Konzertbericht: Slipknot w/ Code Orange

17.06.2019 Leipzig, Arena Leipzig

Linkin Park sind Geschichte, System Of A Down wohl auch, und von Limp Bizkit würde man sich wünschen, es wäre endlich so weit: Von der großen Nu-Metal-Bewegung der 1990er-Jahre ist nicht mehr viel übrig. Die großen Gewinner sind, neben den unkaputtbaren Korn, vor allem SLIPKNOT. Mit geschickten Stilanpassungen und dem Böse-Masken-Bonus konnte die Band aus Des Moines, Iowa, kontinuierlich neue Fans dazugewinnen.

Ein solcher Karriereweg fordert immer Opfer. Und doch gibt die Konsequenz, mit der die Maschinerie SLIPKNOT über den Tod ihres Bassisten Paul Gray im Jahr 2010, die Trennung von ihrem schwer erkrankten Schlagzeuger Joey Jordison (2013) und zuletzt den Rauswurf von „Mitarbeiter“ Chris Fehn (2019) hinwegrollte, zu denken. Bei „Corey, Clown & Co.“ wirkt keiner mehr unersetzlich – und die magische Neun ist längst nurmehr ein Markenzeichen. Der Popularität der Band hat das nicht geschadet: Die beiden Einzelshows in Deutschland sind in kürzester Zeit ausverkauft.

Am Konzerttag in Leipzig ist das Areal der Arena schon Stunden vor dem Einlass fest in der Hand der „Maggots“, wie SLIPKNOT ihre Fans liebevoll nennen. Entsprechend rasch füllt sich die Leipzig Arena ab 18:00 Uhr – obwohl die Vorband erst zwei Stunden später beginnt.

Die hat heute keinen leichten Job. Denn es gibt fraglos dankbarere Aufgaben, als vor rund 12.000 Slipknot-Fans auf die Bühne zu gehen, wenn man nicht Slipknot heißt. Da gibt es für CODE ORANGE nur eines: die Flucht nach vorne. Von der ersten Minute an geht die Band aus Pittsburgh voll auf Angriff. Mit aggressiven Posen und energiegeladenem Stageacting und ebenso konzipierten Songs. Zunächst sehr dumpf, und auch später sehr leise abgemischt, verliert der Hardcore von CODE ORANGE leider einiges an Biss und Dynamik. Dass die Amerikaner dennoch schon zum zweiten Song den ersten Circlepit des Abends auslösen und von weiten Teilen des Publikums auch sonst wohlwollend aufgenommen werden, spricht für sich.

Für sich spricht allerdings auch, was um 21:20 Uhr in der Leipziger Arena passiert, als nach dem „Iowa“-Intro „(515)“ der Vorhang zum Bandhit „People = Shit“ fällt. Binnen Sekunden bringen SLIPKNOT die Stimmung in der schon bald tropisch temperierten Arena zum Kochen.

Schweiß, Bier und das vom Sicherheitspersonal ins Publikum geschüttete „Kühlwasser“ durchtränken jedes noch so dünne Leibchen, während sich im Gedränge vor der Bühne selbst die kräftigsten Leiber kaum auf den Füßen halten können. Da das neue Album „We Are Not Your Kind“ – wohl anders als geplant – doch nicht rechtzeitig erschienen ist, nutzen SLIPKNOT die Tour, um mal wieder ihre Klassiker zu zelebrieren. Zur Freude des Publikums: Trotz des erfreulich differenzierten Sounds ist Corey Taylors Gesang während des infernalischen Einstiegs-Trios aus „People = Shit“, „(sic)“ und „Get This“ kaum zu vernehmen – so laut singen die Fans bei diesen Hits mit.

Dass SLIPKNOT auch die zwei bereits veröffentlichten Songs des kommenden Albums spielen würden, war vorhersehbar. Die Publikumsreaktion hingegen kaum: So wirkt es heute fast, als hätten die Fans die Texte der beiden Songs des noch unveröffentlichten Albums in Extra-Schichten gebüffelt. So laut, wie die Menge Corey, Clown und Konsorten die Texte von „All Out Life“ und „Unsainted“ entgegenschmettert, muss man sich um den Erfolg des für den 9. August angekündigten Albums „We Are Not Your Kind“ keine Sorgen machen. Dass letzterer in der Live-Umsetzung deutlich fetziger daherkommt als in der kitschigen Albumversion, ist der Stimmung nicht abträglich.

