Interview mit Sebastian Ramstedt von In Aphelion

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Mit einer erfolgreichen Band wie Necrophobic wären viele Musiker vollends zufrieden – und ausgelastet. Nicht so Sebastian Ramstedt: Während der Pandemie gründete er mit IN APHELION ein neues, nicht minder hörenswertes Projekt. Im Interview berichtet der umtriebige Schwede, worin für ihn der Reiz an diesem Projekt liegt, warum er auch hier mit seinem Necrophobic-Kollegen Johan Bergebäck zusammenarbeiten „musste“ und warum er eigentlich gar keinen Black Metal hört.

Wie läuft es derzeit mit Corona in Schweden?
Es ist sozusagen gestorben, als Russland beschlossen hat, das zu tun, was sie jetzt tun. Es redet sowieso niemand mehr darüber. Ich war zweimal krank, aber nie wirklich schlimm.

Ihr musstet viele Festivalauftritte und Touren mit Necrophobic absagen – bekommen Künstler in Schweden finanzielle Unterstützung vom Staat, um das zu kompensieren?
Wenn wir in den Jahren davor ein regelmäßiges Einkommen [durch die Band] gehabt hätten, wäre es wohl möglich gewesen. Aber für uns, die wir sozusagen von der Hand in den Mund leben, war kein Geld zu bekommen. Man muss eine ziemlich gute Organisation um seine Band herum haben und ist wahrscheinlich auf die Einnahmen angewiesen, um etwas zu bekommen. Aber wir haben alle noch Alltagsjobs, also war es für uns kein Problem. Aber ich kenne Freunde in der Band, die ein paar Level über uns ist, und die eine Entschädigung bekommen haben.

In Aphelion - MoribundOffensichtlich hast du die Corona-Zeit sehr produktiv verbracht – 2020 hast du das Projekt IN APHELION gestartet. War das eine direkte Konsequenz aus der Pandemie und den abgesagten Shows, oder hattest du diesen Plan schon lange?
Ich wollte das schon lange machen, aber es war nie Zeit dafür. Oder ich wollte schon lange etwas machen. Nicht genau das. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich auf einmal viel Freizeit habe und dass ich meine Energie in etwas stecken muss, damit ich nicht depressiv werde. Und als ich anfing, daran zu arbeiten, gab es kein Halten mehr. Es war, als würde sich ein Schleusentor öffnen. So habe ich fast ein Jahr lang ununterbrochen geschrieben. Zuerst hatte ich auch nicht die Absicht, das Material zu veröffentlichen. Aber nach einer Weile habe ich das Potenzial in den Liedern gesehen und dachte, ich probiere es mal aus und schaue, ob irgendwelche Labels daran interessiert sind. Aber der Prozess des Musikschreibens ohne kommerzielle Ziele im Hinterkopf war fantastisch. Genau so, wie ich es in meiner Jugend, vor den Plattenverträgen gemacht habe. Die eigenen Visionen werden nicht durch Budgets oder Strategien eingeschränkt, was zur Abwechslung mal ganz nett war. Als Johan ins Spiel kam, fingen wir an, wie eine Band daran zu arbeiten und sprachen haben die Songs mit ganz neuen Augen betrachtet. Johan steuerte den Titeltrack bei und vervollständigte das Ganze mit seinem Talent. Am Ende hatten wir 70 Minuten Musik und dazu mehrere Videoclips und das Artwork.

Stilistisch ist IN APHELION anders, aber nicht völlig anders als Necrophobic. Was war deine Motivation, dieses Projekt neben deiner Hauptband zu gründen – insbesondere mit Johan, mit dem du bereits in Necrophobic zusammenspielst?
Ich habe meine charakteristischen Melodien und meinen Solostil. Man merkt also natürlich, dass ich es bin, der die Songs geschrieben hat. Diesbezüglich kann ich mir selbst nicht entkommen. Aber für mich ist es ganz anders als Necrophobic. Von der Atmosphäre her hätte hätten wir einiges wahrscheinlich auch für Necrophobic verwenden können, aber die Rhythmen, das Tempo, das Arrangement und die progressiven Teile hätten nicht zu Necrophobic gepasst. Wenn du Necrophobic analysierst, stellst du fest, dass 90 Prozent der Songs 160 bpm, fast das gleiche Arrangement und die gleiche Tonart haben. Wir wollen das so. Aber IN APHELION ist völlig anders als das. Wir tauchen in ein anderes Gebiet von Riffs, Rhythmen und Harmonien ein. Es gibt auch mehr als „böse“ und „brutal“ bei IN APHELION. Ja, Necrophobic hat auch abwechslungsreiche Teile, aber nicht annähernd so viel wie das hier. Johan ist ein Teil von meinem oder „unserem“ Sound.  Wir arbeiten als Einheit. Mein Gitarrenspiel braucht seins, um gut zu klingen. Wir sind total unterschiedlich, aber zusammen klingen wir wie eine Einheit. Zuerst habe ich ohne ihn angefangen, aber ich habe bald gemerkt, dass es ohne ihn nicht geht! Als ich dann die ersten Songs mit seinen Gitarren hörte, war ich überwältigt. Es hat so viel gebracht, seinen Stil mit drin zu haben. Er fügt eine ungezügelte Energie hinzu, die ich selbst nicht erzeugen kann.

Wie würdest du IN APHELION von Necrophobic unterscheiden, was sind für dich die Hauptunterschiede?
Abgesehen von den oben genannten Punkten würde ich sagen, dass Necrophobic Blackened Death Metal ist und IN APHELION ist Heavy Metal mit Black-Metal-Einflüssen. Es gibt sehr wenig Death-Metal-Einflüsse in IN APHELION, aber eine Menge Black, Thrash und Heavy. Und ich denke, mein Gesang und der von Anders sind ziemlich unterschiedlich. Er ist ganz klar ein Death-Metal-Sänger, aber mein Gesang ist viel mehr Black Metal. Auch die lyrischen Themen sind anders. Weg mit den antichristlichen Themen, hin zu einer ernsteren, dunklen Poesie, die meine inneren Gedanken und meinen Aufruhr widerspiegelt. Ich würde sagen, dass die Texte von IN APHELION sehr viel persönlicher sind.

Wenn man mehrere Projekte hat, muss man sich immer irgendwann entscheiden, für welches man Songs schreibt. Ergibt sich das aus einer zeitlichen Trennung, das heißt, hast du in bestimmten Phasen speziell für IN APHELION geschrieben, oder hast du einen gemeinsamen Pool an Riffs, aus dem du dann die richtigen für IN APHELION herausgefischt hast?
Ich kann tatsächlich nicht für beide Bands gleichzeitig schreiben. Ich hatte in sehr kurzer Zeit das meiste von „Mark Of The Necrogram“ und „Dawn Of The Damned“ geschrieben und musste dann etwas anderes machen. Ein paar Mal kamen Riffs dabei heraus, die besser zu Necrophobic gepasst hätten, also habe ich sie für später aufgehoben. Aber mein Hauptaugenmerk lag darauf, genau das zu schreiben, was ich wollte, und nicht zu versuchen, dass es zu dieser oder jener Band passt. Ich hatte wirklich keine Ahnung, wie IN APHELION klingen würde, also gab es keine Regeln. Die Songs sind ungezähmt und ich wollte sie einfach fließen lassen, ohne an das Endprodukt zu denken.

Derzeit seid ihr als Trio aktiv – für eine Live-Umsetzung bräuchtet ihr also mindestens einen weiteren Musiker als Bassisten. Habt ihr den Plan, die Band zu erweitern – vielleicht mit nur einem Session-Mitglied – und IN APHELION auf die Bühne zu bringen?
Wir werden das auf die Bühnen bringen. Es wird bald große Neuigkeiten geben! Wir sind deswegen wirklich aufgeregt. Wir werden Dennis Holm von der Band Avslut als Session-Mitglied engagieren. Zu diesem Zeitpunkt haben wir noch nicht über ein komplettes Lineup gesprochen. Aber wir werden sehen, was passieren wird. Aber 2022 wird definitiv das Jahr sein, in dem wir mit IN APHELION auf Tour gehen werden.

