Review In Flames – Siren Charms

Kaum eine Band sorgt mit ihren Alben für solch erbitterte Grabenkämpfe der Fan-Lager wie IN FLAMES. Obwohl sich die Band mit jedem Werk weiter von dem ihnen angestammten Genre des Melodic Death Metal und dem von ihnen mitbegründeten Göteborg-Stil entfernt, gibt es scheinbar immer noch Anhänger, die erwarten, IN FLAMES kämen auf einmal mit einem zweiten „The Jester Race“ oder „Whoracle“ um die Ecke.

Dem ist – Wunder, oh Wunder – auch bei „Siren Charms“ nicht so. Ganz das Gegenteil ist der Fall: Weniger nach den IN FLAMES, die man vom jeweiligen Vorgänger kannte, klangen die Schweden noch nie. Denn wo sich die Truppe zuletzt zum Groll aller Traditionalisten immer weiter in Richtung Metalcore bewegt hatte, kann man ihnen zumindest das nun nicht mehr zum Vorwurf machen.

Der Einstieg mit „In Plain View“ lässt musikalisch zunächst eher an eine Mischung aus „Reroute To Remain“ und „Soundtrack To Your Escape“ denken. Das Wörtchen „musikalisch“ darf hier jedoch keinesfalls im aufbrandenden Jubel der Fans dieser Band-Epoche untergehen – klingt Anders Fridén auf „Siren Charms“ doch wie ausgewechselt. Harsche Schreie sucht man vergeblich – stets schwingt Melodie in seiner Stimme mit. Was zunächst überrascht, wandelt sich nach einiger Zeit vom Aufreger zum Aufhänger – gibt doch genau diese Neuerung den Songs einen sehr eigenen Charakter. So wäre beispielsweise „Everything Is Gone“ mit Growls besungen ein waschechtes Death-Metal-Brett. Seinen Charme aber verleiht dem Song erst Fridéns Gesang, der dem Ganzen einen Alternative-Metal-Touch verleiht. Durch gekonnte Kniffe beim Arrangement, wie dem gezielten Einsatz elektronischer Elemente („Paralyzed“), wird dieser Kontrast zwischen hartem Song und zartem Charakter nochmals verschärft.

Die „Ausverkauf!“- und „Mainstream!“-Rufe sind damit vorprogrammiert – zumal „Siren Charms“ mit Stücken wie „Through Oblivion“, „With Eyes Wide Open“ oder dem Titelstück deutlich mehr Melancholie denn Melodeath zu bieten hat. Wer jedoch bei „Come Clarity“ oder „Evil In A Closet“ nicht das Gesicht verziehen musste, dürfte gerade an den beiden erstgenannten Nummern seine wahre Freude haben. Vor allem, da Fridén hier (nicht nur gemessen an früheren Leistungen) stimmlich über sich hinauswächst.

Seinen Zenit hat „Siren Charms“ mit dem Titeltrack leider überschritten – reißt das Duett von Fridén mit der schwedischen Opernsängerin Emilia Feldt in „When The Worlds Explode“ nicht nur die Grenze zum Kitsch endgültig ein, sondern läutet auch einen merklichen Qualitätsabfall ein: Zusehens gewinnt der Alternative Metal nun auch musikalisch die Oberhand – auf der Strecke bleibten der Biss und die Eingängigkeit, für die der Name IN FLAMES immer stand.

„Siren Charms“ startet mit einer Überraschung und endet mit einer weiteren: Während der frische Wind, der hier weht, nach kurzer Eingewöhungszeit durchaus zu gefallen weiß, bestätigen IN FLAMES mit einer eher belanglosen zweiten Albumhälfte die Unkenrufe ihre schärfsten Kritiker. So behalten am Ende alle Recht – und halten mit „Sirene Charms“ ein interessantes, jedoch durchwachsenes Album in Händen, das definitiv nicht über jeden Zweifel erhaben ist.

Wertung: 7.5 / 10

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6 Kommentare zu “In Flames – Siren Charms

  1. ich war noch nie ein fan von in flames, auch wenn ich diese mal „beiläufig“ in prag erlebt habe, was mich einigermaßen geflasht hat.
    Doch letztlich hat mich der alternative-aspekt neugierig gemacht, hab ich mir doch noch nie ein album von denen angehört.
    also hab ich mich hingesetzt und mir die platte bewusst und konzentriert angehört… ich finde die echt hammer!
    „die zweite albumhälfte ist belanglos“ kann ich persönlich nicht nachvollziehen, da alle tracks nach when the world explodes (welches aber auch fett ist) einfach nur der hammer sind, in allem, allesamt.
    sie sind eingängig aber abwechslungsreich, haben echt fette melodien und arrangements, synthispielerein, hin und wieder eine echt fette doublebass und der gesang, alter! ich finde den bei weitem nicht weinerlich, melancholisch schon eher, und die gesangsmelodien sind auch cool, und dabei bin ich eher ein fan von gebrüll und geschrei, welches aber auch fett ist.
    ich hab’s mittlerweile locker schon 30mal gehört und das geht jedesmal in einem zug fett ab; gerade beim autofahren oder zum chillen.
    ich muss aber vielleicht dazu sagen, dass ich auch gefallen an neuen muse und alten depeche mode finde, von daher…
    und wenn die setlist mehr fokus auf siren charms setzt, gemischt mit den hits, dann wird die saue im hellraiser einfach nur, und ich wiederhole mich, fett fett fett!

  2. Eben. Und ob es einem dann gefällt oder nicht, ist nun einmal ein anderes Paar Schuhe. In Flames höre ich insgesamt nicht, aber bei Bands wie Ulver oder Sólstafir bin ich heilfroh, dass sie nicht mehr wie auf „Bergtatt“ oder „Í Blóði og Anda“ klingen. Im Vergleich zu diesen Bands sind In Flames bei aller Entwicklung ja oldschoolig geblieben.

  3. Ich hab die ganze Aufregung ohnehin nie verstanden. Die Band gibts jetzt fast ein Vierteljahrhundert und alle heulen rum, weil In Flames sich stilistisch gewandelt haben. Kann mir kaum vorstellen, dass es hier jemanden gibt, der nach 25 Jahren immer noch die gleiche Person mit den selben Idealen, Wünschen und Zielen ist. Alles andere wäre nur befremdlich. Technisch waren die letzten Alben alle auf hohem Niveau, nur eben softer und zugänglicher.

  4. Schließe mich meinem Vorredner vorbehaltlos an. 7/10 ist, wie ich finde, ein Witz.

    Und … Anders wächst stimmlich über sich hinaus? Habe ich was verpasst? Ich fand, dass der noch nie sonderlich gut klar-singen konnte, aber bei dem älteren Zeugs (z.B. Reroute To Remain) ist es dezent und passend eingesetzt. Auf Siren Charms klingt das alles nach kitschigem Rumgejammer. Gemessen an alten Werken würde ich maximal 2 Punkte geben. Frage mich, wie man von einem fast einzigartigen Sound und absolut atmosphärischer Musik zu einem 0815 Pop/Alternative Einheitsbrei kommen kann. Traurig. Aber damit dürften sämtliche Hoffnungen endgültig zerstört sein, dass In Flames nochmal soundtechnisch zurück zu alter Macht finden. Weiterentwicklung schön und gut, aber das ist fern von gut und böse. :(

    1. Ich finde den Ansatz, die Frühwerke einer Band als Referenz für jedes neue Album anzuführen, auch wenn die Band sich in der Zwischenzeit kontinuierlich verändert hat, nicht sonderlich sinnvoll. Ja, das Album ist kein Melo-Death mehr und kein zweites Clayman. Andererseits war das keines der Alben seit Clayman, und der Wandel kommt insofern ja nicht überraschend. Dass an dem Album nicht alles grandios ist, steht außer Frage – lässt man die Vergleiche zu den Frühwerken aber einfach mal sein, hat das Werk durchaus seine Stärken.

      Und zum Gesang: Genau das ist der Punkt: Diesmal klingt das ganze wenigstens halbwegs kompetent. Das ist für Fridén-Verhältnisse ja schon „über sich hinauswachsen“ ;)

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