September 2016

Review Alcest – Kodama

Erst zwei Jahre ist es her, dass ALCEST-Vordenker Neige seinen Entschluss, sich mit „Shelter“ vom Metal zu verabschieden und auf verträumten Shoegaze umzuschwenken, mit einer klaren Aussage begründete: Ich hatte schon lange beschlossen, aufzuhören, Metal zu machen. Schon bei den Aufnahmen zu ‚Les Voyages De L’âme‚ war ich dieser ganzen Metal-Sache wirklich überdrüssig.Ob er sich vorstellen könne, eines Tages wieder Metal zu machen? „Mit ALCEST sicher nicht, nein.“
[Lies hier das gesamte Interview]

Umso erstaunter dürfte mancher Fan gewesen sein, als unlängst mit „Oiseaux De Proie“ erstes neues Material vom Nachfolger-Album veröffentlicht wurde: Verzerrte Gitarren, echte Riffs und sogar Screams ließen Neiges klare Absage an die Metal-Fans zumindest ins Wanken geraten. Eine überraschende Wendung? Ja. Eine Kehrtwende? Nein.

Zwar beginnt auch der das Album eröffnende Titeltrack schon härter als so ziemlich alles, was „Shelter“ zu bieten hatte – schnell jedoch zeigt sich, dass der Geist von „Shelter“ in dem neuen Material weiterlebt: Wabernde Zerr- und flirrende Clean-Gitarren treffen auf Neiges unverkennbaren Klargesang, zu vergleichsweise harten Akkorden gesellen sich zarte Chöre, crunchige Gitarren pluckern post-rockig vor sich hin und auch der als Break vor dem intensiven Finale konzipierte Cleanteil könnte „Shelter“iger kaum sein.

Gleiches gilt für das Hauptmotiv des folgenden „Eclosion“ – eine herzerwärmende Melodie – wenn das Stück auch insgesamt deutlich härter ausfällt: Sogar die Doublebass darf Winterhalter hier mal wieder auspacken. Und ja, es wird auch gescreamt. Von einer Rückkehr zum Stil der Frühwerke zu sprechen, ginge zu weit – dass ALCEST hier jedoch tief in die eingestaubte Metal-Trickkiste greifen, ist kaum zu leugnen. Noch deutlicher wird das im folgenden „Je Suis D’Ailleurs“: Fast ausschließlich mit Zerrgitarren instrumentiert, sorgen zwar dezente Clean-Akzente wie Neiges über allem schwebender, oft textloser Gesang für eine zusätzliche Dimension – mit etwas gutem Willen ließe sich das Stück jedoch tatsächlich auch „Les Voyages De L’âme“ zuordnen.

Trotzdem sind ALCEST nicht mehr die Band von früher. Das zeigt sich in Stücken wie dem ruhigen „Untouched“, das prima ohne metallene Härte auskommt, genauso wie in den harten Nummern: So sehr es im bereits erwähnten „Oiseaux De Proie“ auch zur Sache geht, trieft der Song doch nur so vor Post-Rock-Elementen, die den Metal-Parts eine ganz neue Tiefe verleihen.

In der Tat: Verglichen mit „Shelter“ ist „Kodama“ wieder deutlich härter ausgefallen. Von einer „Rückkehr zum Metal“ zu sprechen, wäre dennoch zu oberflächlich, sind die Franzosen auch 2016 dem Post-Rock weitaus näher als irgendeiner Form von Metal. Dass ALCEST wieder vermehrt verzerrte Gitarren verwenden und ihrer Musik so wieder etwas mehr Härte verleihen, mag jedoch dem einen oder anderen eingefleischten Metal-Fan helfen, sich mit dem Material anzufreunden – und darüber vielleicht sogar Zugang zum grandiosen Vorgänger zu finden, ohne den „Kodama“ so nie möglich gewesen wäre.

Wertung: 8.5 / 10

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Ein Kommentar zu “Alcest – Kodama

  1. Hmm, ich bin da noch etwas ambivalent gestimmt, aber ich fand ja auch den Vorgänger schon nicht mehr so supergeil; die post-metallischen Passagen wie in „Eclosion“ finde ich sehr gut, ansonsten fehlt mir der Hit, der Song, der heraussticht. Gerne hätten sie eine Ballade wie Voix Sereines raushauen können oder irgendwas anderes, was sich etwas abhebt. Insgesamt ist mir die Platte zu eindimensional, auch wenn sicher Qualität vorhanden ist. Eher so Richtung 7 ;)

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