Review Envy – Seimei (EP)

Kurz nachdem ENVY Anfang 2020 ihr Album „The Fallen Crimson“ veröffentlicht hatten, kam Corona. Neben einigen ausgewählten Konzerten in Japan und auf dem Hellfest war es seitdem auf den Bühnen recht still um die Band; bis kurz vor ihrer Europatour im Herbst 2022 aus dem Nichts die neue EP „Seimei“ angekündigt wurde, die drei neue Songs enthält. „Seimei“ bedeutet so viel wie „Noch am Leben“ – ein passender Titel in mehrerlei Hinsicht. Nicht nur ist die Band nach ihrer längeren Pause und Neuformation auch dreißig Jahre nach Gründung so aktiv wie eh und je. Darüber hinaus entspricht laut ENVY selbst das neue Material ihrem Gefühl gegenüber der Welt – nach knapp zwölf Minuten ist dieser Zustand als „wütend, hoffnungsvoll, verloren“ zu beschreiben. Aber eben auch „noch am Leben“.

Der Titeltrack „Seimei“ beginnt mit einer für ENVY und Sänger Tetsuya typischen Spoken-Word-Passage und Feedbackpfeifen, bevor die Gitarren und das Schlagzeug laut hereinbrechen und sich schleppend nach vorne schleifen. Immer wieder unterbrechen hoffnungsvolle Gitarrenläufe und perlende Melodien die düstere Stimmung – auch wenn alles auf die eine große Explosion zukriecht. Bis es wirklich kracht und Tetsuya zeigt, dass er eine der stärksten Brüll-Stimmen der Musikwelt besitzt, dauert es allerdings zwei Minuten. Wie auch auf „The Fallen Crimson“ kommen dabei Vocoder-Sounds ins Spiel, die dem Sound von ENVY eine neue, wie für sie gemachte Dimension hinzufügen. Der kaskadierende Wechsel von Momenten purer Verzweiflung, kurzen hoffnungsvollen Momenten sowie lauten und leisen Passagen erweckt den Eindruck permanenter Rastlosigkeit – und steht paradigmatisch für ENVY und die aktuelle Vision ihres Sounds.

„Zanshin“ ist mit dreieinhalb Minuten für ENVY-Verhältnisse fast schon ein Radiosong – allerdings auch nur bezüglich der Länge, sind ENVY darauf doch so straight und ungemütlich wie lange nicht. Unruhiger und gehetzt poltert der Song nach vorne, Tetsuyas Stimme überschlägt sich beinahe und die Anspannung schreibt sich in fast beängstigende Höhen. Die letzten 30 Sekunden übernehmen fast schon an Black Metal erinnernde Riffs und das Schlagzeug drischt nach vorne, bis der Song plötzlich und ohne den erwarteten großen Knall endet. Dass dabei der Spoken-Word-Anteil eine noch stärkere Rolle einnimmt als bisher, passt in den Klangkosmos der Japaner.

„Tamayura“ erinnert schließlich mehr an ein Interlude und bringt die EP zu einem – stimmungsmäßig mehr oder minder – versöhnlichen Abschluss. Dabei beschränkt sich der Song komplett auf verhallte Gitarren in einem leeren Raum und Tetsuyas Stimme, die entsprechend verloren wirkt – und dadurch fast intensiver klingt als ansonsten. Es bleibt der Eindruck, dass jetzt noch etwas kommt – oder man nun wirklich im Nichts steht und nicht weiter weiß. Leider lagen die Übersetzungen der Texte zum Reviewzeitpunkt noch nicht vor, um zu prüfen, wie stark die Stimmung mit den sicherlich wie immer sehr poetischen Textbildern zusammengehen.

Wenn man die letzte EP, „Alnair in August“, als Beispiel heranziehen will, der ein gutes Jahr später ein neues Album folgte, haben ENVY mit „Seimei“ den Appetit sowohl über die zwei starken eigenständigen Songs, besonders aber auch durch das Interlude zum Abschluss geweckt.

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