Die visuellen Inszenierung der ganzen Show reicht zwar nicht ganz an das Pyrotechnik-Spektakel von Rammstein, das man erst unlängst auf deutschen Bühnen erleben konnte. Doch auch SLIPKNOT müssen sich mit ihrer Show wahrlich nicht verstecken. Im seit jeher durch die beiden Extra-Drumkits spektakulären Bühnenbild wandelt Bassist Alessandro Venturella seelenruhig zwischen fast waagrecht abgefeuerten Flammenwerfern, Bandleader Shawn „Clown“ Crahan bearbeitet sein gutes, altes Metallfass mit einem brennenden Baseballschläger und der von den Maggots mehr oder weniger liebevoll „Tortilla Man“ genannte Nachfolger von Chris Fehn darf durch seine Baseball-Schläge stattliche Pyrotechnik-Effekte auslösen.

Mangelnder Einsatz ist dem Neuling im Bandgefüge (man munkelt, es handle sich um Zach Hill von den Death Grips) wahrlich nicht vorzuwerfen. Ebensowenig kann man SLIPKNOT bei ihrer heutigen Machtdemonstration unterstellen, weniger überzeugend zu wirken als in anderer personeller Zusammensetzung. Dennoch dürfte es nur für sehr junge oder sehr treu ergebene SLIPKNOT-Fans keinen bitteren Beigeschmack haben, dass ausgerechnet der Fanliebling mit der Pinoccio-Nase nicht mehr auf die Kessel kloppt. Und das wegen finanzieller Streitigkeiten, die erahnen lassen, wie zerrüttet das Bandgefüge bei SLIPKNOT nach knapp 25 Jahren tatsächlich ist.

Auf ebendiese Fan-Treue können sich SLIPKNOT andererseits nach wie vor einiges einbilden. Nicht nur, wenn bei „Spit It Out“ auch heute weit in die Arena hinein alle Maggots zum „Jump da fuck up“-Ritual in die Knie gehen, um auf Coreys Signal hin ein (vor)letztes Mal auszurasten. Von ungefähr kommt die starke Bindung der Fans zur Band nicht: Einmal mehr legt Corey auch heute Wert darauf, die Fans als Gemeinschaft einzuschwören – egal, welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe oder sexuellen Orientierung. Als SLIPKNOT den Abend schließlich nach rund 90 Minuten wie gewohnt mit „Surfacing“ beschließen und die Bühne unter frenetischem Jubel aber ohne große Worte oder Gesten verlassen, bleibt nur eine Frage offen: Haben die Herren zwischen diesen beiden letzten Songs nicht eine klitzekleine Kleinigkeit vergessen? Oder anders gefragt: Was zur Hölle ist mit „Wait And Bleed“?

  1. People = Shit
  2. (sic)
  3. Get This
  4. Unsainted
  5. Disasterpiece
  6. Before I Forget
  7. The Heretic Anthem
  8. Psychosocial
  9. The Devil in I
  10. Prosthetics
  11. Vermilion
  12. Custer
  13. Sulfur
  14. All Out Life
  15. Duality
  16. Spit It Out
  17. Surfacing

Über die jüngsten Geschehnisse im SLIPKNOT-Lager lässt sich sicher viel diskutieren – über die Live-Qualitäten der Band hingegen dürfte es auch nach diesen Shows in neuer Besetzung keine zwei Meinungen geben. Dass SLIPKNOT bei ihren Einzelshows exakt die auf 90-Minuten ausgelegte Festival-Setlist spielen, obwohl sie hier theoretisch kein Zeitlimit einhalten müssen, ist etwas schade: Für „Wait And Bleed“ sollte bei einer Headlinershow immer Zeit sein. Ansonsten überzeugt das oldschool-lastige Set in seiner Zusammensetzung auf ganzer Linie. Wenn „We Are Not Your Kind“ jetzt noch den durch „All Out Life“ geweckten Erwartungen gerecht wird, dürfen die Herren aus Iowa gerne den nächsten Schritt gehen: Angeblich soll das Knotfest betitelte, bandeigene Festival ja schon bald nach Deutschland kommen

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