Review Eisregen – Rostrot

Unter dem Projektnamen Marienbad veröffentlichten die EISREGEN-Musiker M. Roth undYantit mit „Werk 1 Nachtverfall“ unlängst ein Album, welches mich hellauf zu begeistern wusste. Vom musikalischen Aspekt her atmosphärisch und ohrwurmlastig zugleich, waren es nicht zuletzt die Lyrics, düster wie die Wälder Marienbads, die überzeugen konnten. Nicht minder morbide als man es von EISREGEN kennt, fehlte diesen hier jeder Hang zum Übertriebenen und Lächerlichen: Keine Zauberelefanten und Brustfeti-Christen, keine lieben Beile und kein geschneuzter Kasper standen hier auf dem Programm, sondern beklemmende Szenarien, die durch ihre realistische Darstellung unter die Haut gehen. Eben „EISREGEN für Erwachsene“, wie ich damals schrieb.

Nun steht mit „Rostrot“ das nächste Studioalbum der Stammformation EISREGEN in den Startblöcken und blutet vor sich hin. Und das zunächst überraschend sanft: Mit „Erlösung“ eröffnet ein ruhiges Klavierstück mit Erzählerstimme das mittlerweile neunte Album der Thüringer, bevor es mit „Schakal – Ode an die Streubombe“ auf bekanntes Terrain geht. Das Schlagzeug bollert stumpf vor sich hin, dazu sägt ein Riff, das man guten Gewissens als EISREGEN-Standard bezeichnen kann, und Herr Roth knurrt einen mehr oder weniger ästhetischen Text über Krieg, Tod und Verderben ins Mikrophon. Dass es sich dieses Mal nicht um einen Weltkrieg, sondern Vietnam dreht, tut wenig zur Sache – wirklich überraschend sind hier allerhöchstens die Chor-Samples, welche wenige Sekunden lang an Septicflesh denken lassen. Ansonsten: Gewohnte Kost. In diese Kategorie fallen auch die Songs „Bewegliche Ziele“ oder „Wechselbalg“ – wissen dabei jedoch leider allesamt nicht wirklich zu überzeugen – zu uninspiriert ist das Songwriting, zu „schonmalgehört“ das Riffing.

Überraschender ist die ruhigere Seite des Albums: Dass die zentrale Akkordfolge von „Madenreich“ dezent an „Roslins Fluch“ (Marienbad) erinnert, ist das eine – dass der Song mit seinem Elektro-Beat wie eine Mischung aus Rammsteins „Stein um Stein“ und etwas Radiotauglichem von In Extremo oder einer vergleichbaren Nicht-Mehr-Mittelalter-Rock-Band klingt, das andere. Musikalisch noch etwas flacher gehalten als der Rest des Albums, ist der Song so fast schon als plakativ eingängig beziehungsweise poppig zu bezeichnen – eine Beschreibung, die sich zumindest in Ausschnitten auch auf das folgende „Ich sah den Teufel“ sowie das wirklich unsägliche „Kathi das Kuchenschwein“ anwenden lässt. Hier ist es jedoch vor allem der Text, der enttäuscht: Platt und ohne den EISREGEN eigenen Witz wird hier das Thema Fresssucht durchgekaut. Nicht, dass EISREGEN für Political Correctness bekannt geworden wären – doch wo Songs wie „Zauberelephant“ noch sozialkritisch interpretiert werden könnten, wird hier in recht offensichtlicher Weise allein der Provokation wegen mit Torten geworfen… von der ob der Unbeweisbarkeit der Existenz Gottes haltlosen These, dieser hasse übergewichtige Personen, einmal ganz abgesehen.

Überhaupt sind die Texte die größte Enttäuschung an dem Album. Ist das Werk musikalisch mit seinen poppigen Elementen und der großen Zahl ruhigerer Songs gar nicht so uninteressant, ziehen Roths sonst so unterhaltsamen lyrischen Ergüsse hier das gesamte Werk in die Belanglosigkeit. Denn waren diese früher stets von einem gewissen (makaberen) Witz geprägt und wussten mit unerreichtem Ideenreichtum im Bereich der Grausamkeiten zu begeistern, fällt „Rostrot“ textlich nicht nur im Vergleich zum in diesem Punkt allen EISREGEN-Werken weit überlegenen Marienbad-Debüt platt und eindimensional aus, sondern lässt auch den typischen Reiz des überspitzt Morbiden gänzlich vermissen. Wo einem bei so manchem alten EISREGEN-Song schon vom textinduzierten Kopfkino wohlig flau im Magen wird, vermögen mich die Lyrics hier nicht ansatzweise zu fesseln. Stattdessen rücken diese beim Hören immer wieder in den Hintergrund – beachtlich, in Anbetracht der Tatsache, dass deutsche Texte normalerweise doch stets alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Nicht, dass EISREGEN das Musizieren verlernt oder unhörbare Musik geschrieben hätten – ja, „Rostrot“ mag mit seiner Mischung aus ruhigen, fast poppigen und aggressiven, schwarzmetallenen Nummern vielleicht gar das abwechslungsreichste EISREGEN-Album überhaupt sein. Allein die Lyrics verfehlen ihre Wirkung bei mir dieses Mal komplett, und das mit fataler Wirkung: Konnte die Band den Hörer bislang auch bei den schwächsten Songs noch durch die Texte bei der Stange halten, verliert „Rostrot“ so jedweden Reiz. Mögen Szenefrischlinge oder Die-Hard-Fans das Album auch feiern … als Gelegenheits-EISREGEN-Hörer greife ich da doch lieber zu den hier nicht namentlich zu erwähnenden Klassikern. Diese mögen musikalisch stumpfsinniger und soundtechnisch roher sein – treffen dafür aber textlich zielsicher in die Magengrube.

Wertung: 6.5 / 10

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