Review Eisregen – Leichenlager

Seit 1995 treiben EISREGEN irgendwo zwischen Death, Black und Dark Metal ihr Unwesen. Sie wurden verlacht und gelegentlich verboten – trotzdem fanden sie mit ihrem von Beginn an eigenwilligen Stil genug Fans, um zu einer festen Instanz im deutschen Metal zu werden. Wer das dritte Album der Thüringer heute hört, kann dabei gleichermaßen nachempfinden, was EISREGEN groß gemacht hat – und was EISREGEN-Fans damals alles gutmütig ertragen haben.

Schon das Booklet schrammt nur knapp am Trash vorbei: Hinter dem (gestellt) morbiden Artwork verstecken sich postpubertäre Jugendliche, die mit Waffen und nackten Frauen in Gasmasken, mit Pistolen, Bier und Thüringens Landesfahne posieren. Ernst zu nehmen? Kaum. Ernst gemeint: Wohl auch kaum. Ganz anders verhält es sich hingegen mit der Musik: Hat man sich erst eingehört, entdeckt man hier bereits unzählige jener Elemente, die EISREGEN in späteren Jahren prägten: So simple wie schöne Melodien, harte Riffs und hässliche Texte, elektronische Einsprengsel und immer wieder auch Ideen, die überraschen – oder wahlweise verstören: Ein lustiger Off-Beat-Tanzmusik-Teil in „Salz der Erde“ etwa, oder der völlig aus dem Albumsound herausgehobene Babyschrei in „Die Seele der Totgeburt“. Fraglos, die meisten Riffs hätte man auch verstanden, hätten EISREGEN sie nur halb so oft aneinandergereiht – und doch lebt „Leichenlager“ von eben dieser rohen, stumpfen Atmosphäre.

Dieses „sich einhören“ erfordert tatsächlich etwas Disziplin: An den schwammigen, undifferenzierten Sound, in dem die Gitarren genauso untergehen wie die Bass-Drum, während Roths Gesang und die Snare den Hörer grausam direkt ins Ohr beissen, muss man sich erst einmal gewöhnen. Allerdings sollte man diesen Sound als das Ergebnis des unbändigen Strebens der Band nach einer damals den meisten Produzenten unbekannten Härte sehen und würdigen. Schwerer fällt das bei der im großen und ganzen ziemlich schiefen Geige, an die sich das auch nur halbwegs geschulte Ohr auch nach vielen Durchläufen nicht gewöhnen will, und bei der auch sonst nicht unbedingt konservatoriumsreifen Leistung der Musiker an ihren Instrumenten: Im Timing oder Ton vergriffen war eben auch im Jahr 2000 nicht extrem, sondern daneben.

Doch all das vermag die ungeschliffene Schönheit von Songs wie „… und sie blutete nur einen Sommer lang“, „Schwarze Rose“ oder dem Dark-Dancehall-Hit und Albumrausschmeißer „Zeit zu spielen“ nicht zu mindern: Ist es schließlich nicht die wahre Kunst, mit einfachen Mitteln große Songs zu schreiben? Mag das Talent am Instrument bei EISREGEN im Jahr 2000 auch noch überschaubar gewesen sein – ein Gespür für Melodien und musikalischen wie lyrischen Witz hatten die Herren bereits damals. Und darauf kommt es doch an.

Wertung: 7.5 / 10

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