In Aphelion - Luciferian AgeEnde 2021 habt ihr eure erste EP, „Luciferian Age“, veröffentlicht. Warum wolltet ihr euch der Welt mit einer EP vorstellen, anstatt gleich alle Zeit und Mühe in ein Album zu stecken?
Weil das früher alle Bands so gemacht haben. Zuerst hat man eine Maxi-Single mit ein paar Tracks aus dem Album und ein paar exklusiven Tracks veröffentlicht. Dann kam die Langspielplatte und die nächste EP oder 7″. Ich wollte diesen Ablauf nachbilden. Das weckt Erwartungen, und für diejenigen, die physische Veröffentlichungen sammeln, ist es eine coole Sache. Für den Rest, der nur Spotify hört, macht es wahrscheinlich keinen Unterschied, aber ich bin da „old school“.

Ihr covert „Pleasure To Kill“ von Kreator – warum dieser Song, was verbindest du mit diesem Stück und mit deutschem Thrash im Allgemeinen? Immerhin ist auf dem aktuellen Necrophobic-Album ja auch ein Feature von Schmier von Destruction
Ich liebe deutschen Thrash. Das ist es, was mich in die extreme Metalszene gebracht hat. Ich ziehe Destruction, Kreator und Sodom den amerikanischen Big 4 vor. Ich wollte schon immer „Pleasure To Kill“ geradebiegen. Es ist ein fantastischer Song, aber wenn man ihn analysiert, ist er irgendwie schwer verdaulich. Ventor, Mille und Rob scheinen fast verschiedene Songs zu spielen. Als Kreator besser spielen konnten, haben sie eine viel kontrolliertere Version des Songs gemacht, aber die Aggression war weg. Wir wollten sehen, ob wir eine straffe Version machen können, ohne die Wut und die Aggression zu verlieren. Ich denke, unsere Version fängt das Beste aus zwei Welten ein, auch wenn wir natürlich nicht an das Original herankommen. Das kann niemand übertreffen.

Zwei der EP-Songs sind nun auch auf eurem Debüt „Moribund“ enthalten – warum habt ihr euch aber gegen „Wrath Of A False God“ entschieden?
Weil Johan das Anfangsriff nicht mochte! (lacht) Es ist wahrscheinlich eines meiner und Marcos Lieblingsstücke, aber Johan mag es nicht so sehr. Also haben wir beschlossen, einen Killersong exklusiv auf die EP zu packen. Kein Filler, sondern einer der Songs, die wir am meisten mögen. Wenn jemand sein Geld für eine EP ausgibt, die viele Songs des Albums enthält, müssen wir ihm etwas Besonderes bieten. Ich denke, der Kreator-Song und „Wrath Of A False God“ sind ein guter Grund, die EP zu kaufen.

Koldbrann Moribund Album Cover2006 hatten eure norwegischen Kollegen von Koldbrann bereits ein Album mit dem Titel „Moribund“ veröffentlicht. Wusstet ihr davon? Warum habt ihr euch für diesen Titel entschieden?
Nein, ich höre fast nie Black Metal. Schon gar nicht ab der zweiten Generation und aufwärts. Ich höre Bathory, Venom und ein paar andere Bands, aber ich verfolge die Szene nicht. Und selbst wenn wir es gewusst hätten, hätten wir es trotzdem so gemacht. Es ist nur ein Wort. Man kann ein Album natürlich nicht „The Number Of The Beast“ nennen, aber man kann nicht aufhören, Wörter zu benutzen, nur weil eine Band sie benutzt hat. Und es ist ein verdammt guter Titel. Ich gratuliere Koldbrann für die Wahl eines solch epischen Titels. Außerdem habe ich die Jungs schon ein paar Mal getroffen … Ich meine, wir hatten vor mehr als zehn Jahren eine wilde Party in Norwegen auf dem Hole In The Sky Festival. Wir teilen außerdem die gleiche Vorliebe für osteuropäischen Metal und ich habe ihre Single mit dem Bombardier-Cover bekommen! Tolles Zeug. Sie sind wirklich cool! Aber ich habe mich nie näher mit ihnen beschäftigt. Vielleicht sollte ich das tun! Wir könnten eine „Moribund-Tour“ machen! (lacht)

