Konzertbericht: Combichrist w/ Filter, Lord Of The Lost & Rabia Sorda

05.06.2016 München, Backstage (Werk)

Combichrist Tour 2016

Dass COMBICHRIST live eine sehenswerte Band sind, ist allgemein bekannt. Nur so lässt sich auch erklären, dass die Band trotz mehrerer bestenfalls durchschnittlicher Studioalben in Folge weiterhin voll auf die Loyalität ihrer Zuhörerschaft zählen kann: Zwar reicht die Zugkraft der Band nicht mehr an das Niveau von 2009 heran, als die Truppe durch ihre Shows im Vorprogramm von Rammstein massiv an Bekanntheit zugelegt hatte. Doch zumindest ist das Interesse seitens der Fans noch so groß, dass man gemeinsam mit den Industrial-Rock-Vorreitern FILTER an einem Sonntag Abend zum stolzen Preis von 40€ (Abendkasse) ins Backstage Werk – die größte der drei Backstage-Locations – laden kann, ohne sich zu blamieren.

Die optimistische Planung hat dennoch ihre Nachteile: Da die Halle mit viel schwarzem Stoff quasi rundherum zur Kapazitätsreduzierung abgehängt ist, läuft der alles andere als optimal geregelte Einlass über einen Seiteneingang. Während dort die Nummern von Online-Tickets händisch mit einer Liste abgeglichen werden, bildet sich vor diesem Nadelöhr zum Einlass um 19:00 trotz des vergleichsweise überschaubaren Andrangs eine Schlange, die im zunehmend starken Sommerregen quer über das gesamte Gelände reicht.

RabiaSorda-01Währenddessen beginnen drinnen pünktlich um 19:30 RABIA SORDA mit ihrem halbstündigen Set – ganz generell ein Unding. Doch gerade im konkreten Fall dürfte sich besonders ärgern, wer heute rechtzeitig kam, um schließlich zu Showbeginn draußen im Regen zu stehen: RABIA SORDA, als Nebenprojekt von Erk Aicrag, dem Bandleader der mexikanischen Aggrotech-Band Hocico, sogar mit einer gewissen Szene-Prominenz gesegnet, sorgen nämlich gleich ordentlich für Stimmung: Stilistisch nicht weit von Combrichrist zu deren reinen Elektrozeiten entfernt, heizen RABIA SORDA dem überschaubaren, aber gut gelaunten Publikum bereits zu früher Stunde kräftig ein. Der Einsatz des Trios bleibt nicht unbelohnt: Für den Opener dürfen sich RABIA SORDA schon über beachtlichen Applaus freuen – völlig zurecht.

Dass die darauffolgenden LORD OF THE LOST vom Publikum wie ein Headliner begrüßt werden, mag all jene, die eine weitere, beliebige Vorband erwartet hatten, zunächst verwundern, erschließt sich im Folgenden jedoch recht schnell: Denn was die Hamburger in ihren stolzen 60 Minuten Stagetime auf die Bretter legen, macht vielleicht nicht jeden zum Fan – jedoch zumindest deren Begeisterung nachvollziehbar. Beeindruckend ist nämlich weniger die zwar gut gemachte, aber bisweilen fast unerträglich kitschige und selten wirklich innovative Mischung aus düsterem Glamrock im Stile der Deathstars und Black-Metal-Elementen im Gesang, sondern die schlichtweg perfekte Inszenierung des Ganzen.
LordOfTheLost-01Perfekt ausgeleuchtet und vom eigenen Mischer mit differenziertem Sound gesegnet, ziehen LORD OF THE LOST alle Register, um ihrer Rockstar-Attitüde genüge zu tun: Jovial werden schweißgetränkte Handtücher ins Publikum geworfen, BHs mit eingenähten Liebensbriefen fliegen zurück – und mit den zum Einsatz gebrachten G
itarren ließen sich drei Bands ausrüsten. Spätestens die über und über mit LEDs besetzte Klampfe von Fronter Chris Harms und die darauf gespielten Dark-Pop-Schnulze „Dry The Rain“ spiegeln das trashig-poppige Element im Sound der Band perfekt wider – mit dieser Nummer könnte die Band ohne weiteres auch beim Eurovision Songcontest antreten. Dass der Pop-Bezug der Truppe nicht all zu weit hergeholt ist, bestätigen LORD OF THE LOST schließlich selbst mit einer (auch noch überaus gelungenen) Cover-Versionen der 90er-Hits „Everybody“ der Backstreet Boys. Kein Zweifel: So etwas Skurriles hat das Backstage nicht mehr gesehen, seit Heino den Die-Ärzte-Hit „Junge“ auf dieselben Bretter legte. Dass in der anschließenden Umbaupause Motörhead gespielt wird, ist dennoch dringend nötig – schon, um die Testosteron-Produktion der männlichen Zuschauer wieder etwas anzukurbeln.

