Review Laibach – Spectre

  • Label: Mute
  • Veröffentlicht: 2014
  • Spielart: Electronic

Ein Cover-Album mit Nationalhymnen, ein Soundtrack zu einer Nazi-Science-Fiction-Kommödie, eine Show in Nordkorea: LAIBACH sind wahrlich immer für eine Überraschung gut. So ist es wenig überraschend, dass auch das 2014 erschienene „Spectre“, als erstes Album nach der Hymnensammlung „Volk“ voller Überraschungen ist – musikalisch wie textlich.

Textlich sticht direkt die offensichtlich politische Prägung des Albums auf. Dass LAIBACH als musikalischer Arm des Kunstkollektives Neue Slowenische Kunst einen poltischen Anspruch haben, ist freilich nicht neu: Seit jeher führen LAIBACH Konstrukte wie Faschismus oder die manipulierbare Masse durch totalitaristische Überidentifikation ad absurdum, spielen mit NS-Ästhetik und demaskieren das manipulative Potenzial von Welthits der Popkultur. Und doch ist die Eindringlichkeit und Eindeutigkeit der Worte bemerkenswert – in der hymnenhaften Hommage an „The Whistleblowers“, im düsteren „No History“ („You got a world to fight – Go on!“) oder dem elektronisch-schmissigen „Eat Liver!“ („Smell it in the air – It’s time for the show – Revolution – To deliver“). Zwischen all den kämpferischen Worten klingt das düstere Duett von Milan Fras und Mina Špiler in „Eurovision“ fast wehmütig: „I see visions of outrage – They are trying so hard – But the eyes are kept shut“, ehe der dystopische Refrain donnernd über den Hörer hineinbricht: „Europe is falling apart“. Hier schwingt keine Ironie, keine Schadenfreude mit – der Song ist ein Abgesang auf den Staatenbund, von dem sich wohl auch die vom Zerfall Jugoslawiens und dem darauffolgenden Krieg geprägten Slowenen mehr erhofft hatten.

Dass Worte von LAIBACH sich augenscheinlich so leicht interpretieren lassen, ist hingegen neu. Wer Kunst über ihre „Un(be)greifbarkeit“ bewertet, mag „Spectre“ deswegen vielleicht zu platt, zu direkt, zu offensichtlich finden. Vielleicht haben aber auch LAIBACH gemerkt, dass die Zeiten, in denen Subtext gereicht hat, um die politisch Menschen wachzurütteln, lange vorbei sind. Dazu würde der musikalische Stilwechsel passen, den LAIBACH mit „Spectre“ vorgenommen haben: Statt mit schwerfälligem, stampfendem Industrial-Noise kombinieren LAIBACH ihre Texte diesmal mit locker arrangierten, oft eingängigen, selten harten und nie „rohen“ Songs. Bereits der Opener „The Whistleblowers“ setzt klar auf Melodik statt Härte. Mit einem eingängigen Mix aus lässigem Pfeiffen und straffen Military Drums, Milan Fras‘ rauher Sprechstimme und pathetischen Chören bleibt das Stück weit über das ganze Album hinweg und weit darüber hinaus im Ohr.

Das gelingt LAIBACH in der knappen Stunde, die „Spectre“ läuft, so zwar nicht nocheinmal – das macht die restlichen 13 Songs aber nicht automatisch schlechter, sondern unterstreicht eher die stilistische Vielfalt des Materials: Mal geht es in Richtung Industrial Metal („No History“), EBM („Americana“, „Walk With Me“) oder gar Triphop („Eurovision“), mal geben sich LAIBACH pathetisch („Koran“), mal ironisch euphorisch (im Bonustrack „The Parade“). Neben der auffällig starken Fokussierung auf Beats und Rhythmen im Allgemeinen, die im fast gänzlich percussiven „Bossanova“ gipfelt, fällt auf, wie vielschichtig die Arrangements diesmal ausgefallen sind: Ob LAIBACH diesbezüglich aus ihrer Arbeit am Filmsoundtrack zu „Iron Sky“ gelernt haben, oder ob das allein dem Komponisten Slavko Avsenik Jr. zu verdanken ist, der für die orchestralen Arrangements auf „Spectre“ verantwortlich zeichnet, lässt sich nicht beurteilen.

„Existence as you know it is over“ singen LAIBACH in „Resistance Is Futile“, und das gilt wohl auch für LAIBACH selbst: Die Zeiten des musikalischen Brutalismus scheinen vorbei. Oberflächlich betrachtet ist „Spectre“ das erste LAIBACH-Album, das losgelöst vom Kunstbegriff auch als „Unterhaltungsmusik“ funktioniert. Davon sollte man sich aber keinesfalls täuschen lassen: Unter der wohlklingenden Oberfläche gefälliger Songs enthält „Spectre“ sehr wohl die gewohnte Mellange aus düsterer Sozialkritik und ironischen Popkulturbezügen (neben dem Albumtitel enthält „Spectre“ weitere James-Bond-Zitate sowie Star-Trek-Referenzen). Später im Text heißt es übrigens: „We’ll raise the quality of life – For all of you.“ Das stimmt allemal – auch ganz platt unphilopsophisch und unpolitisch im Hinblick auf dieses herausragende Album.

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Wertung: 9 / 10

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