Konzertbericht: Alcest w/ Vampillia

29.09.2018 München, Strom

Zwei Jahre ist „Kodama“, das letzte Album der Shoegaze-/Post-Black-Metaller ALCEST nun alt. Das hindert die Franzosen jedoch nicht daran, dem Album noch einmal im Rahmen einer kleinen Tour Beachtung zu schenken: Für drei Termine macht die „Full Kodama European Tour 2018“ auch in Deutschland halt. Mit dabei sind – passend zum japanisch geprägten Albumkonzept von „Kodama“ die Japaner von VAMPILLIA: Extremer Metal findet hier zu Klassik – in einer Art und Weise kombiniert, wie es nur in der japanischen Musikkultur möglich erscheint.

Das muss/kann/darf heute auch das Münchner Publikum erleben, das zum Konzertbeginn von VAMPILLIA um 20:30 Uhr schon in großer Zahl im Strom steht: Beginnt die Show mit Geige, Gitarre und Piano zunächst ruhig, fast sinnlich, nehmen die sieben Musiker die Zuhörerschaft im Folgenden mit auf einen komplett skurrilen Trip: Zwischen andächtige Post-Rock-Passagen knallen VAMPILLIA grindcorehafte Ausbrüche musikalischer Gewalt, lassen vertrackte Rhythmen und verspielte Melodien erklingen oder verwirren das Publikum durch eine rundum irre Performance: Fronter メイヘム, der sich schon zu Beginn seinen Weg auf die Bühne durchs Publikum gebahnt hatte, irritiert durch den steten Wechsel aus verschmitztem Grinsen und Aggressionsausbrüchen, in denen er sich das Mikrophon an den Kopf oder die Faust an den Kiefer drischt, balanciert, einen Fuß auf der Schulter eines Fans in der ersten Reihe, direkt über dem Publikum oder holt – sein persönlicher „Finishing Move“ in Sachen Bühnenpräsenz – eine Leiter aus dem Backstage-Bereich, die er mitten ins Publikum stellt, erklimmt und von dort oben weitersingt.

Als sich zum letzten Song noch der Bassist das Hemd vom Leib reist, einen Mülleimer im Publikum aufstellt und nach mehreren Überschlägen kopfüber darin landet, ist eigentlich alles gesagt: VAMPILLIA sind die aus Japan bereits aus diversen popkulturellen Richtungen bekannte, völlige Überzeichnung aller bisher dagewesener Extreme. Das gilt für die auf höchstem Niveau dargebotene, vollkommen verrückte Musik der Band ebenso wie in Sachen Show. Die Sympathien des Münchner Publikums sind VAMPILLIA damit jedenfalls gewiss.

  1. Fenghuang
  2. Some Nightmares Take You Aurora Rainbow Darkness
  3. Fedor
  4. Lost
  5. NIJI
  6. Fuck You
  7. Holy Shit, Mother Fucker
  8. New Song
  9. von
  10. Winter Ash
  11. ggggzzgggzzz
  12. Endless Summer
  13. Big Murder Mountain

Der Kontrast zur Hauptband könnte, nach dieser irrwitzigen Darbietung, entsprechend kaum größer sein, als die bekanntermaßen extrem ruhigen ALCEST um den doch eher introvertierten Bandkopf Neige die Bühne betreten. Nach all dem Wahnsinn scheint sich das Publikum – bei aller Begeisterung für Vampillia – genau danach gesehnt zu haben: Bereits zu den ersten Klängen von „Kodama“, das heute noch einmal voll im Fokus stehen soll, werden ALCEST mit warmem Applaus überschüttet. Völlig zu Recht: Von einer stimmungsvollen Lichtshow gelungen untermalt, zeigt die musikalisch nichts weniger als mitreißende Darbietung der sechs in Albumreihenfolge druchgespielten „Kodama“-Songs all die Stärken des 2016er-Albums auf: die perfektionierte Melancholie, die im Vergleich zu „Shelter“ wieder vermehrt auftretenden rauen Metal-Passagen, die goldenen Melodien.

Nach den schlichtweg perfekten 45 Minuten, die ALCEST mit „Kodama“ gefüllt hatten, ist jedoch lange noch nicht Schluss. Satte weitere 45 Minuten füllen Neige und Konsorten mit einer Best-Of-Setlist, die keine Wünsche offen lässt: Angefangen mit „Souvenirs D’un Autre Monde“ vom gleichnamigen Debüt (2007) über den Über-Hit „Percées De Lumière“ („Écailles De Lune“, 2010) und die beiden unverzichtbaren „Les Voyages De L’âme“-Nummern „Autre Temps“ und „Là Où Naissent Les Couleurs Nouvelles“ (2012) bis hin zu „Deliverance“ von „Shelter“ (2014) sind hier die Meisterwerke von jedem einzelnen ALCEST-Album in einem Set gebündelt.

  1. Kodama
  2. Eclosion
  3. Je Suis D’Ailleurs
  4. Untouched
  5. Oiseaux De Proie
  6. Onyx
  7. Souvenirs D’un Autre Monde
  8. Percées De Lumière
  9. Autre Temps
  10. Sur L’océan Couleur De Fer
  11. Là Où Naissent Les Couleurs Nouvelles
  12. Délivrance

Als ALCEST sich nach stolzen 90 Minuten und dem großartigen „Deliverance“ herzlich von den Fans verabschieden, stellt sich diesen nur eine Frage: Wie ist es möglich, die filigrane Erinnerung an diesen wundervollen Konzertabend durch den akuten Wiesn-Wahnsinn in Münchens Nachverkehrsmitteln unbeschadet nach Hause zu bringen? Die wohl einzige Möglichkeit mag wohl lauten: Mit einem Abendspaziergang, über Schleichwege, per pedes.

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2 Kommentare zu “Alcest w/ Vampillia

  1. Kleine Erzänzung: Nach „Autre Temps“ haben sie noch „Sur L’Océan Couleur De Fer“ gespielt. Ansonsten netter Bericht zu einem sehr schönen Konzert.

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