Interview mit Sotiris V. von Septicflesh

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Mit dem „Modern Primitive“ haben SEPTICFLESH gleichermaßen Erwartungen erfüllt wie enttäuscht. Warum man als Fan vielleicht zu voreingenommen an das Album herangeht, worauf die Griechen bei der Komposition besonderen Wert gelegt haben und inwiefern die Pandemie den Enstehungsprozess beeinflusst hat, erklärt Gitarrist Sotiris V. im Interview.

SEPTICFLESH 2022; © Stella Mouzi
SEPTICFLESH 2022; © Stella Mouzi

Seit „Communion“ (2008) lagen immer ziemlich genau drei Jahre zwischen euren Alben – dieses Mal waren es fünf. War die Pandemie schuld daran, oder was war der Grund?
Ja, die Pandemie war der Hauptgrund. Irgendwann mussten wir mit den Aufnahmen pausieren. Es war gelinde gesagt eine seltsame Situation. Viele Leute waren an den Aufnahmen beteiligt und das in vier verschiedenen Ländern: Griechenland, Österreich, Tschechische Republik und Schweden. Du kannst dir das Chaos vorstellen, das durch die verschiedenen Vorschriften und die Quarantänephasen der einzelnen Länder entstanden ist. Lange konnte nicht einmal ich von Patras, wo ich wohne, nach Athen fahren, wo sich das Hauptaufnahmestudio für die Metal-Elemente von SEPTICFLESH befand. Als wir endlich das Material für das Album fertig hatten, mussten wir sorgfältig planen und dabei auch die langen Vorlaufzeiten berücksichtigen, die für die Herstellung des Endprodukts benötigt wurden, vor allem für die Vinyls. Da die Pandemie eine andauernde Situation ist, hat sie alle Bereiche betroffen. Zum jetzigen Zeitpunkt hat sich die Situation im Vergleich zum Vorjahr zwar deutlich verbessert, aber es ist definitiv noch keine vollständige Rückkehr zur Normalität.

Septicflesh - Modern PrimitiveGanz allgemein: Wie liefen die Aufnahmen zu „Modern Primitive“?
Wie gesagt, es war eine schwierige Situation. Wir mussten uns sehr in Geduld üben. Aber wir waren fest entschlossen, das beste Ergebnis zu erzielen, egal was passiert. Unsere Strategie bestand darin, uns auf die Aufnahmen vorzubereiten und sie dann mit so wenig Einschränkungen wie möglich und zu den am besten geeigneten Zeitpunkten zu beginnen. Wann immer wir die Gelegenheit hatten, versuchten wir, so viel wie möglich fertig zu stellen und dabei die gewünschte Leistung zu erzielen.

Seit 2018 habt ihr einen dritten Gitarristen, Psychon. Hat sich das auch auf das Songwriting ausgewirkt, oder zumindest auf die Art und Weise, wie ihr Songs schreibt, im Hinblick auf die neuen Möglichkeiten der Umsetzung auf der Bühne?
Psychon hat nach all den Jahren, in denen er mit Septicflesh gespielt hat, die allgemeine musikalische Mentalität der Band verinnerlicht. Er hat auch seine eigene Herangehensweise an die Dinge, was sehr willkommen war. Bei diesem Album gaben wir ihm die schwierige Aufgabe, die passenden Metalelemente für den Song „Coming Storm“ zu finden, ausgehend von einem kompletten symphonischen Stück von Christos. Er hat einen großartigen Job gemacht, denn der spezielle Song hat sich als einer der Höhepunkte des Albums herausgestellt.

Wie haben sich die letzten zwei Jahre auf euch als Band, aber auch dich als Individuum ausgewirkt? Wart ihr kreativer oder eher gehemmt durch die Situation?
Am Anfang haben wir nur darauf gewartet, dass die Dinge besser werden. Nach einer Weile, als wir gemerkt haben, dass sich die Situation in nächster Zeit nicht ändern wird, haben wir versucht, unsere Zeit kreativer zu nutzen. Das wirkte sich auf den letzten Schliff von „Modern Primitive“ aus, da wir mehr Zeit hatten, um mit Details zu experimentieren. Außerdem hatten wir die Zeit, eine Menge Videoclips für die Albumpromotion vorzubereiten. Persönlich habe ich beschlossen, die freie Zeit zu nutzen, um 3-D-Animation zu lernen. Das war etwas, das mich schon immer gereizt hat. Jetzt, nach dieser Zeit der Ausbildung, kann ich auch andere Wege der Kreativität erkunden.

