Konzertbericht: In our Room – An Evening with In Flames

26.03.2017 München, Freiheiz

Den kommerziellen Erfolg, den sie mit ihrem neu eingeschlagenen Weg haben, kann man IN FLAMES nicht absprechen – die Vehemenz, mit der sich die Schweden dabei jedoch von ihrer Geschichte lossagen, ist doch überraschend. Dass sie damit ihre langjährigen Bandmitglieder Daniel Svensson und Peter Iwers vergrault haben, ist freilich eine Mutmaßung – dass viele Metaller nicht mehr allzu viel auf die Mitbegründer des Göteborg-Metal geben, hingegen ein Fakt. Mit Neubesetzungen am Bass und Schlagzeug gehen die beiden Bandleader Björn Gelotte und Anders Fridén ihren Weg dennoch konsequent weiter: Nach dem absolut mainstream-tauglichen Radio-Rock-Album „Battles“ spielen sie nun unter dem Tournamen „In our Room – An Evening with IN FLAMES“ in kleineren Hallen auf – gänzlich ohne Vorband, dafür mit einem Showkonzept, das ganz offensichtlich vornehmlich Fans ansprechen soll, die mit Metal ansonsten nur wenig am Hut haben.

Die dazu passende, heimelige Kulisse bietet ein in Wohnzimmeroptik dekoriertes Bühnenbild, das sich auch in einem Fernsehstudio gut machen würde: Sofa, Kühlschrank, Zimmerpflanzen – alles da. Auch die Wahl der Location ist bezeichnend: In den gediegenen Backstein-Gemäuern des Münchner Freiheiz, einer alten, generalsanierten Fabrikhalle, ist ansonsten eher selten Metal zu hören – höchstens in Form von Special-Shows wie bei Katatonias „Dethroned And Uncrowned“-Akustik-Tour.

Um eine ebensolche handelt es sich – zumindest über weite Strecken – auch heute: Teilweise akustisch, teilweise von einem Streicherquartett mit symphonischem Touch versehen, präsentieren sich IN FLAMES mit einer Show, die nur noch in einzelnen Momenten durchblitzen lässt, dass man hier die Mitbegründer des Göteborg Death-Metal vor sich hat. Bereits mit dem Intro haben IN FLAMES das Überraschungsmoment auf ihrer Seite: Zehn Minuten lang legt ein Streicherquartett ein gewitzt arrangiertes, auf die Dauer dennoch etwas ermüdendes Medley aus unzähligen IN-FLAMES-Songs aufs Parkett, bevor schließlich unter lautem Applaus die Band dazukommt und, von den Streichern unterstützt, den „A Sense Of Purpose“-Song „Alias“ anstimmt. Was folgt, ist der vergleichsweise kurze „Melodic-Death-Metal-Part“ des Abends. Doch wären IN FLAMES früher für Oldschool-Nummern wie „Moonshield“ oder  „The Jesters Dance“ abgefeiert worden, nimmt das Publikum die Stücke heute doch eher verhalten auf. Fridén reagiert überrascht, gleich mehrfach lässt er in Ansagen wie „You are so quiet?!“ seine Verunsicherung durchblicken.

Selbst der wuchtige Kult-Hit „Only For The Weak“ zündet nicht richtig: Wenn das Publikum auch brav auf und nieder hüpft, wird man doch das Gefühl nicht los, dass der Großteil der Anwesenden das legendäre 2000er-Album „Clayman“, dem dieser Klassiker bekanntermaßen entstammt, nicht einmal kennt. Selbiges gilt, den zurückhaltenden Reaktionen nach zu urteilen, auch für den  leider gesanglich nicht sonderlich überzeugend interpretierten Nine-Inch-Nails-Klassiker „Hurt“, den IN FLAMES im Akustik-Block ihres Sets covern. Ein weiteres Indiz dafür, dass IN FLAMES ihre Fans mittlerweile vornehmlich aus wenig metalaffinen Kreisen akquirieren. Schuld daran, dass die Halle trotz aller positiven Vorzeichen (Stichworte: IN FLAMES, Freiheiz, Backstein) nicht gerade kocht, ist jedoch nicht allein das Publikum.

Obwohl die Band durchweg gutgelaunt ihrem Job nachgeht, hat man nämlich streckenweise das Gefühl, dass die Musik gar nicht im Mittelpunkt des Abendprogramms steht. So spricht es ja schon Bände, dass IN FLAMES in zwei Stunden auf der Bühne ein Set spielen, das auf Basis der Spielzeiten der Studioversionen rein rechnerisch auch in schlanken 1:15:32 Stunden machbar gewesen wäre.