Filter-01Eines ist klar: Lord Of The Lost sind definitiv keine Band, nach der man auf die Bühne geschickt werden mag. Das müssen (wohl nicht nur) heute auch FILTER erfahren: Ein guter Teil des Publikums gibt der Band gar nicht erst die Chance, sich zu beweisen, und verlängert die Raucherpause um eine Stunde. Und auch die in der Halle verbliebenen Fans stehen der bereits in den 90ern gegründeten Dark-Rock-Koryphäe aus dem Nine-Inch-Nails-Umfeld zunächst sehr reserviert gegenüber. Das mag demotivierend, wenn nicht gar demütigend sein, zumal, wenn es vielleicht sogar an jedem Tourabend so läuft. Statt dagegen anzukämpfen, kommt die Reaktion von FILTER einer Kapitulation gleich: Die nicht nur im Vergleich zum eben Gesehenen lahme Show krönt FILTER-Kopf Richard Patrick, indem er lamentiert, das Publikum beschimpft und die ersten Reihen wie auch die eigenen Musiker im Minutentakt flaschenweise mit Wasser übergießt. So überzeugt man nicht, so macht man sich lächerlich – das ist schließlich auch das einzige, was FILTER an diesem Abend gelingt. Dass Patrick schließlich vom eigenen Keyboarder von der Bühne komplementiert werden muss, da er wie zum Trotz auch nach 70 Minuten keinerlei Anstalten macht, sein Set zu beenden, rundet den Eindruck, den die Formation heute hinterlässt, stimmig, aber nicht eben positiv ab. Mag FILTER mit Stücken wie „Hey Man Nice Shot“ auch noch so legendäre Hits gehabt haben – 2016 gibt es wahrlich keinen Grund, sich diese Band anzuschauen. Co-Headliner-würdig? Ganz sicher nicht.

Combichrist-03So schlecht es Filter mit ihrem Slot nach Lord Of The Lost erwischt hatten, so gut stehen die Dinge für COMBICHRIST: Nachdem Filter die euphorische Stimmung im Saal in nur wenigen Minuten in den Keller getreten hatten, um das, was von ihr dann noch übrig war, dort anschließend noch eine gute Stunde durch den Dreck zu ziehen, wartet das Publikum bereits in der Umbaupause sehnsüchtig auf den Heilsbringer, der den Abend rettet und findet ihn erwartungsgemäß in Andy LaPlegua. Schon mit seinem charismatischen Grinsen lässt der Norweger die Stimmung sofort ins Positive umschlagen – das starke COMBICHRIST-Set tut sein Übriges. Zwar ist der Sound zunächst weit von „differenziert“ entfernt. Der Euphorie der Fans tut das jedoch keinen Abbruch.
Geboten wird eine gelungene Mischung quer Beet aus allen Schaffensphasen, die zwei Dinge zeigt: Im Livebetrieb funktionieren die Stücke vom eher mittelprächtigen, aktuellen Album „This Is Where Death Begins“ erwartungsgemäß recht gut – können aber dennoch nicht mit den alten Aggrotech-Songs mithalten: Sei es „Get Your Body Beat“, „Blut Royale“ oder „Fuck This Shit“ – die Songs die wirklich zünden und das Publikum zum Kochen bringen, haben allesamt bald zehn Jahre auf dem Buckel.
Doch nicht nur das Material, auch die Musiker scheinen mittlerweile etwas ruhiger geworden zu sein – zumindest fliegen nur noch gelegentlich von Schlagzeuger Joe Letz geworfene Drumsticks oder Trommeln über die Bühne in Richtung des neuen Manns am zweiten Schlagzeug,
Nick Rossi. Dem Unterhaltungswert der Show tut das jedoch keinen Abbruch – zumal Andy selbst die Bühne beackert wie eh und je. So ist es kein Wunder, dass das Publikum nach gut einer Stunde noch lautstark eine Zugabe fordert, bevor die Show um 0:15 schließlich endet.Combichrist-01Damit wäre man beim letzten Ärgernis des Abends angekommen – dem alles andere als arbeitnehmerfreundlichen Zeitplan: Selbst bei vier Bands wäre es vermeidbar, dass die mitunter von außerhalb angereisten Besucher erst um 0:30 aus der Halle kommen – zumal ein früherer Konzertbeginn an einem Sonntag wohl für niemanden ein Problem gewesen wäre. Dass es auch anders geht, lässt sich schließlich regelmäßig beobachten, wenn an Frei- und Samstagen peinlichst darauf geachtet wird, dass die Konzerte um 23:00 enden, damit die Halle anschließend zur Partylocation umfunktioniert werden kann.

Musikalisch bekommt der Fan einen Abend mit Höhen und Tiefen geboten: Mit RABIA SORDA und LORD OF THE LOST hat die Tour gleich zwei überraschend hochwertige Vorbands im Programm – mit FILTER dafür einen echten Totalausfall auf der Co-Headliner-Position, der nur durch viel Einsatz seitens COMBICHRIST zu kompensieren ist. Dass der Ticketpreis von 34 € (VVK) beziehungsweise stolzen 40 € (AK) ist für diese Bandzusammenstellung dennoch deutlich zu hoch angesetzt ist, zeigen die eher mittelprächtigen Besucherzahlen.

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