November 2015

Review Swallow The Sun – Songs From The North

(Doom Metal / Folk Rock / Melodic Death Metal) Vielarbeiter sind besonders dann klasse, wenn sie handwerklich guten Stoff abliefern. Bei SWALLOW THE SUN ist das mit beinahe jedem Album der Fall und nach fünf Platten in den ersten neun Jahren Bandkarriere dachten sich die Finnen, ihrem bisherigen Wirken doch mal die Krone aufsetzen zu müssen. Nahm Kari Rueslåtten den Hörer jüngst mit auf eine Reise in den Norden, kommt nun also das Echo: „Songs From The North“ kommt als eine nicht gerade übliche Dreifach-CD, wobei das Besondere ist, dass es sich ausschließlich um neues Material handelt.

Wie nähert man sich einem solchen Mammut-Werk nun an? Glücklicherweise hat die Band selber alles gut durchstrukturiert, so findet sich auf der ersten Scheibe „traditionelle“ Musik von SWALLOW THE SUN, also eher langsame, atmosphärische, düstere, aber eben auch melodische Songs. Teil II ist dann sicher die überraschendste Platte, akustisch, spärlich instrumentalisiert mit einem starken Einschlag von Folk, da reibt sich der Hörer zunächst mal die Augen bzw. Ohren. Auf dem abschließenden Teil huldigt die Band schließlich mehr denn je ihren großen Vorbildern My Dying Bride. Das Resultat ist gerade im Vergleich zu „Songs From The North I“ ein wesentlich roherer und auch härterer Klang, aber dazu später mehr.
Wenden wir uns zunächst Teil I zu, diese acht Songs sollten dem gemeinen Freund der Band am leichtesten zugänglich sein. Im Prinzip setzen SWALLOW THE SUN mit dem extrem opulenten Opener „With You Came The Whole Of The World´s Tears“ da an, wo sie mit dem Vorgängeralbum Emerald Forest And The Blackbird aufhörte. Zwar fungiert dieser Song nicht so sehr wie eine Ouvertüre, wie man es in der Vergangenheit schon öfter erlebte, dennoch stellt er bereits viele Elemente vor, die in der folgenden knappen Stunde intensiv ausgearbeitet werden. Besonders auffällig sind die noch weiter ausgedehnten Intros der Lieder, die einerseits schon selber für viel Qualität bürgen. Andererseits bauen sie aber gekonnt Intensität auf und bilden enorme Spannungsbögen, die sich oft in den teilweise extrem eingängigen Refrains entladen.
Dabei sind unweigerlich viele Highlights entstanden. Ehrlicherweise verzeichnet „Songs From The North I“ nicht einen einzigen Ausfall, dafür aber eine Menge Hits. Es ist schon eine große Kunst, die Lieder nicht nur opulent auszugestalten, sondern sie über ihre gesamte Spielzeit von teilweise acht oder neun Minuten durchweg interessant zu halten. Hilfreich ist dabei die weiterhin vorhandene Wandelbarkeit. Gerade gesanglich hat Fronter Mikko sensationelle Arbeit geleistet, schon bei diesen acht Nummern glaubt man kaum, dass es sich (mit Ausnahme der wunderbaren weiblichen Vocals der Südafrikanerin Aleah natürlich) immer um ein- und denselben Sänger handelt. Vor allem im cleanen Bereich hat er noch mal deutlich zugelegt, wodurch der Kontrapunkt zu den mal doomigen, mal harschen und mal black-metallischen Einsätzen nicht nur noch deutlicher, sondern auch ehrlicher und weniger aufgesetzt als bei vielen Bands ist.
Doch nicht nur der Fronter macht eine gute Figur, insgesamt toben sich alle Mitglieder so richtig aus und zeigen, was sie draufhaben. „Silhouettes“ ist ein gutes Beispiel dafür, hier zieht Keyboarder Aleksi praktisch alle Register und drückt dem Song mit sehr eingängigen Melodien und einer mächtigen Sound-Wand seinen Stempel auf. Dennoch ist das Lied überhaupt nicht weichgespült, sondern entpuppt sich als eines der härtesten auf „Songs From The North I“.
Die Gitarrenarbeit bei SWALLOW THE SUN ist natürlich ohnehin unbestritten, die Finnen nutzen immer wieder die sich durch zwei gutklassigen Gitarristen bietenden Möglichkeiten und unterstützen den Gesang mit Soli, die sich dezent zwischen das rhythmische Fundament und den variablen Gesang schieben. Zudem macht sich der Wechsel am Schlagzeug von „Altmeister“ Kai Hahto zum verhältnismäßigen Newcomer Juuso Raatikainen kein bisschen negativ bemerkbar, so dass „Songs From The North I“ nicht nur wunderbare Musik im Gepäck hat, diese wird von ebenfalls großartigen Musikern präsentiert. Schon alleine die acht Lieder sollten jedem Fan der Band Tränen der Freude in die Augen treiben, doch noch warten zwei weitere Platten auf den Hörer.

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Zugegeben ist der Bruch von Teil I zu II schon ein deutlicher. Zwar klingt „From Happiness To Dust“ recht gemächlich aus, wenn man aber nicht wüsste, was einen erwartet, würde mich nicht auf die schweren Klavierakkorde kommen, die in Form von „The Womb Of Winter“ den zweiten Streich einleiten.
Das ist aber auch ganz in Ordnung so, beide (bzw. alle drei) Alben sollen sich schließlich voneinander unterscheiden und so steht nun eine Reise in den folkigen Bereich an. Es ist wirklich so, wie wenn man bei einer (Auto-) Reise ganz plötzlich in ein neues Terrain gelangt, beispielsweise bei einer Fahrt im Gebirge, bei der man urplötzlich die Schneegrenze erreicht. Die Instrumentierung ändert sich ebenso wie die Stimmung, die auf Teil I ganz im Stile von SWALLOW THE SUN düster und traurig war. Jetzt sollte man keine Freudensprünge erwarten, aber die Finnen hauchen ihren Songs nun wesentlich mehr positive Elemente ein. Dies wird vor allem beim heimlichen Titeltrack der Gesamtveröffentlichung deutlich. „The Heart Of A Cold White Land“ scheint die skandinavisch-typische Liebeserklärung an die Heimat sein, das lyrische Ich wird hierbei nicht nur Teil mit der Landschaft, es verschmilzt regelrecht mit ihr. Mehr als ein paar hübsche Akustikgitarren und etwas dezentes Schlagzeug im Mittelteil braucht es dafür nicht. Naja, nicht ganz, denn einmal zeigt Mikko Kotamäki seine ganze Klasse. Ist die cleane Stimme ohnehin schon ausdrucksstark und in Verbindung mit den musikalischen Klängen schlicht ergreifend, variiert er spielend leicht zwischen leicht rau und komplett clean. Das zu beschreiben, ist nicht einfach, vielleicht sogar nicht möglich, hier muss der Hörer sich selbst ein Bild machen, das kleine Denkmal, das SWALLOW THE SUN sich hier gesetzt haben, ist es definitiv wert.
Vielleicht geht aus diesen Zeilen schon hervor, dass „Songs From The North“ auf der zweiten Platte deutlichere Qualitätsunterschiede zu verzeichnen hat als beim „Heimspiel“ auf Teil I. So ganz schafft die Band es nicht, die Messlatte dauerhaft so hoch zu halten, auch wenn mit „Songs From The North“ und dem kryptischen „66,50´N,28,40´E“ (offenbar ein Ort in der Nähe von Jyväskylä) zwei unumstrittene Highlights dabei sind. Und auch die übrigen fünf Songs sind keineswegs schlecht, entsprechend vergehen die 42 Minuten wie im Flug. Aber es fällt halt auf, dass die Möglichkeiten im akustischen Bereich insgesamt etwas begrenzter sind. Das sollte aber nicht als Kritik verstanden werden, die geringfügigen Längen, die sich einschleichen, machen die Glanzlichter jederzeit locker wieder wett.