Ist „Moribund“ nur ein Titel, oder steckt dahinter auch ein Konzept, das sich auf die Texte bezieht? Worum geht es in euren Texten und wie wichtig sind sie für euch als Teil eurer Kunst? Eher als Beiwerk oder als ebenso wichtiger Teil der Songs wie die Musik selbst?
Die Texte sind bei IN APHELION wirklich wichtig. Sie sind keinesfalls nur Worte, um die Songs zu füllen. Ich beginne immer mit etwas, das ich sagen möchte. Das kann Wut, Schmerz oder einfach philosophische Themen sein. Aber es ist immer etwas, von dem ich das Gefühl habe, dass ich es sagen muss. Ein sehr guter Freund hat einmal gesagt: „Wenn du die Möglichkeit hast, einen Text zu schreiben, den die Welt hören kann, dann solltest du die Chance nutzen, um dich zu äußern!“ Daran denke ich immer. Dies ist meine Chance, mir Gehör zu verschaffen. Besser, ich verschwende sie nicht mit schwachsinnigen Texten! Dann verwende ich einen Mythos oder ein Thema, das meine Gedanken an den Hörer vermitteln kann. Es gibt immer eine doppelte Bedeutung in den Texten: Oft ein ganz bodenständiges und persönliches Thema und etwas, das zum Konzept und Gefühl des Songs passt.

Vielen Dank für deine Zeit! Zum Schluss noch unser Brainstorming:
Das letzte Album, das du dir angehört hast:
Ozzy Osbourne – Ultimate Sin
Ukraine:
Tragödie
Ein Essen, das dich immer glücklich macht:
Lasagne
Sabaton:
Interessiert mich nicht.
IN APHELION in zehn Jahren:
Hoffentlich immer noch lebendig und munter!

Nochmals vielen Dank für deine Zeit. Die letzten Worte gehören dir:
Bleibt ruhig und hört Metal! Oder macht einen verdammten Aufstand. Beides ist gut!

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2 Kommentare zu “In Aphelion

  1. Hört sich wie ein Fragenkatalog an. Sebastian hat viel gesagt, bei dem man nachhaken hätte können. Schade für die vergeudete Gelegenheit. gewöhnt euch mal an, Gespräche zu führen. So nannte man das früher.

    1. Da musst du gar nicht so mutig mutmaßen – schließlich schreiben wir (als soweit ich weiß einziges Metal-Magazin) unter jedes Interview explizit drunter, in welcher Form (F2F, Telefon, Mail) ein Interview geführt wurde. Ansonsten danke für den guten Tipp mit dem Gespräche führen… wenn du das jetzt bitte noch allen Bands, die wir gerne interviewen möchten, auch noch mitteilen würdest, damit diese das dann auch einsehen? Danke. Ansonsten sei dir an dieser Stelle erklärt, dass viele Bands eben präferiert oder ausschließlich schriftliche Interviews geben (was übrigens keineswegs neu oder ungewöhnlich wäre), und wir uns als Redaktion entsprechend danach richten müssen. Nachdem Sebastian die Fragen im konkreten Fall aber ja, wie von dir schon festgestellt, sehr offen und ausschweifend beantwortet hat, hoffe ich, dass dir das Interview trotzdem etwas Erkenntnisgewinn gebracht hat.

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