Konzertbericht: Dornenreich w/ Agrypnie

10.02.2011 München, Backstage Halle

Erstens kommt es anders, und zweitens, als man denkt – und zwar immer und für alle.
Da steht man, mit Diktiergerät und den Fragen für ein ausführliches DORNENREICH-Interview bewaffnet, zur verabredeten Zeit vor dem Münchner Backstage, um dann am Telephon von Tourmanager und Schlagzeuger Moritz Neuner hören zu müssen, dass das Interview leider ausfällt. Warum? Weil auch für den Tourtross wohl einges anders gelaufen ist, als geplant: So gab der Tourbus offenbar den Geist auf, bevor die Tour überhaupt richtig angefangen hat – so dass Bands und Equipment in mehrere kurzerhand organisierte Sprinter umgeladen und vom 50 Kilometer vor München liegengebliebenen Vehikel geshuttlet werden mussten… Stress, Zeitverlust und damit ein versäumter Interviewtermin inklusive.
Doch man muss das Positivs sehen: Bis auf eine kleine Verzögerung beim Einlass läuft ansonsten alles wie geplant – fällt die leichte Verzögerung des Showbeginns bei nur zwei auftretenden Bands doch kaum ins Gewicht.

Mit Ahab hatten Dornenreich auf der letzten Headliner-Tour ja weniger auf musikalische Gemeinsamkeiten gesetzt denn auf die gemeinsame Intention, „anspruchsvolle“ Musik zu erschaffen – und das mit vollem Erfolg. Dieses Mal sollen AGRYPNIE diese Rolle übernehmen – doch auch, wenn sie mit ihrem modernen Black Metal musikalisch dem neuen Dornenreich-Material vermutlich sogar näherstehen als Ahab, geht das Konzept heute nur sehr begrenzt auf (es sei denn, Dornenreichs perfider Plan wäre gewesen, gegen einen schwachen Support umso stärker darzustehen), ist das, was AGRYPNIE hier aufs Parkett legen, doch allerhöchstens schlechtes Mittelmaß: Denn ganz unabhängig davon, dass AGRYPNIE dem Ruf der elaborierten Black Metal-Band, der ihnen als „Nocte Obducta-Nachfolgeband“ stets voraus eilt, nur weil hie wie da Torsten, der Unhold singt, nicht ansatzweise gerecht werden, ist die Show auch als ganz gewöhnlicher Black Metal-Auftritt einfach in quasi allen Belangen schlecht:
Angefangen vom Sound, für den die Band natürlich nichts kann, der jedoch durch im Vergleich zum Schlagzeug viel zu leise abgemischte Gitarren den Songs einiges an Dynamik nimmt, schaffen AGRYPNIE es nicht ansatzweise, ihrem Material durch die Live-Darbietung Leben einzuhauchen. Wo sich bei anderen Bands Songs live erst zu voller Größe entfalten und nachhaltig wachsen, so dass auch der Hörgenuss der CDs danach merklich gesteigert ist, ist hier eher das Gegenteil der Fall: Vielleicht nicht zuletzt durch den Sound stellt man mit erschrecken fest, dass das Grundprinzip hinter einem AGRYPNIE-Song nicht nur alles andere als elaboriert ist, sondern vielmehr richtiggehend banal. In einer kaum zu überbieteneden Monotonie reiht sich Riff an Riff, unterlegt von so uninspiriertem wie daraus resultierend langweiligem Drumming – dass Torstens Stimme zudem nicht zu den vielseitigsten oder wenigstens individuellsten der Szene gehört, komplettiert das musikalische Trauerspiel.
Und doch kann man sagen: Das alleine wäre noch nicht dramatisch, machen doch traditionelle Black Metal Bands auch nicht viel Anderes. Schlimm macht es erst die Kombination aus uninspirierter Musik und unmotiviertem Stageacting – und in Letzterem bieten AGRYPNIE heute ein beispielloses Lehrstück. Der legendäre „Bewegungsradius eines Bierdeckels“, den man scherzhaft gerne klischeehaft statisch agierenden Bassisten unterstellt, gilt hier gleich für die komplette Band: Wie angewurzelt steht die gesamte Saitenfraktion an ihren Plätzen und ist offenbar schon von der Idee, während des Spielens zu Headbangen oder ein andersgeartetes Lebenszeichen von sich zu geben, überfordert. Gut, auch das kennt man sogar von den größten Bands des truen Black Metals, könnte man nun sagen, jedoch mit dem einen, alles entscheidenden Unterschied: Dort gibt es dann stets einen charismatischen Fronter, der es wieder rausreißt – man denke an Høst bei Taake, Niklas bei Shining, Satyr bei Satyricion, Emperor Magus Caligula bei Dark Funeral etc.pp… Torsten hingegen verfehlt diese Wirkung zumindest heute komplett: Wie festgewachsen auch er in der Mitte der Bühne, singt er sich ohne ein Zeichen von Hingabe oder Begeisterung durch das Set – und auch, wenn er sich zwischen den Songs dankbar gibt für die in der Tat große Besucherzahl und den Zuspruch des Publikums: Eine fesselnde Performance sieht anders aus. Der Zuspuch des Publikums selbst ist auch eine Sache für sich – meint man den Zuschauern doch regelrecht ansehen zu können, wie sie die stets hochgelobte Band krampfhaft gut zu finden versuchen: Die ganz Eisernen versuchen es gar mit Headbangen, dem doch eher mageren Applaus zwischen den Songs nach zu urteilen jedoch mit mäßigem Erfolg. Dass nach dem Auftritt dennoch Zugabe-Rufe erschallen, hat hier eher Reflex-Charakter… dass sie unerhört bleiben hingegen ist, bei nur zwei auftretenden Bands, auf der anderen Seite irgendwie bezeichnend…

