Review Boston Manor – Glue

Ziemlich schlicht wirkt das Albumcover von BOSTON MANORs drittem Album „Glue“: Eine von der Farbe Weiß dominierte Fassade mit fünf dunklen Fenstern, vor der eine in weiß gekleidete Person weiße Fußstapfen auf dem Boden hinterlässt. Schlicht waren auch die Cover der beiden Vorgänger „Be Nothing.“ und „Welcome To The Neighbourhood“, mit denen die Briten frischen Wind in das repetitive und vor Langeweile dahinsiechende Genre Pop-Punk brachten. Ein gutes Omen also, dass auch mit dem neuesten Werk der visuelle Weg weiter fortgeschritten wird?

Mag der gestalterische Aspekt dem bisherigen Schaffen BOSTON MANORs ähneln, hat sich musikalisch doch einiges getan – wie sich gleich während der ersten Töne der eröffnenden Nummer und gleichzeitigen Lead-Single „Everything Is Ordinary“ zeigt: Nicht nur die Saitenfront hat hier den Fuß auf dem Distortion-Pedal, auch Henry Cox legt seinen Gesang mit verzerrenden Effekten über die schnellen Riffs. Mit treibenden Drums, einer coolen Bassline und cleveren Breaks während des Refrains gelingt den fünf Jungs aus Blackpool ein tanzbarer und eingängiger Opener zwischen Noise Punk und Hardcore. Dass BOSTON MANOR großen Spaß am Experimentieren haben, bewiesen sie bereits auf dem atmosphärischen und düsteren Zweitwerk „Welcome To The Neighbourhood“, das sich bereits vom von klassischem Pop Punk dominierten Debüt ziemlich unterschied. Hier gehen sie jedoch noch einen Schritt weiter und führen dies auf „1’s & 0’s“ fort, das zusätzlich mit Screams versehen wurde.

Manch Fan wird sich mit Sicherheit verwundert die Augen (oder Ohren) reiben, doch steht dieser Stil dem Quintett äußerst gut zu Gesicht. So machen die ersten beiden Songs unglaublich viel Spaß und hätten das Potential, jede Alternative-Party zum Beben zu bringen. Doch diese jungen Musiker wären nicht BOSTON MANOR, wenn sie auf den weiteren elf Tracks nicht noch mehr Überraschungen zu bieten hätten: So trifft der Hörer allein während der ersten Hälfte auf das düster-atmosphärische „Terrible Love“, das melancholische und post-rockige „On A High Ledge“ sowie auf das so simpel wie eingängige „Only1“, worauf die Gitarrenfront mit einem wabernden Solo abermals tolle Akzente setzen kann. Mit „You, Me & The Class War“ setzt die Band sogar noch einen drauf, indem sie wie noch nie zuvor instrumentale wie gesangliche Wutausbrüche mit von Schlagzeug und Bass dominierten Sektionen verbindet.

Zwar schrauben BOSTON MANOR auf der zweiten Hälfte von „Glue“ ihre Experimentierfreude ein ganzes Stück zurück, bleiben aber dennoch auf einem hohen musikalischen Niveau. Und alle, die sich mit den ersten sieben Songs vielleicht nicht anfreunden konnten, dürften zumindest ab „Playing God“ ihre helle Freude am Drittwerk der Briten haben. Die Truppe beweist nämlich, dass sie Tracks wie auf den beiden Vorgängerwerken nach wie vor mit Leichtigkeit aus den Ärmeln schütteln kann: Mit dem grandiosen „Brand New Kids“ sowie den Singles „Ratking“ und „Liquid“ wird dem Hörer jeglicher Ohrenschmalz aus den Gehörgängen gepustet, denn genau dort muss nun ganz viel Platz für Singalongs und Ohrwürmer sein. Dank ihrer durchdachten und trotz aller Pop-Anleihen nie auf den Mainstream abgezielten Instrumentierung gelingt es ihnen dabei auf famose Art und Weise, jeglichen Kitsch auf Abstand zu halten.

Doch nicht nur musikalisch, sondern auch lyrisch sticht „Glue“ aus der breiten Masse des Pop Punks (wenn man sie überhaupt noch in diese Ecke stecken darf) heraus. Ob Sucht und psychische Gesundheit, Klimawandel oder Kritik am Großkapitalismus tyrannischer Unternehmen, die Engländer nehmen kein Blatt vor den Mund und scheinen die Lyrics stets auf die instrumentale Stimmung der Songs abgestimmt zu haben. So wirkt hier keine Zeile fehl am Platz und insgesamt alles wie aus einem Guss.

Ob man nun zu „Glue“ tanzen und abgehen oder aber tief in sich versunken sinnieren will, ist ganz egal. Denn dieses Album ist für jede Stimmung geeignet. Mit einer beeindruckenden Vielfalt an Einflüssen und einem stets nachvollziehbaren Flow zwischen den Songs ist BOSTON MANOR mit ihrer dritten Platte das vorläufige Highlight ihrer Karriere geglückt. Ob Hardcore-Kid, Indie-Fan oder einfach nur ein Freund guter Musik – reinhören ist Pflicht.

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Wertung: 8.5 / 10

Publiziert am von Silas Dietrich

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