Interview mit Emiliano Lanzoni von Code666

2009 feierte Code666, das Kultlabel für extreme, avantgardistische Musik, zehnjähriges Bestehen. Metal1.info nahm dies als Anlass um mit Labelchef Emiliano Lanzoni über die Vergangenheit, die Zukunft und die Gegenwart in Form der Geburtstags-Kompilation „Better Undead Than Alive 2“ zu reden.

English Original…

Hallo Emiliano, wie geht es dir nachdem die Arbeiten für „Better Undead Than Alive II“ abgeschlossen sind?
Enthusiastisch, aber auch erschöpft. Das Projekt hat 3 Jahre beansprucht und ich hatte häufig Angst ich wäre nicht in der Lage es bis zum 10-jährigen Geburtstag von Code666, also 2009, fertigzustellen. Die eigentliche Idee war noch viel ambitionierter und hätte das Drehen eines eigenen Films beinhaltet, aber über die Jahre hinweg habe ich mich daran gewöhnt gute Ideen aufgrund chronischen Geldmangels verwerfen zu müssen. Dennoch bin ich sehr zufrieden mit BUTA2, es ist ein einzigartiges und spezielles Werk – das perfekte Manifest für 10 Jahre Code666.

Bevor es ums Label geht möchte ich dich fragen wie du selbst in Kontakt mit Metal-Musik gekommen bist und ob du mal in einer Band gespielt hast?
Ich verdanke meinen ersten Kontakt mit Metal einem guten Freund, der mir Metallica’s „Kill’em’All“ zum Geburtstag geschenkt hat. Es war 1985, ich war vierzehn Jahre alt und die Platte hat mich total umgehauen. Bis zu diesem Zeitpunkt war mir solch kraftvolle und spannende Musik unbekannt und es hat mich so eingenommen, dass sich die Leidenschaft für diese Art von Musik seitdem kein bisschen verringert hat. Es wundert mich selbst ein wenig, dass ich noch so daran hänge. Ich liebe es neue Bands zu scouten und mir ihre Musik bei voller Lautstärke anzuhören und dabei im Haus herumzutoben. Meine Frau und meine Kinder müssen mich für verrückt halten, aber das ist ok.Ja, ich war Sänger in einer Hardcore-Band in den frühen 90ern. Wir fuhren etwa 10 Jahre lang immer wieder mit einem Van durch Europa, gaben überall Konzerte und hatten eine Menge Spass. Dann realisierte ich, dass ich nicht genügend Talent habe als Musiker und habe es aufgegeben.

Weshalb hast du dich dazu entschlossen Code666 zu gründen und was waren die ersten Schritte in der Labelgeschichte? Was war die erste Band, die mit auf den Zug sprang?
Das ist eine lange Geschichte, ich hoffe ich langweile die Leser damit nicht zu sehr. Zusammen mit dem Gitarristen meiner Band gründete ich 1994 Boundless Records, was es uns ermöglichte unsere eigenen Alben zu produzieren. Dann haben wir angefangen auch Zeug von anderen Bands zu veröffentlichen, wobei wir uns alles selber beibrachten was man für dieses Geschäft braucht. Natürlich begingen wir deshalb auch viele Fehler und die Unerfahrenheit führte zur finanziellen Katastrophe. Die Schulden türmten sich und der Spass an der Arbeit verging einem angesichts der unbezahlten Rechnungen, den Bürokratieproblemen und den Missverständnissen mit meinen Partnern. Das letzte Jahr bei Boundless Records war echt beschissen, ohne es zu wissen wurde ich krank und mein Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag. Ich habe schlecht gearbeitet und meine Partner haben sich verständlicherweise dazu entschieden mich rauszuschmeissen. Man hat mir die Möglichkeit genommen einen Traum zu leben zu dessen Existenz ich einiges beigetragen habe, also zerfloss ich in Selbstmitleid während ich krank im Bett lag. Dann entschloss ich mich eines Nachts die VHS-Kasette eines schrecklichen, visionären, sehr unbekannten mexikanischen Films namens „Code666“ anzuschauen, der mich zum Tiefpunkt brachte und meiner Krankheit eine konkrete Form verlieh – ich lag im Bett mit Zuckungen und Halluzinationen. Ich musste ins Krankenhaus, wurde untersucht und wartete voller Angst auf die Diagnose: Persönlichkeitsstörungen verbunden mit Panikattacken.

Ich hielt zu dem Zeitpunkt nicht viel von Psycho-Gelaber und dachte das wären alles Scharlatane und Leute, die dir bloss am Gehirn rumspielen wollen. Ich war schockiert als ich herausfand, dass all diese mentalen Krankheiten sehr wohl existieren und meist sehr schmerzhaft und chronisch oder unheilbar sind. Und dass es wirklich jeden treffen kann, auch mich!
Dann begann der langwierige Behandlungsteil mit viel Pillenschluckerei.

