Interview mit Neige von Alcest

ALCEST laden mit „Souvenirs d’un Autre Monde“ zum Träumen ein. Die Black Metal-Wurzeln sind komplett gewichen und machen emotionalen und besinnlichen Klängen Platz. Neige spricht mit uns über den Stilwechsel und das Album.

Gehen wir in medias res: Der musikalische Umschwung, den ihr gemacht habt, ist heftig. Woher kommt das?
Als ich 2001 die erste Alcest-Demo veröffentlichte, auf welcher traditioneller Black Metal dargeboten wird, war ich nicht mehr sehr begeistert von der Aussicht, mit Alcest diesem Stil nachzugehen. Ich wollte ein persönliches Projekt, mit dem ich Musik ohne stilistische Grenzen erschaffen kann. Das „neue“ Alcest ist nicht einfach eine „Metal-Band“. Erstmal ist es Musik und ein Konzept. Das Letztere handelt von Kontakten mit einer fremden Welt. Ich verstehe, wenn das verrückt klingt, aber es ist die einzige Schlussfolgerung, die ich aus den unglaublichen Sachen, die ich sah, ziehen kann. Dieses Universum, welches an der Wurzel von Alcest liegt, war in mir immer präsent, ich entschied mich aber erst 2001 bei der MCD „Le Secret“, es auch zu nutzen. Seit diesem Umschwung sind all meine Texte, meine Grafiken und meine Melodien mit diesem Konzept vernetzt. Alcest ist einfach das daraus resultierende, musikalische Ergebnis; nicht mehr, nicht weniger. Ich kann nicht sagen, ob diese Erfahrungen Erinnerungen aus einem vorherigen Leben oder Fähigkeiten, die aus der Kindheit stammen, mit welchen man Türen zu Paralleldimensionen, zu verborgenen Wirklichkeiten, aufstoßen kann, sind. Hoffentlich können diese Fragen eines Tages beantwortet werden.

Meine Vermutung war ja, dass du bei Amesoeurs in Sachen Black Metal durchaus ausgelastet bist; spielte dieser Gedanke vielleicht auch eine Rolle?
Nicht ganz; ich bin Black Metal nicht leid und ich fühle immer noch das Bedürfnis, Black Metal zu spielen. Mit Alcest wollte ich aber einfach ein Universum entwickeln, was mein inneres Ich widerspiegelt. Dass das aber nichts mit Black Metal zu tun hat, liegt nicht an meinem Desinteresse dem Black Metal gegenüber.

Zudem gibt es ja auch genügen französische Black Metal-Bands, oder?
In Sachen Black Metal ist es wahr, dass Frankreich dies seit Jahren unter Beweis stellt. Viele der Black Metal-Bands, die ich zurzeit höre, stammen aus Frankreich.

Wie fielen die bisherigen Reaktionen aus, gab es vielleicht auch überraschte, befreundete Bands?
Ich bekam nicht viele Reaktionen zu hören, aber ich weiß, dass meine Freunde es mögen. Ich hoffe, dass die Musik ihren Erwartungen am Ende gerecht wird. Sie wissen, was Alcest für mich bedeutet und wie viel Arbeit ich in das Album gesteckt habe.

Nun vernahm ich bisher positive Meinungen, aber auch Aussagen, die meinen, Alcest ähnelt nun Woods of Infinity… Sind dir diese ein Begriff und was hälst du von dem Vergleich?
Ich hörte mir Woods of Infinity bisher nicht an, aber ich habe vor, das nachzuholen.

