Konzertbericht: Hexvessel

09.05.2020 Tampere, Näsijärvi-See (Stream-Show)

Viele Bands haben sich zuletzt an Live-Stream-Konzerten versucht – aus dem Studio-Proberaum, wie Kadavar, oder gar aus einer Konzerthalle, wie zuletzt und in Kürze Insomnium. Was allen diesen Shows gemeinsam war: Sie versuchen, etwas zu ersetzen – das ordinäre Konzert. Das kann allerdings nur in Maßen funktionieren, denn mag es für den Musiker auch das Normalste der Welt sein, auf einer Bühne, im Proberaum oder in vergleichbarem Ambiente zu spielen, ist der Stream für den Zuschauer schlussendlich nicht mehr als eine „Live-Live-DVD“ ohne das Ambiente einer Show mit Publikum.

HEXVESSEL aus Finnland gehen einen anderen Weg: Als Trio hat sich die Band für ihre Live-Stream-Show in den Wald begeben. „Nichts Ausgefallenes, kein Multi-Cam, keine Studiobeleuchtung oder Soundtricksereien, nur Akustikgitarre, Geige und unsere Stimmen, mit denen wir ein paar unserer neuen und alten Lieder singen, während die Sonne über dem Näsijärvi-See in Tampere untergeht“: So kündigten HEXVESSEL den rund einstündigen Auftritt an. In Anbetracht des Ergebnisses ist diese Beschreibung Understatement erster Güteklasse.

Ins warme Gegenlicht der über dem See untergehenden Sonne getaucht liefern HEXVESSEL nämlich die vielleicht schönste Natur-Performance ab, seit Hamferð während der Sonnenfinsternis am 20. März 2015 ihren Song Deyðir Varðar“ live vor der eindrucksvollen Kulisse der Färöer Inseln vorgetragen haben.

Screenshot von HEXVESSELs Live-Stream-Show

Das hat natürlich nicht zuletzt damit zu tun, dass die Musik von HEXVESSEL generell weitestgehend ruhig, oft auch akustisch instrumentiert ist und sich damit natürlich besonders gut für eine solche Akustikshow eignet: Nicht umsonst nennen HEXVESSEL ihren Stil „Forest Folk“. Aber es hängt eben auch damit zusammen, dass HEXVESSEL gar nicht erst versuchen, beim Zuschauer das Gefühl zu erzeugen, auf einem Konzert zu sein. Vielmehr wirkt die Show wie ein kleines Fenster in eine andere, verzauberte Welt – man wird Teil einer Veranstaltung, die man unter normalen Umständen nicht schöner, weil realer, sondern schlicht und ergreifend gar nicht erlebt hätte.

Natürlich ist auch dieser Auftritt ein Auftritt – Mathew McNerney begrüßt die Zuschauer, macht gelegentlich Ansagen. Und natürlich hätte diese Performance ohne den Anlass der Live-Stream-Show so nie stattgefunden. Aber anders als bei Hallenkonzerten könnte man es sich hier zumindest vorstellen: Drei Natur- und Musikliebhaber treffen sich an einem Frühlingsabend an einem lauschigen Plätzchen, um gemeinsam zu musizieren.

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Dabei gelingt es HEXVESSEL, trotz der ungewöhnlichen Umstände eine grandiose Performance abzuliefern und diese auch technisch angemessen in die Welt zu tragen: Während so manches andere Streamkonzert mit schlimmem Sound und noch schlimmerem Bild über das World Wide Web zu den Fans drang, klingt hier jedes Instrument, wie es soll, entfaltet die Musik von HEXVESSEL hier ihren ganzen Zauber. Und noch viel mehr – denn während die Finnen live zuletzt eher als Retro-Rock-Band daherkamen, kehren sie in diesem puristischen Setting (wie auch auf einigen Stücken des aktuellen Albums „Kindred“) zu ihren Wurzeln zurück: Im Set gehen HEXVESSEL nicht nur bis zu ihrem Debüt zurück und spielen auch sonst den einen oder anderen selten hörten Song (etwa das packende „Green Gold“ von „When We Are Death“), sondern präsentieren auch eine überaus gelungene Coverversion von Paul Giovannis „Gently Johnny“ aus dem Soundtrack zu „The Wicker Man“.

Stream-Konzerte werden das tatsächliche Erlebnis einer Live-Show nie ersetzen können – wenn sie es aber gar nicht erst versuchen, sondern dem Zuschauer ein gänzlich neues Erlebnis ermöglichen, hat das Konzept nicht nur eine Daseinsberechtigung, sondern sogar einen Mehrwert für den Fan. Natürlich kann sich nun nicht jede Metal-Band einfach in einen Wald stellen – etwas mehr Kreativität, was das Setting angeht, wäre aber oftmals durchaus wünschenswert. Wie das aussehen und was das bewirken kann, haben HEXVESSEL heute jedenfalls eindrucksvoll bewiesen.

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