Statt sich nämlich an ihrer Diskographie abzuarbeiten, verbringen die Schweden viel Zeit mit einer Mischung aus sympathischen Blödeleien und skurrilen Aktionen, die dem Abend eher den Charakter einer TV-Show als eines Metal-Konzertes verleihen. Die Band macht ständig Polaroids vom Publikum und verteilt diese an die  Fans, ein Maler fertigt während des Auftritts live auf der Bühne ein Bild an, das nach dem Konzert für Wohltätigkeitszwecke versteigert wird. Vielleicht – Achtung, Scherz von Entertainer Fridén! – zu Gunsten der „IN FLAMES Beer Foundation“ und zwei Zuschauer werden für die gesamte Dauer des Auftritts auf dem Show-Sofa am Bühnenrand geparkt. Trotz des demonstrativ lockeren, leider aber auch reichlich inhaltsleeren Smalltalks, den Fridén immer wieder mit den beiden führt, kommt nicht ganz heraus, was das Ganze eigentlich soll. Kurt Krömer hätte es in seiner chaotischen Late-Night-Show nicht besser hinbekommen.

Wie glücklich die Band selbst mit diesem Showkonzept ist, wird hingegen nicht ganz klar: So souverän und lässig, wie man den Sänger schon bei anderen Konzerten erlebt hat, wirkt er im heutigen Setting selten – weder in seinen Ansagen, noch von der Gesangsperformance her. Dass Anders ausgerechnet bei „Paralyzed“ ein Blackout hat und einen guten Teil des Textes vergisst, hat einen gewissen Witz-Faktor. Problematischer ist, dass sich der Fronter bei den Akustik-Stücken trotz massiver Untermalung durch elektronische Beats sichtlich unwohl fühlt und sein Gesang so einiges an Selbstsicherheit einbüßt. Dass das früher in jeder Zeile textsichere IN-FLAMES-Publikum ihn mit seiner mehrfach geäußerten Bitte, ihn durch Mitsingen zu unterstützen, über weite Strecken komplett ins Leere laufen lässt, zeigt weniger die Ehrfurcht der Fans vor dem gediegenen Ambiente, sondern veranschaulicht eher einmal mehr den Wandel, der sich in den letzten Jahren im Publikum der Band vollzogen hat.

Die Antwort auf die Frage, warum IN FLAMES sich dann überhaupt auf Akustik-Shows einlassen, nachdem sie 27 Jahre auch ohne ebensolche gut gefahren sind, gibt der bärtige Fronter mit der Nerdbrille schließlich freimütig in einer Ansage selbst: Er sei kein Fan von Akustik-Shows. Aber bei einem Label wie Nuclear Blast sei es schwer, sich dem zu verwehren. So ehrlich das auch sein mag: Zur Glaubwürdigkeit des gesamten Auftrittes, den Anders Fridén noch mit dem Satz „Die Show heute ist keine gewöhnliche IN-FLAMES-Show. Wenn du das nicht magst – fuck you! Wir machen nur, was wir wollen“ begonnen hatte, trägt das nicht gerade bei.

    Intro: Medley (Streicherquartett interpretiert IN FLAMES)

  1. Alias
  2. Before I Fall
  3. All For Me
  4. Moonshield
  5. The Jester’s Dance
  6. Only For The Weak
  7. Akustik-Set:

  8. Like Sand
  9. In My Room
  10. Hurt (Nine-Inch-Nails-Cover)
  11. Through Oblivion
  12. Dawn Of A New Day
  13. Come Clarity
  14. The Truth
  15. Paralyzed
  16. Cloud Connected
  17. The Quiet Place
  18. The End
  19. Wallflower

Am Ende ist „In our Room – An Evening with IN FLAMES“ die Konzert gewordene Gentrifizierung: Für stolze 60€ bekommt ein sehr gesetztes Publikum statt dem Tatort heute in dem heimischen Wohnzimmer nachempfundener Atmosphäre zwischen viel Smalltalk mit Late-Night-Comedy-Show-Charakter Akustik-Versionen von Songs, die schon in ihren Album-Versionen kitschiger Mainstream-Rock sind. Hätte man bei alledem nicht das Gefühl, die Band erfüllt mit der Tour eher die Wünsche ihres Labels denn ihre eigenen, könnte man das – losgelöst von der Historie der Band – irgendwie noch cool finden. Ihre letzten verbliebenen Fans der ersten Stunde, die selbst „Battles“ und der aberwitzige Ticketpreis nicht schrecken konnten, dürften IN FLAMES mit diesem Show-Konzept allerdings endgültig vergrault haben.

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