Setlist AGRYPNIE:
01. Figur 109-3
02. Der tote Trakt
03. Kerkerseelenwanderung
04. Und führet mich nicht in Versuchung
05. Morgen
06. Fenster zum Hof
07. Schlaf

[Moritz Grütz]

Nun ist es also Zeit für DORNENREICH, die jetzt die besten Voraussetzungen haben, den Abend auch auf positive Weise noch denkwürdig zu machen. Wie im Prinzip zu erwarten war, wird mit dem Akustik-Set begonnen (obwohl ich die andere Reihenfolge durchaus interessanter gefunden hätte). Hier häufen sich natürlich die „In Luft geritzt“-Songs, wo sich Eviga und Inve ganz in ihrem Element befinden, „Dem Wind Geboren“, „Meer“ und „Drang“ wissen alle mit leicht angezogener Geschwindigkeit und noch energetischerer Performance als auf dem Album zu überzeugen und das (Noch-)Duo beweist, dass man auch im Sitzen an die Akustikgitarre und im Stehen an die Geige gefesselt sein und trotzdem eine weit größere Bühnenpräsenz aufbauen kann, als gewisse Metalbands zu fünft: Eviga bewegt sich vermutlich mehr als alle Mitglieder von AGRYPNIE zusammen und man sieht dem Mann einfach an, wie sehr er in seiner Musik aufgeht und wie viel Herzblut er auch noch in eine Show steckt, die unter einem doch eher schlechtem Stern steht.
Leider weiß das Publikum das wenig bis überhaupt nicht zu würdigen. DORNENREICH performen zwar sicher nicht auf Motörhead-Lautstärke, dennoch ist es bezeichnend, wenn man sich in der zweiten Reihe nicht auf die Musik einlassen kann, weil das Publikum im Hintergrund zu laut am Pöbeln ist. Die Mentalität „Ich hab Geld dafür gezahlt und mach deswegen, was ich will!“ ist sowieso fraglich, aber gerade bei einer Band wie DORNENREICH sollte man sich, wenn man offenbar schon im Vorhinein weiß, dass man der Band nicht den angemessenen Respekt entgegenbringen will oder kann, überlegen, was man bei so einem Konzert überhaupt verloren hat.
Abgesehen davon macht das Akustik-Set über weite Strecken durchaus Spaß, auch wenn abermals ein technischer Fehler sich aufdrängte, die Suppe zu versalzen. Ausgerechnet bei den beiden Nicht-“In Luft geritzt“-Songs „Der Hexe nächtlich Ritt“ und „Reime faucht der Märchensarg“ streikt Evigas Gitarre, ob nun der Kontakt an der Klinke fehlt oder ein Kabelbruch vorliegt, plötzlich kommt leider nur noch Schnodder durch die Boxen. Dadurch verliert auch Inve die Orientierung im Sound und so kommen beide Nummern nicht ganz so herüber, wie sie wohl gedacht waren (auch sonst sind der „Bitter ist’s dem Tod zu dienen“-Song ohne Keyboard-Melodien und der „Hexenwind“-Song ohne Klargesang aber zugegebenermaßen eine Sache, mit der man sich erstmal anfreunden muss.)