SEPTICFLESH gibt es nun seit 32 Jahren. Ich denke, man kann diese Zeit in drei Perioden unterteilen: Die frühen, avantgardistischen Death-Metal-Jahre mit einer konstanten Entwicklung bis „Sumerian Daemons“, die Wiedergeburt und Verfeinerung des Stils als Symphonic-Death-Metal ab „Communion“ – und sozusagen eine Phase der Beständigkeit, die ihr mit „Codex Omega“ eingeleitet habt: Ihr scheint den Stil, den ihr aktuell spielen wollt, gefunden und perfektioniert zu haben. Spätestens das neue Album zeigt für mich daher keine große „Entwicklung“ mehr. Wie stellt sich das aus deiner Sicht dar?
Wir waren immer aufgeschlossen und haben viele verschiedene musikalische Ansätze ausprobiert. In der ersten Phase waren wir ständig auf der Suche nach etwas, das unseren ganz eigenen Sound ausmachen würde. Und es gab einige radikale Unterschiede zwischen den Alben. Ich kann sagen, dass wir es mit „Sumerian Daemons“ geschafft haben, dem Sound, den wir gesucht haben, sehr nahe zu kommen. Aber die Dinge endeten abrupt. Als wir mit „Communion“ zurückkamen und unser symphonisches Element zum ersten Mal auf natürliche Weise einsetzten, hatten wir das Gefühl, dass es das war. Seither experimentieren wir zwar immer noch, aber wir haben eine solide Basis, unseren eigenen 100%igen SEPTICFLESH-Sound. Auf jeden Fall habe ich das Gefühl, dass jedes Album eine eigene Persönlichkeit hat. „Modern Primitive“ hat zum Beispiel einen anderen Vibe als „Codex Omega“, obwohl wir mit demselben Produzenten zusammengearbeitet haben, was dem Sound natürlich eine gewisse Ähnlichkeit verleiht. Aber im Vergleich zu unserer ersten Periode gibt es natürlich keine radikalen Soundveränderungen von Album zu Album mehr. Jetzt geht es eher darum, zu reifen, direktere Songs zu schreiben und gleichzeitig hier und da eine Menge kleiner technischer Details einzubauen. Es steckt eine Menge Feinarbeit in den Kompositionen. Im Moment zielen wir vor allem darauf ab, die gewünschten Emotionen zu erzeugen.

SEPTICFLESH 2022; © Stella Mouzi
SEPTICFLESH 2022; © Stella Mouzi

Das neue Album ist technisch perfekt, aber ich habe (bisher) kein wirkliches „Alleinstellungsmerkmal“ dieses Albums im Vergleich zu den letzten ein oder zwei Alben gefunden. Was ist aus deiner Sicht das Besondere an „Modern Primitive“, was hebt das Album von euren vorherigen ab – oder ist das gar nicht nötig?
Es ist das fokussierteste Album, das wir je gemacht haben und vielleicht auch das „soundtrackartigste“. Es fließt einfach von Song Nummer 1 zu Song Nummer 9 dahin. Es ist wie ein musikalisches Portal, das zu einem ganz bestimmten Ort führt. Man betritt seine Welt und bleibt bis zum Ende dort. Das Wichtigste ist, wie man sich fühlt, wenn man das Album hört, um das Erlebnis in vollen Zügen zu genießen. Wir haben eine Menge Leidenschaft und Energie in die Songs gesteckt. Aber natürlich ist das Empfinden eine persönliche Sache und am Ende des Tages muss der Hörer selbst entscheiden. Scheiß auf Verkaufsargumente! Hört euch „Modern Primitive“ einfach an und trefft eure eigenen Entscheidungen auf Basis eurer Gefühle!