Prophecy schreibt, dass dein musikalisches Konzept revolutionär ist, was denkst du über solche Ankündigungen und trifft das in diesem Fall zu?
Ich denke, dass solch ein Konzept bisher von keiner Band genutzt worden ist, und falls doch, dann nicht in dieser Art. Ich habe einen starken Glauben an diese „andere Welt“, all dies ist mir sehr ernst. Ich arbeitete sehr hart, um Musik zu kreieren, der Ehrerweisung gezollt werden würde. Eines Tages beeinflusst meine Musik vielleicht jemanden, der genauso fühlt wie ich; wer weiß? Wir könnten unser Wissen durch das Einzelne komplettieren (Red: Er meint wohl so was wie, dass man das Ganze über das Einzelne Stück für Stück erfassen kann).

Außerdem scheint ein Vergleich mit Burzum einladend gewesen zu sein, kann man die neue Route von Alcest beispielsweise mit „Filosofem“ ernsthaft in Verbindung setzen?
Um ehrlich zu sein gibt es keine Verbindung zwischen Alcest und Burzum, aber falls jemals eine Black Metal-Band meinem Projekt nahe stand, dann Burzum (zusammen mit Drudkh, welche ich sehr schätze). Burzum war zweifellos eine der ersten Bands, die ihren Riffs Melancholie implizierte, außerdem eine der ersten Gruppen, welche die Hörer durch lange Stücke und Melodien wandeln liess, die auf verschiedene Bilder hinwiesen.

Noch etwas zu Prophecy: Das Label nahm Alcest ja wahrscheinlich als Black Metal unter Vertrag und nun dieser Wandel. Wie reagierten sie, dort sind ja durchaus auch andere, „extravagante“ Projekte beheimatet?
Prophecy haben Alcest nicht als Black Metal-Band gesigned, da sie nur einen Vertrag für „Souvenirs…“ anboten. Meine ersten Scheiben wurden über Drakkar Records veröffentlicht. Aus ästhetischer Sicht fühle ich mich bei Prophecy dennoch sehr wohl. Alcest passt sehr gut zu ihrem musikalischen Katalog.

Audrey singt in einem Lied sogar mit, „Sur LÀutre Rive Je T’Attendrai“ müsste es sein. Das erinnert natürlich stark an Amesoeurs, warum fand das Stück aber einen Platz bei Alcest?
Das Stück hat keinerlei Verbindung mit Amesoeurs! Musikalisch gesehen und vom Konzept her sind diese beiden Bands komplett verschieden.

Deinen Krächzgesang kennt man ja, nun lernt man auch einen sanften, glockenklaren Gesang bei dir kennen, was überraschend ist, oder? Ich meine, wie geht das, das ist ja ein enormes Spektrum?
Ja, ich kann nachvollziehen, dass die exklusive Nutzung des Gesanges überraschen kann, aber mal ehrlich, kannst du dir stattdessen Gekreische vorstellen? (Anm.: Das muss ich dann doch verneinen – Red.) Es wäre einfach lächerlich und unpassend. Diese klare und ätherische Stimme passt hervorragend zu meinen Gitarrenriffs. Ich wollte, dass es so klingt, als würde man im Traum eine weit entfernte, elfengleiche Stimme vernehmen.

Tir Nan Og ist ja ein mystischer und verklärter Ort, so klingt auch das Lied dazu. Was verbindet dich mit diesem Ort?
In der keltischen Mythologie ist Tir Nan Og eine bezaubernde Insel, das Land der ewigen Jugend und des Überflusses; eine Art Paradies mit einer grünenden Natur, welche von elfengleichen Wesen bewohnt wird. Diese Beschreibung von Tir Nan Og klingt dem Königreich sehr ähnlich, von dem ich einen kurzen Eindruck in meinen Visionen trage. Zwischen Alcest und Tir Nan Og gibt es tatsächlich spezielle Zusammenhänge.

Das Cover ist sehr frühlingshaft, wie ich finde. Sowas wirkt immer wie ein Aufbruch, oder?
Knüpft das vielleicht sogar an „Souvenirs d’un Autre Monde“ an, so was wie ein Aufbruch zu neuen musikalischen Perspektiven?
Das Cover ist in der Tat sehr frühlingshaft. Da ist vieles an Reinheit, an Leben und an erstaunlichen, smaragdfarbenen Grüntönen auf dem Bild enthalten, was mich an Alcests Reich erinnert. Symbolisiert dies eine Art Aufbruch? – Ich weiß es nicht, ich habe darüber bisher nicht nachgedacht. Von der Ausstrahlung her breitet sich Alcests Musik aus, öffnet sich und könnte in der Tat einen Aufbruch symbolisieren.

Das Mädchen hingegen strahlt eine kindliche Unbefangenheit aus, gibt sich aber zugleich nachdenklich. Ist so auch die Musik von Alcest? Also nun unbefangen, ohne wirkliche Sorgen, aber doch nicht naiv?
Wie du schon bemerkt hast, ist das Mädchen nachdenklich und von der Realität quasi abgeschnitten. Sie denkt, sie spielt Musik mit einem Stück Stroh; sie ist in ihrer eigenen Welt und nicht besorgt, was um sie herum passiert. Ich fühle mich diesem Charakter sehr verbunden. Das Cover könnte außerdem repräsentieren, wie ich Alcests Reich wahrnehme und jeden Tag mit meinen Erinnerungen lebe.

Wenn schon das Bild eines Mädchens auf dem Cover ist; was hälst denn so von Kindern eigentlich?
Einige sind entzückend aber andere wiederum können wirklich kleine Quälgeister sein! Ich mag ihre Natürlichkeit und dass man mit Kindern auf alles vorbereitet sein muss. Es ist verwunderlich, dass einige Erwachsene erschreckt oder gestört durch die Spontaneität der Kinder sind. Das bringt mich zum Lachen.

Ist eine weitere Fortentwicklung in musikalischer Hinsicht möglich? Und falls ja, wohin könnte es gehen?
Ich denke nicht, dass Alcest sich noch viel ändern wird. Es mag ein paar Variationen geben wie die Anzahl an durchtränkten Gitarren zum Beispiel, aber im Ganzen habe ich durch „Le Secret“ und „Souvenirs d’un autre monde“ Ausdruckswege gefunden, die zu mir passen. Falls ein wirklicher Stilwechsel folgen sollte, dann denke ich, würde Alcest epische und akustische Musik spielen, die mit keltischen Melodien verfeinert ist wie in „Tir Nan Og“. Derzeit ist da aber nichts geplant.

Was hälst du von Yann Tiersen?
Ich entdeckte seine Musik, als der Film « Le fabuleux destin d’Amélie Poulain » (a.k.a « Amélie Poulain ») veröffentlicht worden ist und sie begeisterte mich vom ersten Hören an. Ich kaufte sofort seine Alben. Die ersten drei Alben „La Valse Des Monstres“, „Rue Des Cascades“ und „Le Phare“ sind voller Genialität. Musikalisch gesehen fühle ich mich diesem Musiker sehr verbunden. Wenn ich mit wem verglichen werden sollte, dann würde ich mich eher mit ihm vergleichen als mit all diesen Shoegaze- oder den Post-Rock-Bands, welche gar nicht mit meinem Universum verknüpft sind. Ich habe nicht auf Slowdive oder auf My Bloody Valentine gewartet, um „Souvenirs d’un autre monde“ zu komponieren und aufzunehmen, weil ich diese Gruppen gar nicht kannte.

Viele BM-Projekte sind ja Solo-Projekte, wie stehst du zu solchen Dingen und würdest du sagen, dass da vielerorts einfach die Qualität fehlt?
Wenn man von Burzum und Bathory absieht, ist es wahr, dass viele Soloprojekte mittelmäßig sind. Viele nutzen einen Drumcomputer, welcher in meinen Augen genau das Gegenteil des organischen Aspekts im Black Metal ist.

Dann bedanke ich mich für die Antworten, Neige!
Ich danke dir!

Geschrieben am von Metal1.info

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