Akustik-Setlist:
01. Intro
02. Urig
03. Freitanz
04. Meer
05. Der Hexe nächtlich‘ Ritt
06. Drang
07. Dem Wind geboren
08. Reime faucht der Märchensarg

Nach 35 Minuten ist dann Schluss mit der ersten Hälfte der Show und während man sich noch fragt, warum denn nicht mit „Jagd“ aufgehört wurde, kehren DORNENREICH kaum 10 Minuten später und nun zu dritt mit eben diesem Song auf die Bühne zurück. Hier fällt nun auch dem Rest des Publikums auf, dass das Konzert begonnen hat und im Folgenden wird ein Set zumindest einigermaßen abgefeiert, das während der ersten Nummern ungewohnt frei von „Her von Welken Nächten“-Stücken ist (bis auf „Schwarz schaut tiefsten Lichterglanz). Stattdessen gibt es ein nach „Der Hexe nächtlich Ritt“ gänzlich unerwartetes „Der Hexe flammend‘ Blick“, das im Gegensatz zu ersterem aber perfekt auf die Live-Instrumentierung zugeschnitten ist und mit enormem Druck alles abfackelt. Wohl tatsächlich die größte Überraschung des Abends, denn das ohne Keyboard einfach auch nur halbgare „Leben lechzend‘ Herzgeflüster“ lässt den Zuschauer gewohnt ratlos zurück – und bei den neuen Songs wie bei den „Her von welken Nächten“-Nummern, die das Set beschließen, ist schon vorher klar, dass dort nichts anbrennen kann. Folglich ist „Flammenmensch“ auch der unangefochtene Höhepunkt des Abends, das archaische Element zusammen mit der genialen Spannungskurve dieses Songs sorgen ohne Wenn und Aber für Gänsehaut. „Tief im Land“, „In allem Weben“ und „Der wunde Trieb“ wissen ebenfalls voll zu überzeugen, können aber allein schon aufgrund ihres ruhigeren Charakters nicht so mitreißen wie der Opener des „Flammentriebe“-Albums.
Die „Her von welken Nächten“-Songs sind dann routiniert heruntergespielt, man merkt deutlich, dass das das Repertoire ist, das DORNENREICH nun seit Jahren in dieser Besetzung spielen und das sich für diese Besetzung, was altes Material angeht, auch am besten eignet. „Trauerbrandung“, das bereits erwähnte „Schwarz schaut tiefsten Lichterglanz“ (wenn auch diesmal etwas vorgezogen) und „Wer hat Angst vor Einsamkeit“ sind die typischen Rausschmeißer, alle Bandmitglieder zeigen nochmal, wie sehr sie ihre Instrumente beherrschen, man bedankt sich artig und dann ist auch Schicht im Schacht.

Metal-Setlist:
01. Intro
02. Jagd
03. Schwarz schaut tiefsten Lichterglanz
04. Flammenmensch
05. Der wunde Trieb
06. Der Hexe flammend‘ Blick07. Tief im Land
08. In allem Weben
09. Leben lechzend‘ Herzgeflüster
********
10. Trauerbrandung
11. Wer hat Angst vor Einsamkeit

Es gibt ein paar Erkenntnisse, die man aus diesem Abend ziehen kann, eine davon ist, dass für AGRYPNIE hoffentlich auf folgenden Shows mehr Land in Sicht ist als heute, eine andere, dass DORNENREICH sich live von Mal zu Mal immer noch ein wenig zu steigern vermögen. Die Kombination aus Akustik- und Metal-Set hat für mich perfekt funktioniert und ich bin der Meinung, dass auch der – wie heute wieder unter Beweis gestellt – tumbe Durchschnittsmetaller sich zur Einsicht aufraffen könnte, dass es legitim ist, dass eine Band, die mehrere ruhigere Alben aufgenommen hat, diese auch live performt. Einen eher unerfreulichen Umstand darf man allerdings auch nicht verheimlichen: Desto öfter ich die Band live sehe, desto klarer wird mir, dass, so sehr ich mich früher über Songs gefreut habe, die live ansonsten eher schlecht repräsentierte Alben abdecken, diese einfach überwiegend nicht mehr funktionieren. „Reime faucht der Märchensarg“, „Leben lechzend Herzgeflüster“ oder „Der Hexe nächtlich Ritt“ sind, so liebevoll sie für die neue Besetzung arrangiert sein mögen, nur Schatten ihrer selbst, die einfach ohne den Beitrag von Valnes nicht funktionieren. Das sehen hoffentlich bald auch DORNENREICH so und verbannen diese Nummern früher oder später wieder aus dem Set, genug Material, das dargeboten werden kann, sollte es mit „Flammentriebe“ ja auch so wieder geben. [Marius Mutz]

Publiziert am von Marius Mutz und

Fotos von: Moritz Grütz

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert