Review Leprous – Pitfalls

Bereits das letzte LEPROUS-Album „Malina“ wurde unter Fans der Band kontrovers diskutiert. Die stückweise Abwendung von hirnverknotendem Progressive Metal, wie die Band ihn auf „Bilateral“ oder „Coal“ noch zelebrierte, hin zu poppigen, eingängigen Tracks wie „Stuck“ oder mutigen, aber gänzlich entmetallisierten Stücken wie „The Last Milestone“ und „Malina“ wurden nicht von jedem langjährigen Fan wohlwollend aufgenommen.

Für jene dürfte es daher keine positive Nachricht gewesen sein, als das Quintett sein neues Album „Pitfalls“, das Einar Solbergs Kampf gegen seine Depressionen thematisiert, mit der Beschreibung „This is honestly the album nobody expects from us“ ankündigte. Und tatsächlich: Die ersten beiden Singles „Below“ und „Alleviate“ fielen noch mal ein ganzes Stück poppiger und ruhiger aus als der durchschnittliche „Malina“-Song.

Dabei sind diese beiden Singles einerseits durchaus repräsentativ für das Album, andererseits auch nicht: Im Grunde ist „Pitfalls“ nämlich insgesamt sehr ruhig gehalten. Verzerrte Gitarren, wildes Getrommel oder gar richtige Riffs gibt es höchstens mal vereinzelt. Dominiert wird das Album von zahlreichen Synthesizerklängen, den Streicherarrangements von Sessionmusiker und Bent-Knee-Violinist Chris Braun sowie erneut vom Cellospiel des inzwischen fast schon zu einem inoffiziellen Bandmitglied gewachsenen Raphael Weinroth-Browne. Dennoch stellen „Below“ und vor allem das mit seinem kitschig-hoffnungsvollen Refrain schon ESC-geeignete „Alleviate“ mit die beiden radiotauglichsten Tracks und damit durchaus Extreme des Albums dar.

LEPROUS haben sich dazu entschieden, „Pitfalls“ grob in zwei Hälften einzuteilen: Die ersten fünf Songs bis einschließlich „Alleviate“ stellen die poppige, auf Eingängigkeit ausgerichtete Hälfte dar, während die zweite Hälfte vier Songs bereithält, die sich eher am klassischen Progressive Rock und Metal des bisheriges LEPROUS-Repertoirs orientieren. Trotz aller Offenheit LEPROUS‘ Stilwandel gegenüber muss man dennoch feststellen, dass jene zweite Hälfte die etwas interessantere und spannendere darstellt. Kein Song der ersten Hälfte besitzt etwa die emotionale Komplexität eines Arrangements wie in „Distant Bells“, die Entschlossenheit einer Kampfansage wie dem Albumhighlight „Foreigner“ oder die instrumentale Brillanz des abschließenden, über elf Minuten langen Prog-Epos „The Sky Is Red“. Mit „At The Bottom“ liefern die Norweger einen weiteren klassischen LEPROUS-Track ab.

Doch das bedeutet ganz und gar nicht, dass die erste Hälfte deshalb misslungen ist. So streitbar vor allem ein „Alleviate“ auch sein mag, so frisch klingen Synth-Pop-Tracks wie das strukturell geradlinige, aber tiefgründige „I Lose Hope“, das nur auf den ersten Blick simple, musikalisch aber extrem vertrackte und an Muse erinnernde „By My Throne“ oder das sanfte „Observe The Train“, in dem Sänger Einar Solberg eine Art meditative Achtsamkeitsübung anleitet, wie sie oft in Psychotherapien zum Einsatz kommt. Gerade hier halten sich die anderen Musiker der Band stark zurück, um Solbergs erneut zum Niederknien grandiose Gesangsperformance ausreichend Raum zu bieten. Schade ist dabei lediglich, dass Weltklasse-Schlagzeuger Baard Kolstad oft nur ein paar simple E-Drum-Beats im Stile von Depeche Mode zum Besten geben darf.

Wer bereits über „Malina“ nur den Kopf schütteln konnte, für den wird „Pitfalls“ sicherlich den Todesstoß für die Band darstellen. Wer sich allerdings darauf einlassen kann, das LEPROUS hier zwar wenig Interesse an virtuosen Prog-Spielereien und noch weniger an metallischer Härte, jedoch umso mehr an Herz und einer ehrlichen, offenen Auseinandersetzung mit dem Thema Depressionen zeigen, sollte dem Album eine Chance geben. Oder am besten gleich mehrere, denn die vielschichtigen Arrangements und die emotionale Bandbreite einiger Songs erfordert durchaus mehrere Durchläufe, bevor man sie vollends wertzuschätzen weiß.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Wertung: 8.5 / 10

Publiziert am von Simon Bodesheim

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert