Review Riverside – Out Of Myself

Die Erfolgsgeschichte der polnischen Artrocker begann mit ihrem Zweitling „Second Life Syndrome“, der begeisterte Kritiker und Hörer und volle Konzertsäle nach sich zog und schließlich darin gipfelte, dass sich die Bandmitglieder entschieden, ihre Alltagsjobs an den Nagel zu hängen, um sich ganz und gar der Musik zu widmen. Bereits ein Jahr vor diesem zweiten Album erschien aber über Laser’s Edge bereits das RIVERSIDE-Debüt „Out Of Myself“. Hier bedient nicht Michal Lapaj, sondern noch Jacek Melnicki die Tasten.

Auch „Out Of Myself“ bietet schon die typischen RIVERSIDE-Trademarks, also die hochmelodische Gitarre, die sanften Synthiflächen, den omnipräsenten Bass und natürlich Marius Duda eindringlichen Gesang, der stets zwischen sanften Streicheleinheiten voller Selbstmitleid und aggressiven Growl-Ausbrüchen schwankt. Insgesamt gibt man sich aber auf „Out Of Myself“ ruhiger, melodischer und weniger verfrickelt. Wenn man so will, sind RIVERSIDE hier dem Neoprog noch etwas näher als dem Progmetal. Außerdem hat man den Eindruck, die Kompositionen wollen eher Songs als Epics sein – bis auf den Opener und mit Abzügen „The Curtain Falls“ gibt es hier keine Longtracks. „The Same River“, sozusagen der Vorbote von Großtaten wie „Second Life Syndrome“ und „Dance With The Shadow“, lässt dann auch bereits die Klasse erahnen, die die Band bei Longtracks nun inne hat. Der Song startet enorm ruhig und atmosphärisch, steigert sich rein instrumental über 6 Minuten, bis nach 7 ½ Minuten endlich der Gesang einsetzt. Mit den Textzeilen: „Please take a walk with me, let me know am I to blame – as you know I have always loved you, and I know I will always love you…”. Der atmosphärische Unterbau, den Gitarren, Schlagzeug und Keyboards hier legen, lässt eine magische Stimmung entstehen, die wenig später nach einem rausgeshouteten “Go!” in ein fantastisches Gitarrensolo von Piotr übergeht. Nach einem ruhigen Zwischenspiel, das mit den Lyrics „I know… I can… Wanna stay…” abgeschlossen wird, startet das finale Gitarrensolo und der Hörer startet Richtung Wolke 7. Ein fantastischer Song, in dem zwar weniger Songwriting-Stringenz und Nährwert enthalten ist als auf den Longtracks des Nachfolgers, der aber dennoch das Meisterstück schafft, mit ganz wenig ganz viel auszudrücken.

Weiter geht es dann mit den gehauchten Worten „Voices in my head…“ unter typischem RIVERSIDE-Bass. Wir sind beim mit 3:44 Minuten kürzesten Stück, dem Titeltrack, angekommen. Hier bekommen wir das Musterbeispiel für den Songaufbau der Polen: Man startet ruhig und eindringlich, lässt irgendwann ein einnehmendes Gitarrensolo los und legt dann Stück für Stück Härte und Aggression drauf. Noch bin ich diesem Rezept nicht müde geworden. Mit „I Believe“ folgt dann meine Lieblingsballade der Band, die das ohnehin schon traumhafte „Conceiving You“ noch mal übertrifft. Hier stimmt Stimmung, Instrumentierung und Text – alles ist perfekt, und es rüttelt ganz schön an der Fassung des Hörers, wenn er sich mit dem Text identifizieren kann. Ein absoluter Tränenzieher auf Konzerten! „Reality Dream I“ und „Reality Dream II“ sind die ebenfalls instrumentalen Vorgänger von „Reality Dream III“ von „Second Life Syndrome“ und nicht minder überzeugend, vielleicht eben nicht ganz so hart und frickelig. „Reality Dream II“ stellt für mich nach wie vor den besten der drei Instrumentals da, ich mag das grandiose Solo und vor allem den Beginn mit dem Schlagzeugeinstieg und dem Soundclip eines Telefons. Zwischen „Reality Dream I“ und „Reality Dream II“ steht mit „Loose Heart“ der beste kurze Song, den die Band je geschrieben hat und der das bereits bei „Out Of Myself“ erwähnte Rezept wieder auffährt. Man startet mit einem programmierten Drumsound, um dann für gut drei Minuten einen hypermelodischen, schönen Prog-/Rock-/Popsong aufzufahren, der am Ende eben wieder betont aggressiv endet. Ein absolutes Wechselbad der Gefühle, extrem stimmig, mit fantastischem Schlagzeugspiel von Piotr Kozieradzki und wieder unmenschlichem Gesang von Marius Duda. „In Two Minds“ beleuchtet nochmal die ruhige RIVERSIDE-Seite, kommt größtenteils mit Akustikgitarre aus, während “The Curtain Falls” den kleinen Bruder von “The Same River” mimt und im Prinzip ein siebenminütiges Gitarrensolo der atmosphärischsten Art ist, ergänzt um ein paar Textfetzen. Die Mischung haben die Jungs beim Nachfolger besser hinbekommen, nichtsdestotrotz ein toller Track. Das 53-minütige Debüt endet mit „Ok“, einem Song, der dann doch deutlich an Porcupine Tree erinnert und ganz eindeutig eine abschließende Wirkung hat. Habe ich wenig gehört und macht nur Sinn, wenn man davor das Album komplett durchlaufen lässt.

Es sollte klar geworden sein, dass ich „Out Of Myself“ für ein überaus geniales Debütwerk halte. Als Album kommt es mir schlüssiger als der Nachfolger vor, dafür sind die Einzeltracks für sich manchmal etwas zu viel auf Atmosphäre aus und der Songwriting-Unterbau wird vergessen. Im Prinzip ist das aber eine Geschmacksfrage. Neben der Tatsache, dass „Out Of Myself“ nicht so gut klingt wie „Second Life Syndrome“ gibt es für mich eigentlich keinen Grund es schlechter zu finden. Ich höre gern Musik, die mich emotional berührt, und das schafft „Out Of Myself“ auch ohne einen Übersong wie „Second Life Syndrome“ besser als der RIVERSIDE-Zweitling.

Wertung: 9 / 10

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