Nunja, irgendwann dämmerte es mir bei einem Toilettengang, dass ich etwas aufschreiben sollte von der Scheisse die mir andauernd durch den Kopf ging. Ich wollte meine Gedanken in Form eines Musikmagazins loswerden, und der Name stand bereits fest: Code666. Ich habe ein paar Ausgaben veröffentlicht, dann entschloss ich mich ein Label draus zu machen, da meine Worte nicht ausreichend waren um alles auszudrücken – nur Musik schafft es gewisse emotionale Tiefen zu erreichen, nur Musik kann in dich eindringen und dich von deinen Leiden befreien.

Gab es Tiefpunkte, bei denen du dachtest das wäre das Ende des Labels. Und an welche Ereignisse erinnerst du dich besonders gerne?
Ja, 2004 war ein sehr hartes Jahr für uns. Im Jahr zuvor hatten wir viel Erfolg mit den Alben von Aborym, Negura Bunget, Manes… also entschlossen wir uns dazu einen Schritt weiterzugehen, gerade was die Promotion anbelangte. Wir haben eine grosse kostspielige Werbekampagne in den weltweit führenden Metal-Magazinen begonnen, das Budget für die Veröffentlichungen unserer Bands angehoben, kurz gesagt wir wollten in Qualität und Quantität zulegen. Es war schlichtweg ein Disaster. Die Zehntausenden an Euros die wir in Werbung steckten brachten keinen einzigen Kunden; es war sogar so, dass die Verkaufszahlen den Nullpunkt erreichten, auch aufgrund des immensen Anstiegs von illegalem File-Sharing und Internetpiraterie. Im Oktober 2004 standen wir vor grossen finanziellen Schwierigkeiten. Ich wollte dass Code666 irgendwie geschützt sein konnte, weswegen ich Aural Music als eine Art Mutterfirma gründete, wo ich verschiedene Genre-Sublabels wie eben Code666, Dreamcell11, Eibon Records, Goregore Records, Amaranth Recordings etc. unterbringen konnte. Und so kamen wir aus der Notlage heraus, so dass Code666 nun nur noch die Rolle als Kultlabel für extreme, avantgardistische Musikprojekte erfüllt und von der Notwendigkeit Profit zu erwirtschaften befreit ist, was jetzt die Aufgabe von Aural Music ist.

Code666 deckt eine grosse Breite an Musik ab, die meist nicht wirklich dem Mainstream entspricht. Gibt es spezifische Bedingungen, die eine Band erfüllen muss um dem Label beitreten zu können?
Ja, ich muss sie mögen :)

Lass uns nun über die Geburtstags-Kompilation „Better Undead Than Alive II“ reden. Ich stimme dir vollkommen zu, dass solche CDs meist nur verschwendetes Geld bedeuten. Aber nicht in eurem Fall, denn es gibt nicht nur rein exklusives Material, sondern gar ein ganzes Konzeptalbum. Davide Tiso war für die Zusammenstellung verantwortlich und hat auch selbst einige Interludes zum Album beigetragen um den Ganzen eine kompakte Form zu geben. Gab es Anweisungen wie ein Stück klingen soll oder wurde erst entschieden in welche Richtung es gehen wird nachdem das Material der Bands zusammengetragen war? Wie lange dauerte der ganze Schaffensprozess?
Anweisungen waren nicht nötig. Ich kenne Davide seit zehn Jahren, wir sind sehr gute Freunde und ich vertraue vollkommen seinen Fähigkeiten. Ich habe ihm also freie Hand gelassen, mit der absoluten Gewissheit dass er hervorragende Arbeit leistet. Sein Anteil hat sechs Monate beansprucht, teils auch weil einige Tracks noch nicht fertig waren und wir auf die Nachzügler warten musste um alles zu vervollständigen.

Es ist interessant zu sehen, dass neben Label-Veteranen auch erst recht kürzlich unter Vertrag genommene Bands auf der Kompilation vertreten sind. Besonders hat mich jedoch die Teilnahme von Diabolicum gewundert, welche seit 2001 kein Album mehr aufgenommen haben. Gab es irgendwelche Vorzüge in der Wahl der Bands oder ging es nur nach Bereitschaft?
Nunja, ich hätte natürlich gerne alle (vergangene wie aktuelle) Bands von Code666 auf der CD vertreten gehabt, aber das ist aus verschiedenen Gründen logischerweise nicht möglich, weswegen es mich besonders gefreut hat, dass eine Band wie Diabolicum quasi wiederauferstanden ist um nur für diese Veröffentlichung einen Song aufzunehmen… das zeigt wie einzigartig die Code666-Familie ist.

Ich war ein wenig enttäuscht als ich bemerkte, dass die Lyrics nicht im Booklet enthalten sind. Werden sie eines Tages veröffentlicht?
Die Texte SIND veröffentlicht… nur nicht auf die übliche Art und Weise, hehe. Wie du vielleicht weisst enthielt das Booklet zu „Better Undead Than Alive I“ ein verstecktes Spiel und der Erste der das Ende erreichte bekam ein lebenslängliches Abonemment auf alle Code666-Veröffentlichungen. Tja, BUTA2 toppt das Ganze sogar noch, es gibt eine geheime und sehr gut versteckte Schatzjagd auf dem Booklet und der CD, jedoch ist es um einiges schwieriger die Lösung zu finden, doch die Belohnung ist es wert… viel Spass bei der Suche, hehe.

