Review The Contortionist – Claivoyant

Nach drei Studioalben wagen THE CONTORTIONIST mit ihrer neuen Platte „Claivoyant“ etwas, was viele Bands scheuen: eine gewisse Abwendung von dem, was die Alben zuvor charakteristisch auszeichnete. Waren auf den Vorgängern von „Claivoyant“ noch deutlich die harschen Vocals zu hören und galten sie doch als recht heavy, weist das vierte Album der Prog-Metaller diese Merkmale nicht mehr auf. Anstatt geschrien, wird gesungen (dauerhaft) und anstatt harte Tracks zu präsentieren, bleiben THE CONTORTIONIST vergleichsweise sanft (dauerhaft). Außerdem scheinen die US-Amerikaner mittlerweile eine größere Vorliebe für eine Melodik im Post-Rock-Stil gefunden zu haben als am Djent.

Kurzum: autsch. Eine solche Abkehr von den vorherigen typischen Merkmalen kann gewaltig schief gehen, denn a) muss die Band eine solche Abwendung handwerklich gut hinbekommen und b) müssen sie auf aufgeschlossene Fans hoffen, die nach dem instrumentalen Intro „Monochrome (Passive)“ noch nicht enttäuscht die CD stoppen. Gewiss werden sie das aber nicht tun, da THE CONTORTIONIST a) gelingt.

Es folgen acht weitere Songs, die sich dank einer hohen Eingängigkeit in die Gehörgänge fressen. Zuträglich hierfür sind außerdem die wenig komplexen, sondern klaren Strukturen, die nicht mit komplizierten Wendungen auf sich aufmerksam machen, sondern mit Atmosphäre. Und genau diese ist Fluch und Segen zugleich auf „Claivoyant“.

Natürlich lassen sich die neun Tracks gut in Dauerrotation laufen, schließlich packt ihre verspielte sanftmütige Art mit dem zarten Säuseln von Sänger Michael Lessard jeden Hörer in eine butterweiche Wolke des Wohlfühlseins. Rein gar nichts kann man an Tracks wie das großartig einfühlsame „Reimagined“ oder das smoothe „Relapse“ aussetzen, außer, dass sie zu schnell enden. Der Sound klingt dabei durchweg sehr organisch, dicht und druckvoll, komplett aus einem Fluss. THE CONTORTIONIST scheinen eher einen 54 Minuten langen Song auf die Scheibe gepresst zu haben anstatt neun Songs, so homogen schmiegen sich die Tracks in ihren Übergängen ineinander an.

Diese durchweg gehaltene Atmosphäre offenbart aber auch, dass die Amerikaner offene Brüche und damit auch gewisse Kontraste nur minimal, beispielsweise in „Return To Earth“, einsetzen. Das ist insofern schade, weil sich THE CONTORTIONIST somit der Möglichkeit berauben, mehr von sich zu zeigen. Besonders Prog-Fans, die dem Trendauswuchs Djent offen gegenüberstehen, werden auf weiten Teilen von „Claivoyant“ etwas enttäuscht werden; zu ähnliche Motive, zu wenig Überraschungen. Versteht man allerdings, dass THE CONTORTIONIST genau das bezwecken wollten, kann ihre aktuelle Platte an sehr vielen Stellen einnehmend und verzaubernd sein.

Die Amerikaner machen somit wenig falsch, weil sie sich allerdings auch wenig trauen. Geht man ohne diesen Anspruch an „Claivoyant“ heran und verzeiht den jungen Herren die stellenweise zu lang ausgestalteten Motive, können THE CONTORTIONIST dennoch lange im Ohr bleiben.

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Wertung: 7.5 / 10

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