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Und wieder gänzlich anders gehalten ist der dritte Teil der Trilogie. Selbst wenn man es nicht wüsste, der Name My Dying Bride würde sofort fallen und SWALLOW THE SUN machen auch keinen Hehl daraus, dass hier den Vorbildern nachgeeifert wird. Langsame, schleppende Songs und voluminöser Grunzgesang sind die neuen Trademarks. Das will im ersten Moment nicht so recht passen, ein paar Minuten Eingewöhnungszeit braucht es schon. Davon halten die fünf Songs allerdings reichlich bereit, die durchschnittliche Songlänge liegt bei über zehn Minuten, was angesichts der Ausrichtung und der Vorliebe von SWALLOW THE SUN für lange Songs schließlich auch kein Wunder ist.
„The Gathering Of Black Moths“ eröffnet somit ein weiteres, interessantes Kapitel, denn der manchmal etwas schnöde Doom-Sound wird hier durch allerlei Spielereien kräftig aufgewertet. So bringt die Band zu Beginn bedrohliche Orchesterarrangements in Spiel, das ausgiebige akustische Zwischenspiel fügt sich ebenso nahtlos ein. Trotzdem wird im Verlauf des dritten Abschnitts deutlich, warum My Dying Bride als eigentlich einzige Band mit dieser Art Musik so richtig erfolgreich wurden, auch wenn die Lieder weiterhin viel Freude bereiten, gibt es nun etwas vermehrt Augenblicke, die dem Hörer aktiven Einsatz abverlangen. So startet „7 Hours Late“ mit einem gefühlt nicht enden wollenden Keyboardintro, danach passiert bis auf Atmosphäre und Stimmung nicht mehr viel, was angesichts von über zehn Minuten Spielzeit doch etwas wenig ist. Ein Widerspruch ist das aber nicht, die Lieder sind auch jetzt noch gut, nur können sie sich nicht an den grandiosen Highlights der ersten beiden Platten messen. Wie es noch besser ginge, zeigt das wieder härtere, leicht choralunterstützte „Empires Of Loneliness“, welches im Verlaufe seiner Entwicklung immer mächtiger und massiver wird, wenn man so will ist das der Anspieltipp für den abschließenden Teil. Zudem wird hier wieder vermehrt auf Melodien und nicht fast ausschließlich auf Riffs gesetzt, zumal nach einem elegischen Sprechgesangspart eine extrem epische Gitarrenpassage ansteht, die das Doomer-Herz höher schlagen lässt. Mit der gebotenen Abwechslung nehmen SWALLOW THE SUN hier also nochmal ordentlich Qualität ins Boot.

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„Songs From The North“ bietet ohnehin schon viele Vorteile. So sollte bei der breiten Ausrichtung für jeden etwas dabei sein, allerdings dürfen die meisten auch nicht erwarten, über die volle Spielzeit mit allem vollkommen einverstanden zu sein. Zweieinhalb Stunden können sich der einen oder anderen Länge sicher nicht verwehren, aber wie obens schon geschrieben, es gibt genug Songs, die etwaige langweilige Momente locker kompensieren. So legen SWALLOW THE SUN hier ein Album vor, was für die Ewigkeit gedacht ist. Ob man das in zehn oder zwanzig Jahren noch sagen kann, bleibt selbstverständlich abzuwarten, aber für den jetzigen Zeitpunkt gibt es kein Vertun und keine Alternative, „Songs From The North“ ist vor allem eines: in seiner Gesamtheit perfekt.

Wertung: 10 / 10

Publiziert am von Jan Müller

2 Kommentare zu “Swallow The Sun – Songs From The North

  1. Jap, auch ich war als großer Swallow The Sun-Fan von dem Teil sehr enttäuscht. Drei Alben ohne einen einzigen wirklich erinnerungswürdigen Song, ein Musterbeispiel von „Quantität statt Qualität“.

    umbrA, auch wenn dein erster Eindruck der Band mit diesem Dreifach-Album negativ ausgefallen ist, will ich dir trotzdem unbedingt die Alben „New Moon“, „Ghosts Of Loss“ (hier wurden unverständlicherweise nur 4.5 gegeben) und mit Abstrichen auch das letzte Album, „Emerald Forest And The Blackbird“ ans Herz legen. Hör zumindest mal rein. Die Alben sind wirklich um einiges besser komponiert, emotionaler und fesselnder als dieses Album, das mich ebenso kalt gelassen hat, wie der Titel es andeutet. ;)

  2. Ich muss sagen, ich war selten so enttäuscht von einem Werk, abwohl ich vorab tatsächlich nichts erwartet hatte, weil ich mit der Diskographie der Band nicht vertraut bin. Das Werk ist wie eine Reise zurück in die 90er im negativen Sinne, wo noch jeder Dilettant als Künstler hochgejubelt wurde, sobald die Akkorde mehr als Green Day hergaben. Für mich ist das hier ein relativ schlecht gemachtes Potpourri aus genau den Ideen vergangener Zeiten, die eben nicht für die Ewigkeit gemacht waren, so dass das Album in meinen Ohren einfach nur altbacken und handwerklich eher mittelmäßig gemacht klingt. Damit möchte ich natürlich die Freude des Rezensenten an diesem Werk nicht schmälern, aber die Aussage dass „Songs from the North“ in seiner Gesamtheit perfekt sei, halte ich für arg hoch gegriffen :)

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