Review Leprous – Coal

Mit ihrem 2011er Album „Bilateral“ haben LEPROUS mehr als eindrucksvoll bewiesen, dass sie eine der innovativsten Progmetalbands der letzten Jahre sind – kompromisslos und auf atemberaubendem Niveau kombinierten sie auf ihrem dritten Longplayer die unterschiedlichsten Stile der Gitarrenmusik zu einem komplexen, rasanten Gesamtkunstwerk.

Die neue Studioplatte „Coal“ beweist schon allein dadurch echte Größe, dass sie nicht versucht, ein zweites „Bilateral“ zu sein. Stattdessen verschieben LEPROUS Anno 2013 den Fokus in Richtung New Artrock und geben dem Metal weniger Raum, ohne ihn – und damit ihre eigene Herkunft – zu verleugnen. Sie stopfen nicht mehr jede nur erdenkliche Idee in einen Song, sondern lassen einzelnen Ideen die Möglichkeit, sich zu entfalten. Das so entstandene Material ist atmosphärischer und düsterer, hat aber immernoch eine solch immense Tiefe und Sogwirkung wie die Tracks von „Bilateral“.

Der Einstiegstrack „Foe“ macht es dem Hörer nicht gerade einfach: Spröde, zäh und konstruiert klingt das, was da aus den Boxen schallt. Irgendwie behäbig und nicht so mitreißend wie der aufruttelnde Opener des Vorgängers. Es dauert einige Durchgänge, bis die Nummer zündet – wohl auch, weil LEPROUS die Zweite Hälfte des Fünfminüters mit psydelischen bis esotherischen Gesängen füllen, die nur von vereinzelten Gitarrentönen und einem Mellotronteppich begleitet werden – so etwas nennt man wohl New Artrock. Die darauffolgenden Nummern „Chronic“ und „Coal“ sind da schon beinahe eine Erleichterung, sind sie doch am ehesten mit den „alten“ LEPROUS zu vergleichen und erreichen problemlos das Niveau des Vorgängers. Ohne den grandiosen Gesang von Einar Solberg wären diese Songs allerdings nur halb so gut – er intoniert die Texte voller Hingabe, kann sowohl kraftvoll melodisch singen, als auch beherzt kreischen.

Die wahren Highlights von „Coal“ folgen allerdings noch: „The Cloak“ besticht durch erstaunliche Zugänglichkeit und atmet in seiner vollmundigen Melodieseeligkeit beinahe AOR-Luft. Das melancholische, mit elektronischen Sounds erweiterte „The Valley“ ist mit einem grandiosen Refrain gesegnet und nimmt den Hörer für neun Minuten völlig gefangen. Der atmosphärische Mittelteil mit entrücktem Gesang und die Art und Weise, wie hier vertrackte Gitarrenriffs mit hochmelodischen Gesängen vermengt werden, ist einfach nicht in Worte zu fassen. Zu Beginn von „Salt“ und „Echo“ klingt Solberg dann plötzlich massiv nach Gavin Hayes von Dredg – und es steht ihm gut. Auch „Echo“ spielt noch einmal äußerst überzeugend mit jener Art von schwermütig-atmosphärischem New Artrock, die den Hörer entweder langweilt oder zutiefst emotional berührt. Groß! Insgesamt ist „Coal“ im Mittelteil erstaunlich ruhig und getragen – von einzelnen Ausbrüchen einmal abgesehen.

Im neunminütigen Abschlusstrack „Contaminte Me“ ist dann allerdings der Name Programm: LEPROUS lassen nochmal die Leinen los, planieren mit massiven Riffs und verwöhnen dank Gastkreischer Ihsahn von Emperor auch Freunde avantgardistisch-extremer Spielarten vorzüglich. Wer sonst Dream Theater oder Genesis hört, dürfte hier hektisch nach Luft schnappen und panisch das Beatmungsgerät suchen. Doch dass LEPROUS das ansonsten recht ruhige und verhaltene „Coal“ mit einem solch morbiden, düsteren Wirbelsturm abschließen, ist nur ein weiterer Teil ihres perfekten Plans.

Mit ihrem vierten Werk machen die Norweger so ziemlich alles richtig. Sie entwickeln sich weiter, ohne ihre Herkunft zu verleugnen und halten dabei scheinbar mühelos ihr schwindelerregend hohes Niveau an Musikalität. Genau wie „Bilateral“ erfordert auch „Coal“ eine intensive Auseinandersetzung mit der Musik, will Stück für Stück erarbeitet werden. Anfangs kann die Platte sehr zäh und schwermütig wirken, doch nach einigen Durchgängen entfaltet sie immer mehr von ihrer atmosphärischen Weite und ihrer emotionalen Durchschlagkraft. Ein bemerkenswertes Album, mit dem LEPROUS ihre Eigenständigkeit beeindruckend untermauern.

Wertung: 9 / 10

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