Review Casper – Hinterland

  • Label: Four
  • Veröffentlicht: 2013
  • Spielart: Entmetallisiert, Hip-Hop, Indie Rock

Zu Beginn eine grundlegende Frage: Warum macht man eigentlich Musik? Doch meistens, um seinen eigenen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, um ein Ventil besitzen, durch das man innere Konflikte und seine Gefühle in eine greifbare Form bringen kann.
Was macht man nun aber, wenn man durch seine eigene Kunst plötzlich in die mediale Hypemaschine gerät? Wenn da auf einmal abertausende Menschen sitzen, die nach einem Platin-Album etwas ganz Bestimmtes von einem erwarten? Der Rapper CASPER macht das einzig Richtige: Er kümmert sich nicht darum. Ihn interessieren keine etwaigen Erwartungshaltungen, die von außen an ihn herangetragen werden. Es geht ihm nicht darum, nach „XOXO“, durch das er zum Sprachrohr einer ganzen Generation ernannt wurde, eine weitere Bestandsaufnahme von Teenage Angst abzuliefern. Es geht ihm nicht darum, weiter Post-Rock mit Rap und Indie zu mischen oder sich auf den Hacken zu drehen und eine astreine Rap-Platte zu veröffentlichen. Es geht einfach nur um die Musik. Um die Vision des Künstlers selbst. Das Ergebnis: „Hinterland“ ist anders als „Hin zur Sonne“, anders als „XOXO“, dabei zu jedem Zeitpunkt unverkennbar CASPER – und keinen Deut schlechter als die Vorgängeralben.

Der Opener „Im Ascheregen“ ist eine gigantische Hymne, die von melancholischen Pianotönen und einem treibenden, nahezu an Kudoro-Beats erinnernden Schlagzeug nach vorne getrieben wird, und mit der einleitenden Textzeile „Das ist kein Abschied, denn ich war nie willkommen“ die Story dieses Albums vorgibt: Der Weg vom kleinen Underground-Künstler hin zum übergroßen Star und der persönliche Umgang mit dieser Entwicklung. Bereits der Song „Hinterland“ wartet nach dieser Stadion-Rap-Eröffnung mit ruhigeren, folkigen Tönen auf. Der Einfluss von Get-Well-Soon-Mastermind Markus Ganter, der das Album zu einem Großteil produziert hat, macht sich hier sofort bemerkbar. Die Verbindung zwischen Folk und Rap, die in diesem Lied am deutlichsten hörbar ist, kann durchaus als eine Neuinterpretation des Southern-Hip-Hop interpretiert werden, für den beispielsweise Acts wie OutKast oder Bubba Sparxxx stehen.

Die weiteren Einflüsse auf „Hinterland“ werden durch eine wahre Flut an Zitaten aufgeführt, sowohl in textlicher als auch in musikalischer Hinsicht: Während auf textlicher Ebene Turbostaat, Tomte, Die Sterne, Ton Steine Scherben oder auch Oasis ihren Weg in die Songs finden, ist „… nach der Demo ging’s bergab!“ der Tomte-Song, den Tomte oder Thees Uhlmann selbst schon lange wieder schreiben wollten, während das verschrobene „La Rue Morgue“ so klingt, als hätte ein versoffener und jüngerer Tom Waits den Rap für sich entdeckt.
Doch diese Betonung von Indie- und Folk-Bands bedeutet nicht, dass CASPER auf „Hinterland“ Hip-Hop aussparen würde, ganz im Gegenteil: Besonders durch seine oft gesungenen Hooklines treten seine Rap-Parts besonders deutlich in den Vordergrund und waren wohl seit „Hin zur Sonne“ nicht mehr so klar wahrzunehmen. Die besten Beispiele hierfür sind sicher der Battle-Song „Jambalaya“ sowie die Cloud-Rap-Einflüsse auf „Endlich angekommen“ sowie dem absoluten Albumhighlight „Ariel“, in welchem CASPER den Tod seiner Halbschwester verarbeitet. Die Einflüsse von A$AP Rocky werden in diesen Songs aber durch folkige Akustikgitarren und Trompeten zu einem gänzlich eigenen Stil weiterentwickelt.

Das Ergebnis? „Hinterland“ ist wahrscheinlich kein perfektes Album, dafür sind einige Songs insgesamt nicht ganz so überzeugend wie andere. Dies ändert aber nichts daran, dass es auf „Hinterland“ keinen einzigen schlechten Song gibt. Das Album ist musikalisch abwechslungsreich, spannend und in sich schlüssig. Die Entscheidung, textlich nicht mehr ausschließlich Zeilen für die nächste Häuserwand zu liefern, sondern sich auf die eigene Situation zu beziehen, geht voll auf. Dass dabei immer noch genügend Sätze herauskommen, die man sich ohne Bedenken auf den Unterarm tätowieren lassen könnte, spricht für die Qualität von CASPERS‘ Texten. So ist es dann auch weiter nicht verwunderlich, dass in „Lux Lisbon“ einer der wahrscheinlich emotionalsten Momente der Musikgeschichte vorbeiweht: Nach der Textzeile „Du sagst ein guter Mann trinkt nicht, ich trink schon wieder allein /  Zu was genau macht mich das, zu was genau macht mich das“, erklingt ein kaum hörbares Seufzen. Ohne ein Wort zu sagen, steht dieses Seufzen für die gesamte Emotion, die Musik besitzen kann. Oder wie es Flaubert in „Quidquid volueris“ sagen würde: „Ob es ein Wort oder ein Seufzer war, gleichviel, aber es lag darin eine ganze Seele.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Wertung: 9 / 10

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