein starker Auftritt der Baden-Württemberger – gerne wieder, vielleicht auch nicht erst im Jahr 2037.

Setlist Destruction:
01. Total Desaster
02. Satan’s Vengeance
03. Mad Butcher
04. Thrash Till Death
05. Black Mass / Antichrist / Death Trap (Medley)
06. Invincible Force
07. The Ritual / Thrash Attack (Medley)
08. Eternal Ban
09. Bestial Invasion
10. Curse the Gods

Nach einer knappen halben Stunde Umbaupause geht es um halb Zehn mit EXODUS weiter. Wie man es von der Band kennt, wird hier nicht lange gefackelt: Zu „ The Last Act Of Defiance“, dem Opener des „Fabulous Disaster“-Albums aus dem Jahre 1988 stürmt die Band die Bühne und lässt keinen Zweifel, dass sie Spaß daran hat, den Staub von den alten Songs zu wischen. Mit „Exodus“ und „Fabulous Disaster“ folgen sogleich zwei weiteren Songs, die im Regelfall keinen Eingang in die Setlist der Band finden – eine feine Sache, die die Fans mit begeisterten Reaktionen quittiert. Dass die Publikumszahl heute doch merklich hinter der des letztjährigen Thrashfests zurücksteht, hat hier auch sein Gutes – schafft das doch den Raum für ausgedehnte Circlepits durch den kompletten Innenraum der Halle sowie eine sauber getrennte Wall Of Death.

Und dennoch offenbart auch dieser Auftritt den Haken am Tourkonzept: Das alte Material beginnt, wie es bei Oldschool-Thrash in der Natur der Sache liegt, auf die Dauer etwas monoton zu werden, man vermisst die Kracher der neuen Alben, und muss zu guter Letzt feststellen, dass abgesehen von den alten Klassikern , die sowieso in jedem Standard-Set vertreten sind, so mancher alte Song auch völlig zu Recht mit den Jahren aus dem Live-Set gefallen ist: Weil er nämlich nicht mit dem neuen Material mithalten konnte oder schon damals live nicht gezündet hat. So wissen mich gerade die Songs vom „Pleasures Of The Flesh“-Werk persönlich wie auf Platte so auch live wenig zu überzeugen.

Und auch, wenn das Set durch die Classics-Show auch einige Perlen dazugewonnen hat, die man sonst selten bis nie zu hören bekommt – für den „normalen“ Fan reichen wohl gemeinhin die aus den „guten alten Zeiten“ übriggebliebenen Songs in einem Standard-Set… alles andere ist – zumindest in dieser Menge – eher etwas für Liebhaber. Nach 75 Minuten ist schließlich um 22:45 Schicht im Schacht, und die Halle leert sich zur letzten Raucherpause…

Setlist Exodus:
01. The Last Act Of Defiance
02. Exodus
03. Fabulous Disaster
04. Brain Dead
05. A Lesson In Violence
06. Chemi-Kill
07. Pleasures Of The Flesh
08. Piranha
09. Metal Command
10. And Then There Were None
11. Bonded By Blood
12. The Toxic Waltz
13. Strike Of The Beast

… bis um 23:15, also schon relativ spät, mit SEPULTURA die letzte Band des Abends die Bühne betritt. Zugleich dürften die Brasilianer die Band sein, bei denen sich viele am meisten von einem Klassiker-Set versprochen haben – gehört es in der Szene doch zum guten Ton, alles Neue von der Band schlecht zu finden, die Frühwerke jedoch zu glorifizieren.Und in der Tat: Mit „Beneath The Remains“, „Refuse / Resist“, „Dead Embryonic Cells“ und „Desperate Cry“ legt die Band, tatkräftig vom erst zwanzigjährigen Schlagzeug-Neuzugang Eloy Casagrande gut vor – auch wenn es sich mir nicht ganz erschließt, warum die Band derartige Hits bereits in der Aufwärmphase des Gigs verheizt.

Was folgt, ist trotz der motiviert durchgezogenen Show der Band und dem sympathischen Fronter Greene, welcher das Publikum mit bayerischen Wortfetzen wie „Servus“ zu beglücken weiß, eine schleichende Ermüdung: Sei es, weil sich der Auftritt im Ganzen bis 0:30 hinzieht oder weil man zu Gigbeginn bereits über drei Stunden über weite Strecken recht stumpfen Thrash Metals gehört hat – Fakt ist, dass die Freude am handwerklich gut gemachten Auftritt der Band durch die Rahmenbedinungen reichlich getrübt ist. Wenn dann auch noch Hits wie „Roots Bloody Roots“, ein auflockernder Tribal-Jam oder auch Kracher wie „Convicted In Life“ fehlen, wird das ganze doch etwas dröge. Schade daran ist auch, dass das Setting so den alten Songs nicht ganz gerecht wird: Wäre jeder einzelne davon in einem neuen Set für viele Fans der Höhepunkt des Abends, reiht sich hier Rarität an Rarität und verliert so in einer leider recht monotonen Setlist merklich an Wirkung. Dass dabei der Sound nicht unbedingt durch Brillianz glänzt, und das Licht stellenweise eher nervig als – wie bei den anderen Bands – der Atmosphäre dienlich ist, tut hier sein Übriges.

Wohl eher aufgrund dieser Tatsachen, vor allem der fortgeschrittenen Uhrzeit und dem Fakt, dass es Dienstag ist, denn aufgrund der Leistung der Band, leert sich das Backstage im Verlaufe der Show merklich – auch das ist schade, und bringt ein weiteres Thema auf den Tisch, das mit den groß angelegten Rock The Nation-Touren einhergeht: Braucht man wirklich fünf Bands, davon zwei mit 75 Minuten Spielzeit, und auch noch aus dem gleichen Genre an einem Abend? Sicherlich, betrachtet man die harten Fakten, ist die Bandkombination für das Geld (~30€) auf jeden Fall für den Fan ein guter Deal – zumindest ich für meinen Teil finde jedoch, dass man von einem im Verhältnis vielleicht minimal teureren Drei-Band-Abend deutlich mehr hat, als von einem derartigen Konzert-Marathonmit hohem physischen wie psychischem Ermüdungsfaktor. So ist wohl jeder irgendwie froh, als SEPULTURA um 0:30 sichtlich zufrieden die Bühne verlassen – auch, wenn der ein oder andere wohl doch noch bis zum Schluss auf ein „Roots Bloody Roots“ als Zugabe spekuliert hatte…

Setlist Sepultura:
01. Beneath The Remains
02. Refuse / Resist
03. Dead Embryonic Cells
04. Desperate Cry
05. Amen
06. Mass Hypnosis
07. We Who Are Not As Others
08. Altered State
09. Infected Voice
10. Subtraction
11. Inner Self
12. Territory
13. Arise

Da ist er wieder, der feine, aber alles entscheidende Unterschied zwischen Theorie und Praxis: Wo das Prinzip „rare Songs rauskramen“ im Vorhinein nach einer echt reizvollen Idee klingt, um Bands, die man mit ihrem Standard-Set eigentlich jedes Jahr auf einem Festival oder in einem Club sieht, attraktiv zu halten, hakt es bei der Umsetzung schlicht und ergreifend an dem Fakt, dass Oldschool Thrash zwar an sich eine sehr coole Sache, leider aber auf Dauer außer für absolute Maniacs auch gar nicht so spannend ist. Insbesondere, wenn sich dafür fünf Bands, von denen man weiß, dass sie auch anders können, selbst kasteien und statt einem abwechslungsreichen Hit-Set aus alten und neuen Songs exklusiv „olle Kamellen“ unters Volk bringen.

Wenn eine Band auf einem Festival als Special ein Jubiläumsalbum komplett spielt, und danach ein verkürztes „normales“ Set, ist das eine feine Sache – seien das nun Marduk mit dem Panzerdivision-Jubiläum auf dem Party San, oder Metallica auf der entsprechenden „Master Of Puppets“-Jubiläums-Tour. Auch das Prinzip des Fanvotings bezüglich einiger Songs aus der Setlist ist eine nette Idee, auch wenn diese ein wenig ad absurdum geführt wird, wenn am Ende, wie bei Exodus mit „Bonded By Blood“, „Piranha“ und „The Toxic Waltz“, Songs gewählt werden, die so oder so in eigentlich jedem Set zu finden sind. Mit der Idee jedoch, einem kompletten Tourtross Oldschool-Sets „aufzuzwingen“ tut man jedoch wohl nur echten Diehard-Fans einen Gefallen. Da hier jeder im Vorhinein wusste, worauf er sich einlässt, ist all dies eigentlich kein triftiger Grund, enttäuscht zu sein – andererseits aber wohl die Erklärung dafür, dass das Thrashfest im letzten Jahr ausverkauft, dieses Mal allerhöchstens „gut besucht“ war.

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Fotos von: Moritz Grütz

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