Auf der ersten BUTA-Kompilation gab es einen Mix aus veröffentlichtem und unveröffentlichtem Material, das jedoch aufgrund des Remasterings und der Anordnung der Tracks eine gewisse Einheit bekam. Auf BUTA2 bekommt man nur exklusives Material, das Davide Tiso sehr ambitioniert mit Struktur und Fluß versehen hat. Was ist das nächste Level, dass man auf BUTA3 erwarten kann?
Wie gesagt möchte ich sehr gerne einen passenden Film drehen, mit richtigen Schauspieler und einem grossartigen Skript, dass ich vor einigen Jahren ausarbeitete, und der Soundtrack dazu käme dann logischerweise von Code666-Bands :) ich brauche nur 40.000 Euro um es finanzieren zu können :)

Habt ihr den Label-Geburtstag in irgendeiner speziellen Art und Weise gefeiert? Zum Beispiel mit einer grossen Party zu der alle Mitglieder kamen?
Eigentlich hatten wir vor die Kompilation auf einem Indoor-Festival vorzustellen, mit verschiedenen Code666-Bands auf der Bühne, aber aufgrund von Organisationsproblemen schafften wir es nicht mehr rechtzeitig. Jetzt arbeite ich daran, dass es bis Herbst 2010 zustande kommt.

Der Musikmarkt wurde nicht von der Weltwirtschaftskrise verschont und die Labels bekamen die Auswirkungen auch sehr deutlich zu spüren. Erzähl uns bitte wie Code666 darunter leiden musste?
Als kleines Label ist der Profit ebenfalls klein. Und mit der Wirtschaftskrise ist selbst dieser kleine Profit nicht mehr vorhanden, so dass wir quasi für lau arbeiten bzw. sogar Verluste hinnehmen müssen übers Jahr gesehen. Zum Glück haben wir nie waghalsig investiert, sondern immer darauf geachtet die Kosten zu limitieren und jegliche Verschwendung zu vermeiden. Deswegen mussten wir nicht auf einen speziellen Notfallplan zurückgreifen, da wir schon vor der Krise sorgfältig mit dem Geld umgegangen sind. Trotzdem hoffen wir natürlich, dass sie bald vorüber ist, denn es ist dennoch schwierig ihr standzuhalten.

Verbunden mit dieser Problematik ist die Frage, ob die Compact Disc bald komplett verschwunden sein wird und durch digitale Downloads ersetzt wird. Wie ist deine Meinung zu diesem Thema?
Ich denke es lässt sich nicht vermeiden. Ich werde die CD oder Vinyl oder andere Formate dieser Art nicht vermissen – ich bin da ein Vorwärtsdenker und das ansteigende Verschwinden von CDs stört mich nicht. Ich glaube sogar, dass mir das Ende vom Lied bereits seit langer Zeit bewusst war: Die Labels werden dicht machen und die Musiker werden schliesslich die volle Kontrolle über ihre Musik bekommen; sie werden sie selbst produzieren und dann auch selber online verkaufen über Formate, die Copyright-Rechte schützen und die Internetpiraterie beenden. Materielle Kopien wird es wahrscheinlich in limitierter Auflage weiterhin geben, für Sammler oder Die-Hard-Fans. Ab diesem Moment werden wir Produzenten von der Bildfläche verschwinden und uns anderen Dingen zuwenden müssen. Ich träume davon ein Restaurant zu eröffnen…

Ok, jetzt wird es Zeit für ein kleines Spielchen. Ich gebe dir ein paar Schlagworte und du darfst schreiben was dir grade dazu einfällt:
Negura Bunget Split-Up: Die Möglichkeit zwei Bands statt einer zu haben
Urfe: Ein Werk für wenige Leute, sehr wenige Leute… vielleicht für niemanden :)
Neige: Ein grosses Talent
Aural Music: Die Erlösung für Code666
Metal1.info: Wenn ich Deutsch verstehen würde, dann hätte ich vielleicht eine Meinung, hehe…

Bevor wir dieses Interview beenden möchte ich dich noch fragen: Welche Bands würdest du gerne bei Code666 sehen wenn du freie Wahl hättest?
Ephel Duath
Refused
Behemoth

Ok, das war es auch schon, vielen Dank für die Geduld beim Beantworten der Fragen. Ich hoffe Code666 wird es noch mindestens eine weitere Dekade geben und ich wünsche dir und euch alles Gute für die Zukunft. Die letzten Worte gehören dir:
Ich freue mich schon auf das Interview anlässlich des 20-jährigen Bestehens von Code666.

Geschrieben am von Metal1.info

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