Je komplexer die Musik ist, desto eher erwartet man als Hörer vielleicht ständig etwas Neues, wohingegen etwa Slayer einfach wie Slayer klingen durften. Siehst du darin eine Ungerechtigkeit, ist das eine falsche Erwartungshaltung?
Das Problem ist generell, dass man alles als logische Abfolge betrachtet. Ab einem bestimmten Punkt, wenn eine Band eine lange Albumhistorie hat, wird das, was als nächstes kommt, mehr und mehr zum Gegenstand eines Vergleichskrieges. Wenn man noch nie etwas von einer Band gehört hat, ist das Ohr frisch und man hat keine mentale Ablenkung von der eigentlichen Musik. Wenn man eine Band lange Zeit verfolgt, klingt alles vertraut, und manchmal konzentriert man sich mehr auf Ähnlichkeiten als auf die eigentliche Wirkung eines Songs. Wenn die Band andererseits eine radikale Veränderung vornimmt, wirst du damit wahrscheinlich auch nicht zufrieden sein. Das Gleichgewicht ist der Schlüssel. Wenn du mit viel Logik an alles herangehst, was du erlebst, geht der Kern der Kunst verloren, denn es ist Kunst und keine Algebra!

Ans Ende der Digipak-Version habt ihr drei Songs angehängt, die ganz anders klingen … eine rein orchestrale Version von „Coming Storm“, sowie zwei Songs, die mich sehr an Chaostar erinnern, weil es hier keine verzerrten Gitarren gibt. Die Stücke klingen zunächst überraschend – hätten aber auch eine spannende Wendung innerhalb des Albums sein können. Wie sind diese Songs entstanden, und warum habt ihr entschieden, dass sie nicht Teil der regulären Albumversion sein können?
Diese Songs hätten den Fluss des Albums gestört. Es gibt bereits eine Menge Elemente auf dem Album, die der Hörer aufnehmen muss. Aber wir fanden, dass es schade wäre, diesen anderen Ansatz nicht zu präsentieren, und die beste Option war, sie als Bonustracks auf speziellen Albumformaten zu veröffentlichen.

SEPTICFLESH 2022; © Stella Mouzi
SEPTICFLESH 2022; © Stella Mouzi

Technisch habt ihr einen sehr charakteristischen Gitarrensound, der sehr von seiner fast sterilen Schärfe lebt – er erinnert mich ein wenig an den Sound von Bands wie Meshuggah. Warum ist das aus deiner Sicht der perfekte Sound für eure Musik? Wäre ein wärmerer, runder Sound – in Kombination mit den warmen orchestralen Klängen – nicht einen Versuch wert gewesen?
Im Grunde genommen tobt hier ein Kampf der Frequenzen. Wir haben so viele verschiedene Frequenzen, die wir in Einklang bringen müssen. Diese Art von Schärfe bei den Gitarren hilft, sie hervorzuheben, sonst würde sie von den „Elefanten“ des Orchesters erdrückt werden. Wir streben ein Gleichgewicht zwischen unseren verschiedenen dominanten Elementen an. Wir wollen sowohl Schwere als auch Dramatik.

Kannst du uns noch etwas über das lyrische Konzept, den Albumtitel und die Verbindung zum Cover-Artwork erzählen? Mich würde zum Beispiel interessieren, warum ausgerechnet Serotonin den Weg auf das Bild gefunden hat …
Ich bin der Haupttexter der Band, trotzdem war diese spezifische Welt eine Idee von Seth, der auch für unser Artwork verantwortlich ist. Serotonin ist ein sehr wichtiger Neurotransmitter. Interessanterweise spielt es auch eine Rolle in der Geschichte von Neuromancer.

Vielen Dank für das Interview! Zum Schluss noch unser traditionelles Brainstorming:
Das letzte Album, das du dir angehört hast:
Kreator – Hate über alles
Wenn „Modern Primitive“ ein Auto wäre … welcher Typ?
DMC DeLorean
Wagner oder Mozart?
Mozart
Black Metal:
Die frühen Bathory
Essen, das dich immer glücklich macht:
Pizza
SEPTICFLESH in zehn Jahren:
Symphonischer Cyber Metal

Nochmals vielen Dank für deine Zeit. Die letzten Worte an unsere Leser gehören dir!
Die Resonanz auf „Modern Primitive“ war großartig, vielen Dank an euch alle! Jetzt ist es Zeit für Live-Shows!

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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